Rettet den Brathering - Hochgenuss aus der „Arme-Leute-Küche“

Warum wird Hering heutzutage fast ausschließlich in verarbeiteter Form gekauft, fragt sich Rainer Balcerowiak. Und plädiert dafür, sich mal wieder frische Heringe zu braten und einzulegen.

Ein völlig unterschätzter Speisefisch: Der Hering / dpa
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Autoreninfo

Rainer Balcerowiak ist Journalist und Autor und wohnt in Berlin. Im Februar 2017 erschien von ihm „Die Heuchelei von der Reform: Wie die Politik Meinungen macht, desinformiert und falsche Hoffnungen weckt (edition berolina). Er betreibt den Blog „Genuss ist Notwehr“.

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Früher galt Hering als Arme-Leute-Essen. Ging am Monatsende allmählich das Geld aus, reichte es in der Regel immer noch für frische oder in Salzlake eingelegte und somit haltbar gemachte Heringe, die von Fischhändlern und „Tante-Emma-Läden“ für Pfennigbeträge verramscht wurden.


Doch die Zeit der schier unendlichen Heringsvorkommen ist vorbei, weil die moderne Fischindustrie ihn als Basisprodukt für Fischkonserven entdeckt hat. In verschiedenen Fanggebieten, unter anderem in der Ostsee, mussten die Fangquoten drastisch reduziert werden, um eine Überfischung der Bestände zu verhindern. Auch der Klimawandel und die damit verbundene Erwärmung der Gewässer setzen dem Hering zu.

Hering ist vielen nicht „fein“ genug

Zum Luxusprodukt ist Hering dennoch nicht mutiert. Man findet ihn in unzähligen Varianten in Supermarktregalen und auf Fischtheken. Als Vollkonserve in verschiedenen Soßen, als Matjes- oder Bismarckhering, als Rollmops, geräuchert als Bückling, als Brathering oder zerkleinert in Feinkostsalaten.

Doch die Mühe, einen frischen Hering selbst zuzubereiten, macht sich kaum noch jemand. In der „feinen“ Fischküche hat er keinen Platz, zumal seine Zubereitung mit nicht sonderlich angenehmen Gerüchen verbunden sein kann. Und in Restaurants jenseits der mit dem Hering verbundenen Küstenregionen muss man ihn mit der Lupe suchen.

Höchste Zeit also, für ein Revival des Herings in der häuslichen Küche zu trommeln, denn sein kräftiger, charakteristischer Geschmack und seine feste Konsistenz machen ihn zu einer großen Bereicherung für jeden heimischen Speisezettel.

Die Zubereitung ist ein Kinderspiel

Wer das „anrüchige“ Fischmassaker scheut, sollte sich frische, bereits ausgenommene Heringe ohne Kopf besorgen. Man nennt sie meistens „Grüne Heringe“ und erhält sie an Marktständen, einigermaßen gut sortierten Fischtheken und in Fischgeschäften. Omas Kochbuch legen wir diesmal beiseite, denn die dort zumeist gegebene Empfehlung, den Hering vor dem Braten mit Zitrone oder Essigwasser zu säuern, steht auf dem geschmackspolizeilichen Index. Es sei denn, mal will Bratheringe machen, dazu später.

Der küchenfertige Hering wird mit Küchenkrepp trocken getupft, innen und außen gesalzen und gepfeffert, gründlich mit Mehl bestäubt und je nach Dicke auf jeder Seite 6-8 Minuten in Pflanzenöl gebraten, bis die Haut goldbraun und kross ist. Das war‘s schon. Wer es mag, darf ihn jetzt mit ein wenig Zitrone beträufeln, muss aber nicht sein. Dazu reicht man Bratkartoffeln oder Kartoffelsalat, auch Gurkensalat ist als Ergänzung möglich. Dazu diesmal kein Wein, sondern ein herbes, nordisches Pils, mein Favorit ist derzeit „Störtebeker“. Die Assoziation mit „Arme-Leute-Essen“ wird man nach diesem Genuss kaum noch nachvollziehen können.

Das gilt auch für Bratheringe, die als Fertigware in Dosen aufgrund des penetranten Geschmacks nach Süßstoffen, Konservierungsmitteln und Billig-Essig nicht zu empfehlen sind. Auch hier verwendet man küchenfertige grüne Heringe, die man aber vor dem Braten 20 Minuten in Zitronensaft ziehen lässt.

Auf den Essig kommt es an

Diese Zeit nutzt man für die Marinade. Die besteht aus Essig, Wasser, in Ringe geschnittenen Zwiebeln, Lorbeerblättern, Wacholder-, Pfeffer-, Piment- und Senfkörnern. Auch hier wird Omas Kochbuch mal zugeklappt, denn meistens wird auch Zucker empfohlen. Braucht man nicht, wenn man den richtigen Essig verwendet. Also keine Essig-Essenz, keinen Tafelessig und auch keinen Balsamico – sondern Condimento bianco, eine italienische Variante, bei der normal vergorener Weißweinessig mit eingedicktem, süßen Traubenmost vermischt wurde. Schmeckt riesig und süßt viel feiner als plumper Zucker.

Die Marinade wird fünf Minuten kräftig aufgekocht, dann lässt man sie im Topf langsam erkalten. Jetzt werden die Heringe gebraten – exakt wie oben bereits beschrieben. Dann kommen sie in ein längliches, recht flaches Gefäß und werden mit der warmen Marinade übergossen. 2-3 Tage abgedeckt im Kühlschrank ziehen lassen, und dem sensationellen Geschmackserlebnis steht nichts mehr im Wege. Zumal sich bis dahin auch der möglicherweise etwas strenge Geruch in der Küche schon längst wieder verzogen hat.


Zutaten für 4 Personen

Gebratene grüne Heringe
8 küchenfertige grüne Heringe (ca 800-1000 Gramm)
Salz, Pfeffer, Pflanzenöl, Mehl

Bratheringe (Die Marinade)
700 ml Wasser
250 ml Essig (Condimento bianco)
3 mittelgroße Zwiebeln
2 Lorbeerblätter
Pfeffer-, Wacholder-, Piment- und Senfkörner

 

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