Zum Tode von Hans Küng - Der Unbeugsame

Der Katholik Hans Küng war theologischer Jungstar neben Joseph Ratzinger, hartnäckiger Kritiker seiner Kirche und Verkünder eines „Weltethos“, das Religionen übergreifen und verbinden könne. Jetzt ist er in Tübingen gestorben.

Hans Küng 2004 am 50. Jahrestag seiner Priesterweihe (picture-alliance / dpa/dpaweb | Marijan Murat)
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Autoreninfo

Alexander Grau ist promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist. Er veröffentlichte u.a. „Hypermoral. Die neue Lust an der Empörung“. Zuletzt erschien „Vom Wald. Eine Philosophie der Freiheit“ bei Claudius.

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Er war der Kirchenkritiker. Und der Papstkritiker. Nicht, dass andere nicht auch den Katholizismus und dessen Institutionen kritisiert hätten: der sanftmütig flüsternde Eugen Drewermann etwa und die streitbare Uta Ranke-Heinemann. Doch der Kritiker schlechthin, das war er: Hans Küng.

Dass dem Schweizer Theologen eine solche Stellung zukam, lag weniger an seiner theologischen Brillanz, die er bald seinem Gefallen an Publikumswirksamkeit und griffig formulierten Texten opferte, sondern an seinem ebenso selbstbewussten wie weltmännischen und medienaffinen Auftreten. Dass seine Kritik an der katholischen Kirche und am Papsttum den billigen Applaus all derer hervorrief, die sich gerne progressiv wähnen und ihren Mut dadurch zeigen, dass sie hinter dem Schutz der öffentlichen Meinung auf eine schon halb gefallene Institution einprügeln, war auch einem Küng nicht geheuer. Das Problem hat er gesehen. Von seinem Kurs abgehalten hat ihn das nicht. Dafür war er auch zu sehr von seiner Mission überzeugt. Und von sich selbst. Der Witz liegt nah: Mochte der Papst auch fehlbar sein, es gab ja noch Hans Küng.

Gespür für den Zeitgeist

Geboren wurde der spätere Theologieprofessor 1921 in Sursee im Kanton Luzern. Küng, das wird mitunter übersehen, ist das typische Produkt des deutsch-schweizer Katholizismus, eines Diasporakatholizismus in calvinistischem Umfeld, der im 19. Jahrhundert von Kulturkampf, Ultramontanismus und einer Ablehnung des liberalen bürgerlichen Staates geprägt war. An diesem Katholizismus seiner Herkunft wird sich Küng Zeit seines Lebens abarbeiten.

Nach dem Studium der Philosophie und Theologie im Rom ging er 1955 an das Institut Catholique in Paris, wo er mit einer Arbeit über die Rechtfertigungslehre Karl Barths aus katholischer Perspektive promoviert wurde. Schon mit dieser sehr akademischen Arbeit stieß der junge Theologe instinktsicher in ein Wespennest. Denn die Rechtfertigungslehre, also die Lehre des Verhältnisses von Gott zu dem sündigen Menschen, markiert einen Grundkonflikt zwischen Katholizismus und Protestantismus. Und auch die Deutung Karl Barths – calvinistischer Landsmann Küngs – ist im Protestantismus alles andere als unumstritten. Der Platz zwischen allen Stühlen war dem aufstrebenden Gelehrten damit ebenso sicher wie ein erster Vermerk auf der häresiologischen Karteikarte des Heiligen Uffiziums. Zugleich bewies er schon hier ein feines Gespür für den Zeitgeist zwischen Ökumene und der Tradition der bekennenden Kirche.

Unfehlbar?

1960 dann die Sensation. Mit gerade 32 Jahren und ohne Habilitation wurde Küng auf den Lehrstuhl für Fundamentaltheologie an die Universität Tübingen berufen. Ein theologischer Jungstar war geboren. Der sorgte wenige Jahre später dafür, dass der zweite theologische Jungstar des Katholizismus ebenfalls nach Tübingen berufen wurde: Joseph Ratzinger. Sollte einmal die Geschichte des Katholizismus im 20. Jahrhundert geschrieben werden, dann wird ein ganz zentrales Kapitel von diesen beiden so unterschiedlichen und zugleich so verwandten Brüdern im Zweifeln und Glauben handeln.

Denn während der Oberbayer Ratzinger Ende der 60er Jahre dazu überging, die Errungenschaften des Zweiten Vatikanischen Konzils vor dem Zeitgeist zu bewahren, drang der Schweizer Küng auf weitere Reformen. Im Jahr 1970 erschien dann das Buch, das den Autor Küng endgültig weit über das theologische Milieu hinaus bekannt machte und den Ruf des öffentlichen Intellektuellen begründete: „Unfehlbar?“, in dem er die Unfehlbarkeit des Papstes in Frage stellte. Das Problem dabei waren weniger die Thesen Küngs an sich, sondern die mediale Lautstärke, mit der er sie verkündete.

Die Stiftung „Weltethos“

In der Folge ritt Küng publikumswirksam jeden noch so toten Kritik-Gaul am Katholizismus, von der Frauenpriesterschaft über die Jungenfrauengeburt bis zum Zölibat. Als sich dann mit der Wahl Johannes Paul II. der Wind im Rom zu drehen begann, folgte der Paukenschlag: der Entzug der Lehrerlaubnis durch den Vatikan.

In Tübingen richtete man seinem Stargelehrten daraufhin einen unabhängigen Lehrstuhl für Ökumene ein. 1995 wurde Küng Präsident der von dem Unternehmer Karl Konrad von der Groeben initiierten Stiftung „Weltethos“. Aus dem hochbegabten Theologe war endgültig der allgefällige Mahner geworden: eine Art katholischer Dalai Lama, der Staatsmänner und Unternehmer um sich sammelte.

Übersehen konnte man dabei leicht, dass Küng immer katholischer Priester blieb, nie aus der Kirche austrat oder sein Priesteramt niederlegte. Auch insofern hat sich der Unbeugsame nicht beugen lassen. Gestern ist Hans Küng, der Streitbare, im Alter von 93 Jahren in Tübingen verstorben.

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