Hans-Friedrich von Ploetz liest … - Das politische Buch

In seinen 2019 erschienenen Erinnerungen schildert Andrei Kozyrev den steinigen Übergang Russlands vom Kommunismus zur Marktwirtschaft. Hans-Friedrich von Ploetz hat sie für uns gelesen.

Andrei Kozyrev zeigt in seinem 2019 erschienenen Buch die Ursprünge des heutigen Kriegs in der Ukraine auf / University of Pittsburgh Press
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Autoreninfo

Hans-Friedrich von Ploetz ist Diplomat und war Botschafter in Brüssel, London und Moskau.
 

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Firebird, dieser magisch glühende Feuervogel, hat einen besonderen Platz in der russisch-slawischen Mythologie. Und es ist ein guter Titel für die 2019 erschienenen Erinnerungen von Andrei Kozyrev, die uns das Drama des Übergangs Russlands vom Kommunismus zu Marktwirtschaft und Demokratie erhellen. Und die uns Verständnis dafür vermitteln können, wo die Ursprünge des Krieges in der Ukraine liegen. Kozyrev wurde schon damals nicht müde, Russland vor einer Rückkehr zum traditionellen Nationalismus zu warnen. Er stieß schon damals auf starke beharrende Kräfte, die schließlich zu seiner Entlassung führten. 
Ob sich Kozyrevs Prognose in einem ebenfalls lesenswerten Interview mit der Financial Times am 19./20. März bewahrheitet, dass es für Putin in der gegenwärtigen dramatischen Krise sehr wohl einen Weg zurück gibt, wird die Zukunft erweisen müssen. Die Invasion der Ukraine bezeichnet Kozyrev hier als „Schock“ und „unvorstellbar“:

Der Untergang der Sowjetunion, von Putin als größte „geopolitische Katastrophe“ bezeichnet, wurde von Jelzin und den Präsidenten der Ukraine und Weißrusslands in einer Jagdhütte in Weißrussland beschlossen und mit der Gründung der GUS besiegelt. Auf das Attribut „unabhängig“ hatte der Präsident der Ukraine besonders insistiert.
Zeitlich parallel lief ein hoffnungsvoll stimmender Prozess im Nato-Hauptquartier in Brüssel ab: Durch Gründung des Nordatlantischen Kooperationsrats sollte die sicherheits- und militärpolitische Zusammenarbeit zwischen den Nato-Staaten und den Ländern des früheren Warschauer Paktes und den GUS-Staaten in einer Übergangsphase eingeleitet und der Kalte Krieg endgültig beendet werden. 

Die Rolle der Nato

Ein Brief Jelzins an den Nato-Generalsekretär machte die künftige Perspektive Russlands deutlich, was gleichzeitig auch dem Drängen der mittel- und osteuropäischen Länder auf baldige Nato-Mitgliedschaft höchst willkommene Legitimität verlieh: „Heute bitten wir nicht um Nato-­Mitgliedschaft, betrachten diese aber als unser langfristiges politisches Ziel.“ 
Dass in der sowjetischen Presseverlautbarung das Wort „nicht“ fehlte, wurde später korrigiert, aber kaum beachtet. Die Dramatik dieser Entwicklung wurde im Gegenteil noch dadurch erhöht, dass der sowjetische Vertreter zum Schluss der Sitzung auf Weisung „aus seiner Hauptstadt“ erklärte, dass die Sowjetunion zeitgleich mit der Brüsseler Sitzung aufgehört hatte zu existieren. Das Verhältnis zwischen Russland und der Ukraine war – nicht erst seit der Auflösung der Sowjetunion – belastet. 

Besonders lesenswert in Kozyrevs Erinnerungen sind seine teilweise recht kritischen Anmerkungen zur Politik der USA, aber auch ihrer europäischen Verbündeten, so etwa bei der ersten, nach seiner Meinung überhasteten Nato-­Erweiterung, die in durchaus vermeidbarer Weise beharrende demokratiefeindliche Kräfte in Moskau stärkte. Im gleichen Sinn vermisst er im Westen Verständnis für die Herausforderung, die der vollkommene Regimewechsel für die Regierung darstellte und noch darstellt. Viele gegenwärtige Schwierigkeiten hätten ihren Ursprung dort. Daher ist die aufmerksame Lektüre dieser aufrichtigen Beschreibung der Probleme in den ersten Jahren nach Ende der Sowjetunion und damit des Kalten Krieges sehr zu empfehlen. 
In der russischen Mythologie können die Federn des Feuervogels Wunder vollbringen – oder Tod und Zerstörung herbeiführen.

Andrei Kozyrev: Firebird: The Elusive Fate of Russian Democracy. University of Pittsburgh Press 2019. 350 Seiten, 21,80 €

Dieser Text stammt aus der Mai-Ausgabe des Cicero, die Sie jetzt am Kiosk oder direkt bei uns kaufen können.

 

 

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