Handball-EM - Trotz Corona: The Show must go on

Die derzeit laufende Handball-Europameisterschaft ist sportlich zur Farce geworden. Fast stündlich werden neue Corona-Fälle gemeldet. Das Turnier hätte in dieser Form zu diesem Zeitpunkt niemals stattfinden dürfen und sollte sofort abgebrochen werden.

Gisli Thorgeir Kristjansson aus Island im Spiel Island gegen Ungarn / dpa
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Autoreninfo

Rainer Balcerowiak ist Journalist und Autor und wohnt in Berlin. Im Februar 2017 erschien von ihm „Die Heuchelei von der Reform: Wie die Politik Meinungen macht, desinformiert und falsche Hoffnungen weckt (edition berolina). Er betreibt den Blog „Genuss ist Notwehr“.

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Unter normalen Umständen wäre es großes, packendes Sportereignis. Handball gehört in einigen europäischen Ländern zu den populärsten Sportarten. Das Spiel ist rasant, die Partien oftmals sehr spannend, weil auch größere Rückstände binnen weniger Minuten aufgeholt werden können. Die alle zwei Jahre ausgerichteten Europameisterschaft, die diesmal in Ungarn und der Slowakei ausgetragen wird, gehört zu den Top-Events dieser Sportart. Viele Spiele verzeichnen hohe Einschaltquoten, was längst auch kommerzielle Streaming-Dienste auf den Plan gerufen hat. Entsprechend groß ist mittlerweile auch das Interesse von werbetreibenden Sponsoren. Es geht also – wie immer im Profisport – nicht nur um Ruhm und Ehre, sondern auch um sehr viel Geld, wenn auch nicht in den Dimensionen einer Olympiade oder einer Fußball-WM.

Spieler nahezu schutzlos

Doch diesmal sind es eben keine normalen Umstände. Die Handball-EM findet mitten in einer neuen, sehr komplizierten Phase der Corona-Pandemie statt. Die derzeit dominierende Virusvariante Omikron zeichnet sich vor allem durch eine deutlich höhere Infektiösität als die früheren Varianten aus. Die Zahl der durch PCR-Tests nachgewiesenen Infektionen geht in den meisten europäischen Ländern durch die Decke, die Dunkelziffer dürfte erheblich sein.

Natürlich macht diese Entwicklung auch nicht vor dem Teams halt. Zumal die Veranstalter darauf verzichteten, die Teilnehmer für die Turnierdauer in einer „Blase“ zu isolieren. Einige Teams wurden sogar gemeinsam mit nicht regelmäßig getesteten Touristen in Hotels untergebracht, mit denen sie auch die Speiseräume teilten. Von den fehlenden Schutzmaßnahmen in den vollbesetzten Hallen in Ungarn ganz zu schweigen.

Bob Hanning, der frühere Vizepräsident des Deutschen Handballbundes, hatte zu Beginn der EM prophezeit: „Europameister wird diesmal, wer die wenigsten Corona-Fälle hat.“ Bereits im Vorfeld der EM waren viele Teams von Corona-Fällen betroffen, Testspiele mussten abgesagt, Kader neu zusammengestellt werden. Mitfavorit Kroatien musste beim Turnierstart auf seine Spielmacher Domagoj Duvnjak und Luka Cindric verzichten, beim deutschen Vorrundengegner Polen waren es fünf Spieler, bei Serbien sogar noch mehr. Und nahezu stündlich gab es seit Beginn des Turniers am vergangenen Donnerstag weitere Meldungen über positive PCR-Tests bei diversen Teams.

Bereits neun Corona-Fälle im deutschen Team

Die deutsche Mannschaft kam zunächst glimpflich davon. Nach dem erfolgreichen Auftaktspiel gegen Belarus traf es nur den Rückraumspieler Julius Kühn, am Folgetag dann den für ihn nachnominierten und eilends eingeflogenen Hendrik Wagner. Doch am Montag kam es knüppeldick: Gleich fünf Spieler wurden positiv getestet. Am Dienstag zwei weitere, darunter der bislang überragende Torhüter Till Klimpke. Und niemand rechnet damit, dass dies bereits das Ende der Fahnenstange ist. Zwar gelang der coronabedingt neu formierten Mannschaft beim letzten Gruppenspiel gegen Polen am Dienstagabend ein erstaunlich souveräner Sieg, doch niemand weiß, wer beim ersten Hauptrundenspiel am Donnerstag gegen Spanien eingesetzt werden kann.

Das absurde Spektakel endlich beenden

Das alles war vorhersehbar. Doch anscheinend hat kein Verantwortlicher auch nur einen ernsthaften Gedanken darauf verschwendet, dieses Turnier abzusagen oder wenigstens zu verschieben, wie es bei anderen Großereignissen praktiziert wurde. The Show must go on, das Geld muss fließen, möglichst bis zum bitteren Ende dieses zunehmend absurder werdenden Turniers, das schon jetzt nach der Vorrunde keinen sportlichen Wert mehr hat. Wenn der Dachverband, wie leider zu erwarten, nicht die Größe hat, das Turnier sofort abzubrechen, obläge es den verbliebenen zwölf an der Hauptrunde teilnehmenden Ländern, ihre Mannschaften zurückzuziehen, auch aus Verantwortung gegenüber den Spielern. Deutschland könnte mit gutem Beispiel vorangehen.  

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