Grußformeln in der Coronakrise - Bleiben Sie gesund!

Auf Bahnhöfen, beim Bäcker, in Briefen und Mails, der Wunsch „Bleiben Sie gesund!“ ist im Zuge der Coronakrise allgegenwärtig. Stefan aus dem Siepen ist er vor allem lästig. Was, wenn der Spruch die Krise überdauert?

Bleiben Sie gesund! Ein Formel, die auch dann wirken soll, wenn man nicht an Beschwörungen glaubt / dpa
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Stefan aus dem Siepen ist Diplomat und Schriftsteller. Von ihm erschien zuletzt im Verlag zu Klampen „Wie man schlecht schreibt. Die Kunst des stilistischen Missgriffs“. (Foto: © Susanne Schleyer / autorenarchiv.de)

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Auf deutschen Bahnhöfen ist man gezwungen, sich von einer Lautsprecherstimme nahezu im Minutentakt „Bleiben Sie gesund!“ wünschen zu lassen. Auch in Briefen und Mails tauchen diese warmherzigen Worte immer wieder auf; und wer in einer Bäckerei ein Brötchen kauft, dem kann es passieren, dass er als kostenlose Draufgabe ein „Bleiben Sie gesund!“ erhält. Gewiss: Von allen Ärgernissen und Zumutungen, welche die Corona-Krise mit sich bringt, ist diese nicht die schwerste. Doch als Kollateralbelästigung sollte man sie nicht unterschätzen, und Kolumnisten haben das Recht, gegen sie zu protestieren.

In China begrüßten sich die Menschen während der Mao-Zeit mit: „Haben Sie heute schon gegessen?“ Damals gab es lange Hungerperioden, besonders beim „Großen Sprung nach vorn“ und in der Kulturrevolution, und so konnte man der Frage ihre Berechtigung nicht absprechen. Sie verstieß zwar gegen das Prinzip der sozialen Distanz, zumindest einem Fremden gegenüber und bei flüchtigen Begegnungen, doch das war akzeptabel. Problematisch ist allerdings, dass sie sich einbürgerte, die Hungerzeiten überdauerte und noch jahrzehntelang als Floskel in Gebrauch blieb. Droht uns dies auch mit „Bleiben Sie gesund“? 

Gesellschaftlich anerkannter Idiotismus

Sigmund Freud schrieb an Thomas Mann zu dessen 60. Geburtstag: „Ich könnte Ihnen ein sehr langes und glückliches Leben wünschen, wie man es bei solchen Anlässen zu tun gewohnt ist. Aber ich enthalte mich dessen, Wünschen ist wohlfeil und erscheint mir als Rückfall in die Zeiten, da man an die magische Allmacht der Gedanken glaubte.“ Eine wunderschöne Passage! Freud war ein ernsthafter Mensch, und selbst bei Geburtstagsgrüßen orientierte er sich streng an der Richtschnur seiner Erkenntnisse. Leider ist es ihm nicht gelungen, sich mit seiner Ablehnung des rituellen Wünschens durchzusetzen. Wie viel bliebe uns heute erspart!

Wer „Bleiben Sie gesund“ sagt, glaubt zwar nicht an die Allmacht der Gedanken, doch für gänzlich wirkungslos hält er seine Worte auch nicht. Er huldigt einem milden Aberglauben, einem gesellschaftlich anerkannten Idio­tismus auf dem Niveau von „toi, toi, toi“. Dass solche Fehlleistungen auch großen Geistern nicht fremd sind, beweist folgende Anekdote. Der Physiker Wolfgang Pauli besuchte einmal seinen Kollegen Niels Bohr. Pauli sah, dass Bohr ein Hufeisen über der Tür hängen hatte, und sagte: „Sie?! Ein Hufeisen? Glauben Sie etwa daran?“ „Natürlich nicht“, antwortete Bohr. „Aber es soll auch dann wirken, wenn man nicht daran glaubt.“

Werden wir den Wunsch jemals wieder vergessen?

„Bleiben Sie gesund!“ fordert den anderen zu etwas auf, das dieser nicht aus eigener Kraft erfüllen kann. Um die Gesundheit mag man sich zwar bemühen, doch in der Hand hat man sie nicht. Ähnlich verhält es sich mit dem beliebten Appell: „Vergiss es!“ Das Vergessen ist ein spontaner Akt, mehr ein Geschehen als ein Tun, und es lässt sich nicht erzwingen. Die Liste solcher unerfüllbaren Aufforderungen ist lang, schon die Bibel hat sie eingeführt und für immer sakrosankt gemacht: „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst.“

Immanuel Kant hatte einen Diener namens Lampe. Diesen musste er nach langen Jahren entlassen, weil er eine Verfehlung begangen hatte. Der Schritt machte ihm zu schaffen, und er hatte Mühe, sich den Gedanken an Lampe aus dem Kopf zu schlagen. Also schrieb er auf einen Merkzettel: „Der Name Lampe muss nun völlig vergessen werden.“ Es ist nicht überliefert, ob ihm diese Aufforderung geholfen hat.
 

Diesen Text finden Sie in der Dezember-Ausgabe des Cicero, die Sie am Kiosk oder direkt bei uns portofrei kaufen können.

 

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