Gleichberechtigung in der Kultur - Maler Mustermann und der Geschlechtergraben

Im Bundestag wurde heute über die Gleichstellung in Kunst und Kultur debattiert. Während die Abgeordneten ihre Enttäuschungen in Sachen fehlender Geschlechtergleichstellung formulierten, wirkten sie ein wenig wie die berühmten Steinewerfer im Glashaus.

Die Kunst ist weiblich: Nofretete-Köpfe der Künstlerin Isa Genzken / dpa
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Ralf Hanselle ist stellvertretender Chefredakteur von Cicero. Im Verlag zu Klampen erschien von ihm zuletzt das Buch „Homo digitalis. Obdachlose im Cyberspace“.

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Über Geld schreibt man nicht; und für Geld schon gar nicht. Das ist guter Brauch von Alters her: Man gibt dem Kaiser, was des Kaisers ist; der Kultur bleibt dann der Notgroschen – ein Brot, das in der Regel hart und trocken ist. Doch wie trocken ist es wirklich? Neue Zahlen des Statistischen Bundesamtes sind alarmierend. Laut einer gestern veröffentlichten Studie waren 2019 gut 123.000 Menschen in Deutschland als bildende Künstler, Kunsthandwerker oder Fotografen tätig. Rund ein Drittel von ihnen verdiente weniger als 1.000 Euro; auf mehr als 2.000 Euro netto kamen lediglich ein Viertel. Und was in der bildenden Kunst recht ist, das ist auf den Gebieten Literatur, Theater oder Musik ganz sicher billig. Denn Kultur ist schön, darf aber kein Geld kosten.

Zur Ausbeutung, so meinte bereits in den 1960er-Jahren einmal ein offensichtlich angesäuerter Schriftsteller namens Heinrich Böll, eigneten sich am besten Künstler und Frauen. Und am allerbesten, so möchte man dem späteren Nobelpreisträger und Schutzheiligen einer parteinahen Stiftung posthum noch einmal nachrufen, am allerbesten eignen sich Frauen als Künstler. Laut der erwähnten Erhebung des Statistischen Bundesamtes nämlich waren 2019 gut 60 Prozent der erwerbstätigen Künstler in der untersten Gehaltsgruppe Frauen. Zahlen der Künstlersozialkasse bestätigen ebenfalls die Schieflage. Und auch der Deutsche Kulturrat hat den Gender-Pay-Gap schon vermessen. Das Fazit von Deutschlands kulturaffinstem Lobby-Verein: Der Graben ist „erschreckend groß“. Ganze 24 Prozent weniger verdienten demnach Frauen im Vergleich zu Männern, und die Verwerfungen wachsen weiter.

Ist die Kultur weiblich?

Man kann es also drehen und wenden wie man will: An dem Dilemma der Ungleichheit scheint kein Weg vorbei zu führen. Bereits 2016 hat Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) daher einen „Runden Tisch Frauen in Kultur und Medien" zusammengetrommelt, 2018 dann haben sich die Regierungsparteien aus CDU, CSU und SPD zu einem weiteren Ausbau von Gleichstellung und Gleichberechtigung in Kunst, Kultur und Medien im Koalitionsvertrag verpflichtet. 

Doch es hilft nichts: Das Ringen um Gleichstellung bleibt ohne Wirkung; und das, obwohl die Kultur doch eigentlich ohnehin weiblich sein müsste: Seit Jahren produzieren Kunsthochschulen und Akademien ebenso wie die kultur- und geisteswissenschaftlichen Fakultäten weit mehr weibliche Studienabgänger als männliche. Am Arbeitsmarkt aber merkt man da nichts von. So gibt es derzeit nur drei Dirigentinnen bei den großen deutschen Orchestern, und bei nur 30 Prozent aller Theaterinszenierungen haben Frauen Regie geführt.  

Feministische Wochen

Wenn also nichts passiert, dann muss die Politik noch einmal nachjustieren. So zumindest glaubt es der stets etwas übereifrige „zoon politikon“, hat er sich als bekennender Tatmensch erst einmal in ein deutsches Parlament wählen lassen. Heute stand daher das Thema „Geschlechtergerechtigkeit in der Kulturarbeit“ noch einmal auf der Tagesordnung der 212. Sitzung des Deutschen Bundestages. 

Das traf sich eigentlich gut, schließlich waren ohnehin gerade „feministische Wochen“ im Parlament, wie Simone Barrientos, Abgeordnete der Partei Die Linken mit etwas Selbstironie bemerkte. Mit Themen wie „Geschlechtergerechte Politik“ oder „Teilhabe von Frauen an Führungspositionen“ blickte man im Bundestag kritisch auf den Stand der Gleichstellung der Geschlechter im Corona-Winter 2021. Was also hätte da besser hineingepasst, als eine Debatte über einen Antrag der Koalitionsfraktionen mit dem fast flehentlichen Titel „Geschlechtergerechtigkeit in Kultur und Medien verwirklichen“?

Ein Blick in den Garten der Nachbarin

Und dennoch, etwas schräg war das Ganze schon: Während die eigentlich Betroffenen – die Künstlerinnen und Künstler – derzeit weitestgehend unter Berufsverboten leiden und knietief im Dispo und Lockdown darben, werfen die Abgeordneten des 19. Deutschen Bundestages – zu diesen zählen bekanntermaßen nur 31 Prozent Frauen – einen kritischen Blick über den Gartenzaun der in existenzieller Not dahindämmernden Nachbarin. Als hätte die derzeit keine andere Probleme als Quoten und Geschlechterfragen.

Dabei gäbe es unter besseren Bedingungen ja tatsächlich eine Menge zu beanstanden, und vieles wurde in der Debatte auch richtig benannt: Preise und Projektförderungen, die zu großen Teilen an Männer gehen, Schauspielerinnen, die mit zunehmendem Alter an Bühnen- und Mattscheibenpräsenz verlieren, ja sogar einen Testosteron-Überschuss bei den Welterklärern der Corona-Krise. Ulla Schmidt zeigt sich regelrecht empört: „Im Kulturbereich haben wir teilweise erschreckendere Daten als in der Wirtschaft“, so die langgediente SPD-Parlamentarierin. Das sei verheerend, zumal die Gleichstellung der Geschlechter eine urdemokratische Frage und die Kultur wichtig für Demokratisierungsprozesse sei.

Maler Mustermann

Genau hier aber liegt das Problem: Über welche Kultur wurde hier eigentlich debattiert? Ging es um die unzähligen Kulturschaffenden, die sich von Stipendium zu Stipendium und von Projekt zu Projekt hangeln, oder meinte man die Weltmarktführer und die wenigen Sieger, die am Ende alles kriegen? Bei Letzteren gäbe es in der Tat einen schier unglaublichen Gender-Pay-Gap: Von den 196,6 Milliarden Dollar etwa, die 2019 weltweit auf Auktionen umgesetzt wurden, entfielen auf Werke von Künstlerinnen lediglich 4 Milliarden, das sind gerade einmal zwei Prozent. Doch Maler Mustermann und Gerhard Richter, das sind zwei verschiedene Universen. Sie berühren sich allenfalls mal in den von Ulla Schmidt angedeuteten Daten und können dort für reichlich Verwirrung sorgen.

So gab es am Ende wenig Erhellendes, einzig vielleicht die Erkenntnis, dass es mit der Geschlechtergerechtigkeit in der Kultur, wie mit der Gleichstellung in anderen Bereichen auch ist. Wo in den Vorstandsetagen der Dax-Konzerne gerade einmal zehn Prozent Frauen arbeiten, läuft es bei einer durchschnittlichen Putzfirma schon viel besser. Die aber hat wenigstens den Vorteil, dass sie von der Politik nicht immerzu als Rollenmodell für Avantgarden und gesellschaftliche Fortschritte herangezogen wird. Auf dem ohnehin schon gebeugten Rücken der Kultur aber soll immerzu demokratisiert, emanzipiert, sozialisiert werden – und das möglichst besser und schneller als im Rest der Gesellschaft. Geschieht dies nicht oder nur schleppend, dann zeigt sich gerade die Politik vom ungezogenen Kind enttäuscht: „Für eine Branche, die sich selbst als Avantgarde bezeichnet, ist die fehlende Gleichberechtigung ein Armutszeugnis“, so Yvonne Magwas (CDU), eine von den gerade einmal 31 Prozent Frauen im Deutschen Bundestag.

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