Gesunde Ernährung in Zeiten von Corona - „Genuss ist gesundheitsfördernd“

Diätassistentinnen reagierten verärgert auf einen Beitrag in der Cicero-Genusskolumne über Essen in der Pandemie, weil sie sich in ein falsches Licht gerückt fühlten. Das wollten wir klären und haben deshalb ein Gespräch mit Misava Macamo geführt. Und dabei einiges gelernt über ihren Beruf und gesunde Ernährung.

Jeder weiß, dass Gemüse gesund ist, aber man muss es eben auch essen / picture alliance
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Autoreninfo

Rainer Balcerowiak ist Journalist und Autor und wohnt in Berlin. Im Februar 2017 erschien von ihm „Die Heuchelei von der Reform: Wie die Politik Meinungen macht, desinformiert und falsche Hoffnungen weckt (edition berolina). Er betreibt den Blog „Genuss ist Notwehr“.

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Misava Macamo (www.misava-macamo.de) ist zertifizierte Diätassistentin und bietet freiberuflich ganzheitliche Ernährungsberatung an. Sie studiert sie an der Universität Fulda im Bachelor-Studiengang Diätetik.

Frau  Macamo, Sie und einige ihrer Kolleginnen haben verärgert auf eine Ausgabe unserer Genusskolumne reagiert, in der es um Ernährung in Zeiten der Corona-Pandemie geht. Stein des Anstoßes war eine launige Bemerkung des Ernährungssoziologen Daniel Kofahl , der davor warnte „in das allgemeine Diätassistentenhorn zu rufen und ein irreales Hungerhakenidealgewicht als Nonplusultra zu verklären“. Was stört sie an diesem Statement?

Uns hat vor allem gestört, dass unsere Arbeit mit „Hungerhaken“ verknüpft wird. Wir versuchen immer, uns von irgendwelchen „Wunderdiäten“ abzugrenzen und propagieren auch kein vermeintliches Idealgewicht als Nonplusultra. Unsere Arbeit findet ja kaum Erwähnung in den Medien. Und wenn das dann mal passiert, wie in Ihrer Kolumne, dann in so einem negativen Kontext. Das hat mich schon persönlich verletzt. Aber ich bin ja nicht nachtragend und freue mich über die Möglichkeit, da etwas gerade zu rücken.

Was wird man eigentlich Diätassistent? Was unterscheidet ihren Beruf von Ernährungsberatern?

Es ist ein Gesundheitsfachberuf mit einer dreijährigen, teilweise klinischen Ausbildung. Da geht es viel um Basics wie Ernährungslehre, Lebensmittelkunde und Berufsrecht. Zur Ausbildung gehören aber auch medizinische Bereiche wie Anatomie, Physiologie, Biochemie und Krankheitslehre. Auf dieser Grundlage geht es dann in die Diätetik, also wie man bestimmte Krankheiten mit abgestimmter Ernährung therapieren kann. Nach der Ausbildung besucht man in der Regel periodische, zertifizierte Fortbildungen, denn das ist die Voraussetzung für die Anerkennung durch den Berufsverband. Ernährungsberater ist dagegen keine geschützte Berufsbezeichnung.

Im Bereich der Ernährungsberatung tummeln sich auch viele Scharlatane und verbreiten Heilslehren mit Unfehlbarkeitsanspruch und teilweise abstrusen esoterischen Hintergründen, wie etwa Veganismus, Paleo-Diät oder Ernährung nach Blutgruppen. Wie können Sie sich davon abgrenzen?

Zum einen haben wir eine stark reglementierte Berufsordnung und dürfen zum Beispiel keine Produktwerbung machen. Verbraucherschutzorganisationen weisen auch immer auf diese Unterschiede hin und veröffentlichen Checklisten zur Qualifikation von Anbietern im Bereich der Ernährungsberatung. Wir haben eine fundierte Ausbildung, und es gehört einfach nicht zu unserem Berufsbild, irgendwelche Heilslehren zu verbreiten.

Das Begriff „Diät“ wird von vielen Menschen mit Genussverzicht assoziiert. Aber ist nicht auch der Genuss von vermeintlich oder objektiv ungesunden Lebens- und Genussmitteln unabdingbar für die körperliche und seelische Gesundheit? Ich möchte Wildschweinbraten und ein gutes Glas Wein jedenfalls nicht missen.

Das würde ich Ihnen auch nicht verbieten wollen. Essen und Trinken ist mehr als nur Nahrungsaufnahme. Genuss ist eine wichtige Komponente und auch eindeutig gesundheitsfördernd. Das hat auch eine soziale Komponente. Man kann sich im Prinzip vegetarisch ernähren, aber muss man dann wirklich beim Familientreffen Omas Nachtisch vom Tisch schieben, weil da irgendwas Tierisches drin ist? Genuss ist immer Teil meiner Beratungen. Da geht es auch um Fragen wie Achtsamkeit beim Essen und wie viel Zeit man sich dafür nimmt.

Misava Macamo / privat 

Haben die meisten Menschen nicht einen inneren Kompass, der anzeigt, was ihnen bekommt und was sie glücklich macht?

Da müssen wir unterscheiden. Bei bestimmten Krankheitsbildern kann die Einhaltung von Ernährungsplänen dringend geboten sein. Ein gesunder Mensch, der in Bezug auf Ernährung und Genuss auf seine innere Stimme hört, braucht keine Regeln und auch keine Beratung von uns. Doch viele Menschen haben dieses intuitive Essen verlernt, wie man es vor allem bei Kindern beobachten kann. Sie haben oftmals Muster übernommen, die sich sehr schädlich auf ihre Gesundheit auswirken können. Da gibt es dann auch Beratungs- und Therapiebedarf. 

Kommen wir zu Corona. Es gibt Untersuchungen, wonach es in Lockdown-Phasen zu teilweise deutlichen Gewichtszunahmen und vermehrten Essstörungen kommt. Deckt sich das mit Ihren Erfahrungen und gibt es typische Lockdown-Essgewohnheiten, die Sie als besonders schädlich einstufen?

Ja, das deckt sich mit unseren Erfahrungen. Es werden eindeutig mehr Kohlenhydrate verzehrt und auch mehr Alkohol getrunken. Vielen fehlt im Home Office die gewohnte Tages- und Arbeitsstruktur, das senkt auch die Motivation für gesundheitsbewusstes Verhalten. Oft haben wir es mit dem „Eltern-Burnout“ zu tun, wenn neben der Arbeit auch noch die Kinderbetreuung und -versorgung durchgehend gewährleistet werden muss. Da geht‘s beim Essen dann nur noch darum, dass es schnell geht, und abends „belohnt“ man sich für den Stress mit einem Glas Wein mehr als üblich, auch um runterzukommen.

Fehlernährung hat zweifellos Einfluss auf das Gesamtbefinden und auch auf das Immunsystem. Kann Fehl- oder Mangelernährung auch schwere Krankheitsverläufe nach einer Corona-Infektion befördern?

Ja, da kann es durchaus Zusammenhänge geben. Generell schwächt Mangelernährung die Immunabwehr. Und zur Therapie von Infizierten gehört zum Beispiel eine erhöhte Proteinzufuhr. Ernährungstherapie hat bei Covid-Patienten einen hohen Stellenwert, auch im stationären Bereich.

Fehlernährung und daraus resultierende Krankheiten sind auch unabhängig von Corona ein großes gesellschaftliches Problem. Wo müsste man da ansetzen, und welche Rolle können Diätassistenten dabei spielen?

Es geht um Ernährungsbildung in allen Bereichen. Derzeit wird ja über die Einführung eines Schulfachs Ernährungslehre diskutiert. Das würden wir natürlich sehr begrüßen. Wir müssen auch die abholen, in deren familiären Umfeld das Thema gesunde Ernährung keine große Rolle spielt, etwa durch entsprechende Events in Kindertagesstätten. Das Problem ist ja meistens nicht das Wissen – jeder Mensch weiß irgendwie, dass Gemüse gesund ist. Das Problem ist die Umsetzung dieses Wissens im Alltag. Also keine megalangen Vorträge über Ernährung, sondern praxistaugliche Lösungen für den Alltag entwerfen. Da können wir uns einbringen.

Die Fragen stellte Rainer Balcerowiak

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