Gegen Demokratie? - Politische Systeme sind keine Maschinen

Kolumne Grauzone: Der amerikanische Politologe Jason Brennan fordert, die Demokratie durch eine Herrschaft der Wissenden und Informierten zu ersetzen. Brennans Gedanken sind erfrischend tabulos und wichtig. Er macht aber einen Kardinalfehler

Lassen ansonsten harmlose Zeitgenossen in der Wahlkabine ihren Ressentiments freien Lauf ? / picture alliance
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Autoreninfo

Alexander Grau ist promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist. Er veröffentlichte u.a. „Hypermoral. Die neue Lust an der Empörung“. Zuletzt erschien „Vom Wald. Eine Philosophie der Freiheit“ bei Claudius.

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Jason Brennan ist Politologe und Philosoph. Und der Mann traut sich was. Schon der Titel seines neusten Buches ist eine Provokation: „Gegen Demokratie“. Und damit auch ja kein Missverständnis aufkommt, legt der deutsche Untertitel nach: „Warum wir die Politik nicht den Unvernünftigen überlassen dürfen“.

Klarer geht es kaum. Entsprechend herausfordernd ist das Grundanliegen von Brennans Buch. Insbesondere in Deutschland ist es schlicht ein Sakrileg. Denn Brennan argumentiert in seiner Streitschrift dafür, das allgemeine Wahlrecht abzuschaffen und durch eine Epistokratie zu ersetzten, eine Herrschaft der Wissenden und Informierten.

Das ist starker Tobak und alles andere als politisch korrekt. Denn Brennan bricht mit seinem Buch gleich mehrere Tabus: Er hält das Wahlrecht für kein Menschenrecht, Demokratie für keinen Wert an sich und die wenigsten Menschen für demokratiefähig. Mehr noch: Demokratie korrumpiert den Menschen geradezu, so Brennans Argument. Sie macht aus harmlosen Zeitgenossen, die sich für so schöne Dinge wie Fußball, Bücher, Promitratsch oder Essen interessieren, irrationale Monster, die in der Wahlkabine ihren Ressentiments freien Lauf lassen.

Niedrige Wahlbeteiligung? Toll!

Doch die Demokratie trübt nicht nur unser Urteilsvermögen, sie setzt vor allem keinerlei Anreize, daran etwas zu ändern: Da die Stimme eines Ahnungslosen gleich viel wiegt wie die eines Informierten, gibt es für den unwissenden Zeitgenossen keinen Grund, sich besser zu informieren. Das hat nach Brennan verheerende Auswirkungen. Denn die schlecht informierte, inkompetente Masse der Wähler hat eine Schwäche für ebensolche Politiker. Ergebnis: Die Demokratie ist den politischen Herausforderungen immer weniger gewachsen ist.

In das übliche Klagelied über niedrige Wahlbeteiligungen kann Brennan daher nicht einstimmen. Im Gegenteil. Der Rückgang der politischen Beteiligung ist für ihn ein guter Anfang. Aber der reicht noch nicht. Noch immer wählen zu viele uninformierte Menschen. Und das macht Demokratie zu einem denkbar schlechten Werkzeug, um die Probleme unserer Welt zu lösen. Die Vorstellung, es sei irgendwie wünschenswert, den Bürger möglichst umfangreich in politische Entscheidungsprozesse einzubeziehen, ist für Brennan daher blanker Unsinn.

Brennans Kardinalfehler

Keine Frage: Da muss der durchschnittliche deutsche Demokratieliebhaber mehrmals schlucken. Dabei hat Brennan in zumindest einem Punkt Recht. Demokratien sind dysfunktional. Ginge es in der Politik vor allem darum, effizient Probleme zu lösen, würde man wahrscheinlich andere politische Akteure einsetzen – ganz sicher aber keine gewählten Parlamente.

Doch genau hier liegt auch schon der Kardinalfehler von Brennans Argumentation – und der ist erschreckend naiv. Denn im Kern läuft der Gedankengang des amerikanischen Politologen darauf hinaus, festzustellen, dass die Demokratie einen „ausschließlich instrumentellen Wert hat“. Da sie diesem instrumentellen Wert aber nicht genügt, muss sie, so die Schlussfolgerung, durch eine andere Staatsform ersetzt werden, die besser funktioniert. Und besser funktionieren würde, so Brennans feste Überzeugung, ein Wahlrecht nur für die wirklich Informierten – also besagt Epistokratie.

Legitimation und Verbindlichkeit

Nun könnte man natürlich argumentieren, dass Brennans Vorschlag zirkulär ist. Denn wer bitte schön soll entscheiden, welche Bürger als informiert zu gelten haben. Die Informierten? Und anhand welcher Kriterien soll man das feststellen?

Doch dieser Einwand ist, wenngleich tragend, zunächst pragmatischer Natur und übergeht den gedanklichen Hauptfehler Brennans. Und der liegt in einer fundamentalen Fehleinschätzung des Wertes der Demokratie. Denn politische Systeme sind keine Maschinen. Sie sind nicht nützlich, wie ein Auto nützlich ist. Deshalb auch liegt der Wert der Demokratie nicht in ihrer Problemlösungsfähigkeit, sondern in ihrer Legitimität.

Dadurch, dass alle Bürger eines Staates ihr Wahlrecht ausüben können, ungeachtet wie ungebildet oder ahnungslos sie sich gegenseitig einschätzen, bekommt der demokratische Entscheidungsprozess ein hohes Maß an Verbindlichkeit. In pluralistischen Massengesellschaften gibt es keine bessere Legitimation gerade auch umstrittener Entscheidungen.

Staatsform für Erwachsene

Jason Brennan hat ein wichtiges Buch geschrieben. Weil er Fragen stellt, die sonst kaum einer stellt. Weil er Gedanken denkt, die nur wenige denken. Und weil er versucht, tabulos Antworten zu geben.

Doch einen Vorwurf muss man ihm machen: Er zeichnet ein erschreckend vereinfachtes Bild von modernen Gesellschaften und ihren politischen Systemen und kommt so zu noch einfacheren und erschreckenderen Lösungen.

Denn die Modernität der Demokratie liegt gerade darin, die Vielschichtigkeit und Unübersichtlichkeit der Welt aufzufangen. Eben weil nicht immer klar ist, was eine wichtige, eine nebensächliche oder gar eine falsche Information ist, sind demokratische Prozesse so wichtig, in denen nie das letzte Wort gesprochen ist und immer noch einer mitreden kann. Kindlichen Gemütern bereitet das ein tiefes Unbehagen. Doch Demokratie ist eine Staatsform für Erwachsene, die gelernt haben, mit Defiziten umzugehen.

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