Frankfurter Buchmesse - Im Hürtgenwald trug sich Ungeheures zu

Steffen Kopetzky erzählt vom Krieg derart packend, dass es eine Wucht ist. Mit dieser „Propaganda“ ist ihm ein großer Wurf gelungen

Erschienen in Ausgabe
In Steffen Kopetzkys neuem Roman wird die Hauptfigur zum Opfer US-amerikanischer Kriegpropaganda / picture alliance
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Alexander Marguier ist Chefredakteur von Cicero.

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Nach der Lektüre dieses Buches fragt man sich unweigerlich: Warum wird so etwas wie Steffen Kopetzkys „Propaganda“ eigentlich nicht für den Deutschen Buchpreis nominiert? Da schreibt schließlich einer, der sein Handwerk mit spielerischer Leichtigkeit beherrscht, der tief in die historische Materie einsteigt und dabei gleichzeitig keine Spur langatmig oder gar langweilig wird. Kurzum: Da legt ein Meister seines Faches seinen inzwischen sechsten Roman vor, aber die Literaturbranche scheint eisern entschlossen, ihm größere Ehrungen zu verweigern.

Vielleicht liegt es daran, dass der 48 Jahre alte Pfaffenhofener das Gegenteil eines Befindlichkeitsschriftstellers ist. Kopetzkys großes Sujet bleibt nämlich auch diesmal, nach dem Erste-Weltkriegs-Werk „Risiko“ aus dem Jahr 2015, die Militärgeschichte.

Der moralische Verfall amerikanischer Interventionspolitik

„Propaganda“ ist der kunstvoll konstruierte Erfahrungsbericht des deutschstämmigen Nachrichtenoffiziers John Glueck, der mit den ins Rheinland vorrückenden US-Truppen verheerende Kämpfe in der Nordeifel erlebt. Als „Schlacht im Hürtgenwald“ sind sie in die Geschichte des Zweiten Weltkriegs eingegangen, und Kopetzky beschreibt sie derart packend und reich an Details, als wäre er selbst dabei gewesen. Dennoch ist „Propaganda“ kein bluttriefender Kriegsroman. Sondern vielmehr ein faszinierendes historisches Diorama, in dem Ernest Hemingway, Jerome D. Salinger oder Charles Bukowski genauso selbstverständlich eine Rolle spielen wie etwa eine Strategiekonferenz deutscher Wehrmachtsoffiziere auf dem berühmten Gestüt Schlenderhan bei Köln. Dass Letztere als eine Meisterleistung der Militärkybernetik geschildert wird, praktisch eine Vorstufe zum Internet, ist ein typisches Beispiel für Steffen Kopetzkys herausragendes assoziatives Repertoire.

Das eigentliche Thema dieser, man könnte fast sagen: „Great American Novel“ ist jedoch der moralische Verfall amerikanischer Interventionspolitik. John Glueck, der sich während seiner Weltkriegsmission völlig zu Recht noch auf der richtigen Seite der Geschichte wähnt, wird viele Jahre später bei einem Einsatz in Vietnam brutal ernüchtert. Der ehemals überzeugte Propaganda-Major wird selbst zum Opfer amerikanischer Kriegspropaganda; nahe dem Army-Stützpunkt in Lai Khe verunglückt er schließlich mit dem Motorrad und fällt in einen Graben voller Entlaubungsmittel und Pestizide. Und aus dem einst heldenhaften Kämpfer für die Freiheit wird ein sinnbildlich lebender Toter mit furchtbar entstellter Haut. Doch einen letzten großen Dienst wird Glueck seinem Land noch erweisen. Mit dieser „Propaganda“ ist Steffen Kopetzky ein großer Wurf gelungen. Und Literaturpreise sollte man bekanntlich ohnehin nicht allzu ernst nehmen. 

Steffen Kopetzky: „Propaganda“. Rowohlt Berlin, Berlin 2019. 496 Seiten, 25 €

Dieser Text ist in der Oktober-Ausgabe des Cicero, die Sie am Kiosk oder direkt bei uns portofrei kaufen können. 

 

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