Ethnologische Museen im Humboldt Forum - Das Problem mit dem „Menschheitsmosaik“

Nach jahrelangen Debatten und Protesten eröffnen nun die ersten Ausstellungen der Ethnologischen Museen im Humboldt Forum. Sie wollen selbstkritisch und offen sein, aber auch prächtige Dinge zeigen. Kann das gutgehen?

Ein Hochsee-Segelboot aus dem Jahr 1895 von der Insel Luf ist im Humboldt Forum ausgestellt / dpa
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Saskia Trebing ist Kunsthistorikerin bei monopol.

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Die Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy hat kürzlich im Gespräch mit dem Deutschlandfunk einen disclaimer für Museen vorgeschlagen. Ganz am Anfang eines Besuchs könnte demnach ein kurzer Film stehen, in dem offengelegt werde, unter welchen Umständen ein „Kunsttempel“ entstanden ist und wie all die faszinierenden Dinge an den Wänden und in den Vitrinen eigentlich dorthin gekommen sind. Sie verglich diese Idee mit einem Kaufhaus, in dem neben jedem Turnschuh ein Video über dessen Produktionsbedingungen läuft die in den meisten Fällen bekanntermaßen entsetzlich sind.

Dass man danach die schicken Sneaker noch haben will, ist eher unwahrscheinlich. Und ob man ein Museum genießen kann, dessen gewaltvolle Geschichte man in aller Drastik vor Augen geführt bekommt, ist ebenfalls fraglich. Doch genau um diese Frage geht es im Berliner Humboldt Forum dem Epizentrum der postkolonialen Auseinandersetzung in Deutschland , in dem ab heute die ersten Ausstellungen des Ethnologischen Museums und des Museums für Asiatische Kunst für Publikum zugänglich sind. Wie schauen wir an, was vielleicht nicht rechtmäßig in unseren Vitrinen steht?

Nach mehreren Jahren der Debatten über koloniale Raubkunst in europäischen Kulturhäusern (die Bénédicte Savoy genauso wie verschiedene Anti-Rassismus-Initiativen maßgeblich mitgeprägt hat) ist es für die Stiftung Preußischer Kulturbesitz praktisch unmöglich, zum musealen Alltag überzugehen. Die einzige Option, im derzeitigen politischen Klima die Neupräsentation einer ethnologischen Sammlung zu zeigen, ist die Flucht nach vorn in die Selbstbefragung. Und so betonen die Humboldt-Forum-Macherinnen und -Macher seit einiger Zeit mantraartig, dass ihr Haus ein Ort der Aufarbeitung des deutschen Kolonialismus und des Austauschs auf Augenhöhe sein soll. „Begegnungen in Vielheit“ lautet der Slogan für die neuen Ausstellungen. Wobei der Umstand, dass die deutsche Dekolonisierung ausgerechnet hinter der Fassade eines preußischen Barockschlosses aus der Kaiserzeit (also der Zeit als Kolonialmacht) inklusive Kuppelkreuz stattfinden soll, selbst mit den besten Absichten nicht wegdiskutiert oder -kuratiert werden kann.

Wie wird ein Herrschaftsraum ein Zentrum der Demut?

Die Frage, ob ethnologische Museen mit ihrer Historie als koloniale Beutekammern und Orte des „Anderen“ überhaupt noch zeitgemäß sind, wird im Humboldt Forum mit Ja beantwortet: Es gibt Ausstellungen, und es gibt Objekte zu sehen. Die Präsentationen auf zwei Stockwerken beginnen tatsächlich mit je einer Videoinstallation, disclaimer im Sinne Savoys sind es jedoch nicht; eher eine Vorstellung der Ausstellungskapitel auf rhythmisch gestaffelten Bildschirmen zu meditativer Musik. In einem Wandtext wird eine Einführung in die Geschichte der Ethnologischen Museen Berlins gegeben und auf das „drängende Thema“ von Restitutionen verwiesen. Über die Screens flimmern derweil einige der Sammlungsschätze in gestochen scharfer Auflösung. Hier wird suggeriert, dass beides geht: die Aufklärung und die Lust auf den Turnschuh, die postkoloniale Selbstkritik und das betörende, technisch hochgerüstete Museumserlebnis. Idyllische Aufnahmen von Südseelandschaften inklusive.

Der Verweis auf die Vielschichtigkeit der Sammlungen und die Verständigung zwischen den Kulturen zieht sich durch die komplette Präsentation. Wurden die „exotischen“ Objekte einst zur westlichen Selbstvergewisserung und Untermauerung europäischer Überlegenheit genutzt, sollen sie nun Schlüssel zu gegenseitigem Respekt und Anlass für gleichberechtigte Diskussionen sein. Es ist eine der interessantesten Fragen der Gegenwart, ob das gehen kann und inwiefern der Museumsraum (nicht nur der ethnologische) mit all seinem Ballast als Herrschaftsort tatsächlich ein Forum für Demut und Annäherung sein kann. Schließlich geht es nicht nur darum, dieselben Dinge mit neuen Labels zu zeigen.

Das ehemals in Dahlem beheimatete Ethnologische Museum eröffnet seine eigentliche Präsentation aus Afrika, Südamerika und Ozeanien mit einer „Ouvertüre“, die die Auswirkungen des deutschen Kolonialismus bis heute verfolgt. In Video- und Hörstationen kommen unter anderem Namibierinnen zu Wort, die als sogenannte „DDR-Kinder“ ab 1979 aus ihrem vom Bürgerkrieg erschütterten Heimatland nach Ostdeutschland gebracht wurden und dort aufwuchsen. Nachfahren von deutschen Profiteuren in den afrikanischen Kolonien erzählen ebenfalls von ihrem Verhältnis zur Familiengeschichte. Schließlich hat auch deutsches Vermögen noch heute oft Wurzeln in der Kolonialzeit. Außerdem werden deutsche Schulbücher auseinandergenommen (nein, es sind nicht nur die ganz alten). Viele bunte Fußnoten weisen auf problematische und stereotype Darstellungen von Afrikanerinnen und Afrikanern hin. Das koloniale Denken, das wird in dieser Installation deutlich, ist alles andere als historisch.

Dinge zeigen, die nicht mehr da sind

Im nächsten Raum folgt dann das prall gefüllte Schaumagazin Afrika mit Objekten verschiedener deutscher Expeditionen auf dem Kontinent. Die Mehrheit der Dinge befindet sich jedoch nicht in glänzenden Vitrinen, sondern in Museumsdepots und soll durch Medientische ins Museum geholt werden. Auch hier wird auf das Prinzip der Vielheit gesetzt. Die Disparität der Sammlungen wird ausgestellt, während der digitale Zugang zu den Beständen auf eine der Hauptforderungen von Kritikerinnen und Kritikern eingeht: Transparenz über das, was da ist. Die Einarbeitung in die Provenienz der einzelnen Objekte wird jedoch zum großen Teil dem Publikum überlassen, in einigen Fällen wird ihr Weg ins Museum durch Texttafeln nachgezeichnet.

Dass es auch anders geht, zeigt die Installation der namibischen Designerin Cynthia Schimming, die mehrere Vitrinen füllt, ohne auf Artefakte zuzugreifen, die gar nicht unbedingt in ein Berliner Museum gehören. Vielmehr geht sie von Dingen aus, die inzwischen nach Namibia zurückgegeben wurden und die viel über die dortige textile Kultur der präkolonialen Zeit verraten. Mit diesen Erkenntnissen hat sie eine Neuinterpretation eines traditionellen Herero-Kleides geschaffen, das nun zwischen den Schaudepots zu sehen ist und auch auf ihre Familiengeschichte verweist. Das Projekt soll zusammen mit einem begleitenden Film, der auch die Nachwirkungen des Völkermords an den Herero und Nama thematisiert, die Fruchtbarkeit und Zukunftsfähigkeit von internationalen Kooperationen zeigen. Er offenbart aber nebenbei auch eine der gravierendsten Folgen der europäischen Sammelwut: Die erdrückende Mehrheit des afrikanischen Kulturerbes befindet sich in westlichen Museen, und das Wissen, das in den Dingen steckt, fehlt den Herkunftsgesellschaften.

Werke wie das von Schimming zeigen, wie ethnologische Museen durch künstlerische Kooperationen die Perspektive weiten können, ohne auf das Ausstellen von Artefakten angewiesen zu sein. Auch ein Hörraum mit neuester Klangtechnik kommt ganz ohne Objekte aus und schafft trotzdem eindrückliche Sounderlebnisse. In der Ausstellung des Museums für Asiatische Kunst steht außerdem ein neu entworfenes Teehaus des japanischen Architekten Jun Ura, das in Kooperation mit dem Chado Urasenke Teeweg-Verein in Berlin geplant wurde. Das schlichte Gebäude im Gebäude ist von Traditionen beeinflusst, aber gerade nicht alt und nimmt die Form der Turmruine der Gedächtniskirche auf. Er erinnert somit nicht nur an deutsch-japanische Freundschaft, sondern auch an den Zweiten Weltkrieg.

Das „Museum neuen Typs“ ist gar nicht so neu

Im Humboldt Forum sind diese Momente der spürbaren Gegenwart jedoch eher selten und erscheinen letztlich wie eine Legitimation für die ansonsten ziemlich klassische Präsentation von Exponaten. Auch das umstrittene Luf-Boot aus Papua Neuguinea, das im Kontext einer Strafexpedition nach Deutschland kam, ist in all seiner Pracht neben einem sanft leuchtenden künstlichen Korallenriff zu sehen (aufgrund seiner Größe kann man es auch gar nicht mehr so einfach aus dem Schloss bekommen, selbst, wenn man wollte). Der Raum ist der universellen Bedeutung des Meeres gewidmet, während die Tafel zur Provenienz des Bootes ziemlich versteckt auf einer Empore steht.

Es drängt sich der Eindruck auf, dass die Verantwortlichen vor allem punktuell auf öffentliche Kritik reagiert haben und bei den weniger kontroversen Themen auf klassische Ausstellungsstrategien zurückgreifen. Die Frage nach Machtungleichheit, Imperialismus und dem Entreißen von Objekten aus ihren rituellen und spirituellen Kontexten kann man genauso bei den Sammlungen aus Ozeanien und Asien stellen, doch in diesen Bereichen geht es weiterhin vor allem um das Herzeigen von prächtigen Dingen. Die Präsentation ist ohne Frage eindrucks- und respektvoll, doch sie zeigt auch, dass das Konzept des Museums im Humboldt Forum (das von Kulturstaatsministerin Monika Grütters einmal als „Museum neuen Typs“ bezeichnet wurde) nicht grundlegend anders gedacht wird.

Im Mosaik dominiert kein einzelnes Steinchen

In seiner Kommunikation nach außen spricht das Humboldt Forum vom „Menschheitsmosaik“, also einem Kunstwerk, das aus vielen kleinen Teilchen besteht. Das Problem an dieser Metapher ist, dass in einem Mosaik kein Steinchen das andere dominiert. Dass alles gleichwertig ist und zum Gesamtbild beiträgt, während die Frage nach kolonialem Erbe und dem Umgang mit gewaltvoll angeeignetem Kulturgut das ganze Projekt Stadtschloss durchdringt und bestimmt. Wie glaubwürdig und „erfolgreich“ das Humboldt Forum letztlich ist, entscheidet sich nicht nur anhand seiner Ausstellungen, sondern auch am weiteren Vorgehen beim Thema Restitutionen.

Im Sommer 2022 sollen auch die letzten Teile des Ethnologischen Museums öffnen, in denen eigentlich auch die Benin-Bronzen gezeigt werden sollen. Dass es sich bei diesen um Raubkunst handelt, ist inzwischen weitgehend unbestritten. In diesem Jahr wurde entschieden, dass es „substanzielle Rückgaben“ von Werken aus Deutschland an Nigeria geben soll. Was das genau heißt, ob überhaupt Benin-Bronzen in Berlin bleiben sollten und was das für die abertausenden von anderen Objekte der Sammlung bedeutet, ist jedoch weiter unklar. Die aktuellen Eröffnungen sind also alles andere als ein Abschluss, sie sind ein Anfang.

Disclaimer: Leichter wird es für das Humboldt Forum höchstwahrscheinlich nicht.

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