„Echo“-Skandal - „Etwas Respektloseres habe ich noch nie gesehen“

Der Protest gegen den „Echo“-Preis an die Rapper Farid Bang und Kollegah weitet sich aus: Mehrere Künstler haben ihre Auszeichnungen zurückgegeben. Auch BAP-Sänger Wolfgang Niedecken war an dem Abend dabei – und geschockt. Im Interview fordert er Konsequenzen

Klaus Voormann und Wolfgang Niedecken bei ihrem gemeinsamen Auftritt bei der diesjährigen „Echo“-Verleihung / picture alliance
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Herr Niedecken, wie haben Sie die „Echo“-Verleihung erlebt? 
Ich wurde auf dem roten Teppich ständig nach Farid Bang und Kollegah gefragt und wusste überhaupt nicht, worum es da geht. Als Campino dann seinen Preis bekam, hielt er diese Rede und sprach die beiden Rapper direkt an. Ich finde das sehr mutig. Campino und ich sind befreundet, dämlicherweise haben wir uns vor der Veranstaltung nicht gesehen. Klaus Voormann, der diese Woche 80 Jahre alt wird, hat statt der Generalprobe einen kleinen Power-Nap gemacht. Bei der diesjährigen Verleihung wurde er für sein Lebenswerk ausgezeichnet und ich durfte seine Laudatio halten. Wären wir bei der Generalprobe gewesen, hätten wir auch die Sturmmasken-Performance der beiden Rapper Kollegah und Farid Bang vorher gesehen und die entsprechenden Fragen gestellt. 

Wäre das nicht Ihre Pflicht gewesen, sich vorab umfassend zu informieren?
Warum muss ich mich mit solchen Boulevardthemen beschäftigen? Ich hätte aber von den Veranstaltern erwartet, dass sie mich darüber aufklären. Letztlich sind Klaus und ich durch eine Verkettung von Zufällen ins offene Messer gelaufen. Meine Laudatio fand dann unmittelbar nach diesem Sturmmasken-Auftritt statt. Ich wusste nicht, wie ich damit umgehen sollte, ohne stereotype Floskeln loszulassen. Also habe ich mich emotional als Campinos Freund zu Bekennen gegeben, meine Laudatio gehalten und dann mit Klaus „Mighty Quinn“ gespielt. Wir haben natürlich gemerkt, dass das Publikum schockgefroren war. Normalerweise gibt es minutenlange stehende Ovationen, wenn jemand einen „Echo“ für sein Lebenswerk bekommt. Das hat mir für den Klaus sehr leid getan. Er ist ein bescheidener Mann, der sich immer im Hintergund gehalten hat. In dieser Rapperszene ist der Begriff „Respekt“ so wichtig. Etwas Respektloseres als diesen Mist von Kollegah und Farid Bang habe ich noch nie erlebt. Das ist bodenlos, die beiden sollen sich schämen. 

Was geht in Ihnen vor, wenn Sie diese, mit einem deutschen Musikpreis ausgezeichneten Texte lesen?
Ich kenne mich in diesem Genre Gangstarap nicht aus. Ehrlich gesagt geht mir das am Hintern vorbei. Da sind keine Melodiebögen drin. Es ist pures Macho-Gepose. Die Texte sind, ähnlich wie beim Schlager, Versatzstücke, mit denen man etwas erreichen möchte. Beim Schlager möchte man damit möglichst viele Tränen generieren. Im Gangstarap sind sie hasserfüllt, um die entsprechende Zielgruppe zufriedenzustellen. Die Veranstalter sind natürlich in der Zwickmühle, weil sie das alles abbilden müssen. Der „Echo“ ist ein Preis für Verkaufszahlen. Aber der Ethikrat kommt hier seiner Pflicht nicht nach. Das muss man ganz klar sagen: Der Ethikrat hat versagt. Wofür gibt es den, wenn der offensichtlich nur eine Instanz zum Durchwinken ist?

1982 brachten Sie das Lied „Kristallnacht“ heraus, eine Aufarbeitung mit dem Holocaust. Jetzt haben wir Anfang 30-jährige Musiker, die Auschwitz-Insassen lächerlich machen. Was macht das mit Ihnen?
Das ist pure Provokation. Und leider muss man sagen, dass sie funktioniert hat. Bei jedem Interview, das ich gebe, mache ich deren Promo mit. So langsam will ich dazu auch nichts mehr sagen. Ich fühle mich wie am Nasenring der beiden herumgeführt und habe die Befürchtung, dass ich damit genau deren Plan erfülle.

Wenn es Promo ist, ist es auch ein Geschäft. Die Lieder von Kollegah und Farid Bang werden auch von der Bertelsmann Music Group (BMG) herausgebracht. Die Firma Bertelsmann engagiert sich ansonsten in der Zivilgesellschaft. Was halten Sie davon?
Die Verantwortlichen in den Plattenfirmen müssen sich überlegen, wo sie die Grenze setzen. Ich denke, dass die in der Nacht nach dem „Echo“ nicht gut geschlafen haben. Da ist bei jedem Einzelnen Zivilcourage gefragt. Die Diskussion fängt früher an. Im Radio gibt es Formatbestimmungen, nach denen man sich richten muss, wenn man gespielt werden will. Hauptsächlich spielen da allerdings kommerzielle Erwägungen eine Rolle, mit denen man eingeschränkt wird.  Dieses Genre Gangstarap findet deswegen nicht im Radio, sondern im Internet statt. Je mehr dort provoziert und gedisst wird, desto toller finden die Jugendlichen das. Jugendliche, die die Kristallnacht wahrscheinlich für einen Lampenladen halten.

Campino, Peter Maffay und Sie haben sich gegen den „Echo“-Preis an Farid Bang und Kollegah ausgesprochen. Marius Müller-Westernhagen hat all seine Preise zurückgegeben. Nur von den Jüngeren hört man nichts. Wieso ist das so?
Ich weiß es nicht. Es ist ja auch immer so ein Spagat: Will man wirklich der Trittbrettfahrer dieser Geschichte sein? Warum die jungen Leute dazu nichts sagen, bereitet mir allerdings Sorgen. Menschen, die das Nazi-Regime noch mitbekommen haben, sterben aus. Ihre Erlebnisse dürfen nicht in Vergessenheit geraten, eventuell werden Gefahren dann nicht mehr frühzeitig erkannt. Damit ist mein Urvertrauen in die Demokratie gefährdet. 

Mittlerweile sind die 68er, die gegen das Establishment rebellierten, selbst das Establishment. Erleben wir mit dem Gansgtarap jetzt einfach die Rebellion und Provokation der Jugend gegen diese neue Obrigkeit?
Es wäre vermutlich erhellend, sich mit den Beiden mal unter sechs Augen zu unterhalten, zu schauen, was ohne dieses Gepose kommt. Von dem, was ich da bei der Verleihung gesehen habe, kann ich mir kein Bild über die Jungs machen. 

Gepose gab es auch bei Jimi Hendrix und vielen anderen.
Ja, klar. Aber ich meine natürlich dieses Macho-Gepose. Ironiefreies Gepose von Bon Jovi über Guns n’Roses bis zum Gangsterrap kann ich wirklich nicht ab. Ich frage mich auch, was das für eine Jugendkultur ist, in der man auf peinliche Auftritte steht. 

Nach der Band Frei.wild gibt es jetzt mit Farid Bang und Kollegah erneut eine Debatte um den „Echo“-Preis. Muss die Jury etwas ändern?
Momentan könnte ich mir vorstellen, dass er aus dem Verkehr gezogen wird. Über den Fall der antisemitischen Pöbeleien hat man offenbar nicht genügend nachgedacht. Ich habe schon vor drei Jahren festgestellt, dass mich am Echo überhaupt nichts mehr interessiert. In dem Frei.wild-Jahr 2016 hat allein Helene Fischer 4 „Echos“ gewonnen. Sie hat jedes Mal aufs Neue die gleiche kitschige Dankesrede gehalten. Für mich ist das reine Zeitverschwendung. Ein Versatzstück nach dem anderen und das soll dann Pop-Kultur sein. Es gibt eine Menge Leute, die tolle Sachen machen, dort aber niemals vorkommen werden. Da wird nun einmal außer dem Lebenswerk und dem Kritikerpreis nur der Verkauf belohnt und damit ist alles wenig überraschend. 

Ist es dann aber nicht erschreckend, dass Kollegah und Farid Bang beim Verkauf am erfolgreichsten sind?
Ja! Das ist aber eben das Problem, wenn alles formatisiert ist. Da hat anspruchsvolle Rockmusik keine Chance. Ich interessiere mich aber für Künstler und nicht für Dekorateure. 

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