Fall Dieter Wedel - Was vom Rechtsstaat übrig bleibt

Die Berichterstattung der „Zeit“ über den Regisseur Dieter Wedel hatte Staranwalt Gerhard Strate zunächst scharf kritisiert. Nun legte die Wochenzeitung mit stichhaltigen Beweisen nach, wie auch Strate konstatiert. Allerdings sei die journalistische Recherche kein Ersatz für eine gerichtliche Beweisaufnahme

Die Vorwürfe gegen Regisseur Dieter Wedel, Frauen misshandelt zu haben, verdichten sich / picture alliance
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Autoreninfo

Gerhard Strate ist seit bald 40 Jahren als Rechtsanwalt tätig und gilt als einer der bekanntesten deutschen Strafverteidiger. Er vertrat unter anderem Monika Böttcher, resp. Monika Weimar und Gustel Mollath vor Gericht. Er publiziert in juristischen Fachmedien und ist seit 2007 Mitglied des Verfassungsrechtsausschusses der Bundesrechtsanwaltskammer. Für sein wissenschaftliches und didaktisches Engagement wurde er 2003 von der Juristischen Fakultät der Universität Rostock mit der Ehrendoktorwürde ausgezeichnet. Foto: picture alliance

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In einem Artikel vom 24. Januar veröffentlichte Die Zeit nun weitere Anschuldigungen gegen den Regisseur Dieter Wedel. Die Vorwürfe der insgesamt vier Frauen wiegen schwer. So berichtet die Schauspielerin Esther Gemsch, Wedel habe sie im Dezember 1980 in sein Hotelzimmer gerissen, die Tür abgeschlossen, sie aufs Bett geworfen und versucht, sie zu vergewaltigen, wobei er ihren Kopf bei den Haaren gepackt und auf die Bettkante sowie gegen die Wand geschlagen habe. Dabei habe sie Verletzungen an der Halswirbelsäule erlitten. Ihre Rolle in Wedels Mehrteiler „Bretter, die die Welt bedeuten“ sei schließlich im Januar 1981 umbesetzt worden. Ihre Nachfolgerin Ute Christensen, damals im zweiten Monat schwanger, berichtet ebenfalls nichts Gutes: Nachdem sie sich geweigert habe, dem Regisseur auf sein Hotelzimmer zu folgen, habe dieser sie an jedem weiteren Drehtag vor dem gesamten Team gedemütigt. Nach dem 40. Drehtag habe sie dem Druck nicht mehr standgehalten, sei mit einem Nervenzusammenbruch ins Krankenhaus eingeliefert worden und habe eine Fehlgeburt erlitten. Zwei weitere, nicht unter ihrem echten Namen zitierte Frauen berichten laut Zeit von einer angeblichen Vergewaltigung im Auto des Regisseurs beziehungsweise von Telefonterror, Schikanen und Drohungen. 

Akribische Recherche

Die Zeit, das muss man ihr lassen, ist in ihren Recherchen sehr sorgfältig vorgegangen. Akribisch fügt sie ein Puzzle aus vielen Bausteinen zusammen. So sichtete das Reporterteam auch das Archiv des Saarländischen Rundfunks, wo bis heute ein Attest über die Halswirbelverletzung von Esther Gemsch aufbewahrt wird, ausgestellt von keinem Geringeren als Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt, dem langjährigen Sportmediziner des FC Bayern München. Auch zur erneuten Unterbrechung der Dreharbeiten aufgrund des Ausfalls von Ute Christensen liegt der Zeit ein Briefwechsel zwischen dem Saarländischen Rundfunk, der Produktionsfirma Tele Saar sowie Wedels Produktionsfirma Active Film vor. Ein interner Revisionsbericht untersuchte zudem die Steigerung der geplanten Drehkosten von 3,4 auf zuletzt 7,7 Millionen D-Mark. Hieraus zitiert Die Zeit: „Obwohl Ute Christensen als Ursache für ihren Krankheitsverlauf einen dem Vorfall Christinat (gemeint ist der Fall Esther Gemsch, ehemals Christinat, Anm. d. Red.) vergleichbaren Vorgang angab, gelang es, die Darstellerin zur Weiterarbeit zu bewegen.“ Der bekannte Schauspieler Michael Mendel berichtet zudem von der „psychischen Bedrängung“ einer nicht namentlich genannten Frau, seine Kollegin Andrea L’Arronge bezeugt die „Inquisitionsstimmung“, die am Filmset gegen Christensen geherrscht habe.

Warum ging niemand zur Polizei?

Nehmen wir hypothetisch an, die Recherchen der Zeit entsprächen den Tatsachen, so ist weiterhin die Frage zu stellen, weshalb sich nicht eine der Frauen getraut hat, zur Polizei zu gehen. So findet sich laut Zeit im Archiv des Saarländischen Rundfunks ein Schreiben von Esther Gemschs Anwalt, worin stehe, es sei „kein Geheimnis mehr, wie Dieter Wedel sich in der Nacht vom 12. Dezember 1980 im Hotel in Bad Kissingen gegenüber der Schauspielerin verhalten habe“. Wörtlich heißt es: „Dr. Wedel wurde gewalttätig und beleidigend und hat unsere Mandantin erheblich verletzt.“ Damit hatte Gemsch es bereits vollbracht, ihre Sicht der Dinge zu offenbaren. Die weitere Hürde zu einer polizeilichen Anzeige wäre demnach sehr niedrig gewesen. Dass die zuständige Staatsanwaltschaft angesichts der Indizien einen Anfangsverdacht bejaht hätte und es zu einer Anklage gekommen wäre, ist stark anzunehmen. Esther Gemsch hat darauf verzichtet. Das ist umso bedauerlicher, als restlose Aufklärung nun aufgrund der Verjährung nicht mehr möglich sein wird. Was bleibt, ist der verheerende Eindruck, dass die Strafjustiz sich in den öffentlichen Raum verlagert. Dies bemängelt auch die Kieler Rechtswissenschaftlerin Monika Frommel, die im RBB-Inforadio ausführte: „Wenn ein digitales Scherbengericht inszeniert wird, dann können wir die Gerichte abschaffen. Wedel ist schon jetzt zerstört, das ist ein ungeheurer Rückfall in mittelalterliche Prozeduren mit hochmodernen Mitteln.“

All die Menschen, die heute als angebliche Mitwisser auftreten, haben sich damals kein Ruhmesblatt erworben, falls ihre heutige Darstellung den Tatsachen entsprechen sollte. So auch Eric Moss, dessen Freundin Regina Bätz als Kostümbildnerin für Wedel tätig gewesen war und das Drama hautnah miterlebt haben will. Frei von der Leber weg berichtet Moss heute, 37 Jahre später, in der Zeit von einem angeblichen Drohanruf Wedels, den Gemsch ihn habe mithören lassen. Sein Erinnerungsvermögen an den Inhalt des Gesprächs darf als ungewöhnlich bezeichnet werden. Könnte die Sache heute noch zur Anklage gebracht werden, würde der Detailreichtum seines Berichts der Verteidigung sofort Ansatzpunkte zum kritischen Einhaken geben. Ebenfalls wissenswert wäre, ob Moss und Bätz Gemsch zu einer Strafanzeige geraten oder darüber nachgedacht haben, selbst zur Polizei zu gehen. Sie dies im Rahmen gerichtlicher Zeugenaussagen zu fragen, ist aufgrund der Verjährung nicht mehr möglich. Und so bleibt eine Frage im Raum stehen: Kann Moss tatsächlich seelenruhig eine knallharte Erpressung Wedels gegenüber Gemsch mit angehört haben, ohne seinerseits aktiv zu werden? Ist es möglich, dass ein Mann, der heute selbst als erfolgreicher und durchsetzungsstarker Filmproduzent bekannt ist, so wenig Zivilcourage mitbringt? Oder hat die damalige Situation, betrachtet durch einen 37 Jahre alten Gedächtnisfilter, erst nachträglich an Dramatik hinzugewonnen? 

Vom Umgang mit Gebührengeldern

Mit einer Steigerung von geplanten 3,4 auf 7,7 Millionen  D-Mark hatten sich laut internem Revisionsbericht die Produktionskosten von „Bretter, die die Welt bedeuten“ mehr als verdoppelt. Inwieweit zusätzliche Drehtage aufgrund der Umbesetzung von Esther Gemschs Rolle sowie der zeitweisen Krankschreibung von Ute Christensen dazu beigetragen haben, geht aus dem Artikel der Zeit nicht hervor. Das konkrete Ergebnis des Revisionsberichts bleibt für die Öffentlichkeit im Dunkeln. Eine Auslassung, die suggeriert, dass alleine Wedels Verfehlungen an der horrenden Kostensteigerung schuld sein müssten.

Ist das tatsächlich so? Wenn ja, dann hätte eine Schadenersatzklage des Senders gegen den Regisseur schon deshalb erfolgen müssen, weil eine öffentlich-rechtliche Anstalt zu besonderer Sorgfalt beim Umgang mit Gebührengeldern gehalten ist. Ist diese Klage, in deren Rahmen zwangsläufig auch eventuelle strafrechtliche Verfehlungen zur Sprache gekommen wären, erfolgt? Und wenn nein, warum nicht?

Errungenschaften der Zivilisation auf der Kippe

Inwieweit trägt ein angesagter Hashtag wie #MeToo dazu bei, Erinnerungen aus längst vergangenen Zeiten bei Zeugen zu reaktivieren und dramatisch anzureichern? Hilft es dem Gedächtnis eines Eric Moss in besonderer Weise auf die Sprünge, wenn er sich dank Metoo auf der moralisch „richtigen“ Seite weiß? Wir können bei all diesen Fragen nur mutmaßen. In einer Zeit, da nur ein wenig Gratismut erforderlich ist, um im vielstimmigen Chor der Dauerempörten ein Solo zu ergattern, ist höchster Argwohn angesagt, da im unkritischen gegenseitigen Verstärken eben die zerstörerische Kraft derartiger Kampagnen liegt. Klar ist: Die archaischen Vernichtungstendenzen von Metoo richten sich nicht nur gegen den jeweils Angeprangerten, sondern gegen den Rechtsstaat selbst. Das Recht eines Angeklagten auf ein faires Verfahren ist nun mal eine der höchsten Errungenschaften der menschlichen Zivilisation.

Es ist aber nicht nur der Gedanke der Fairness, sondern vor allem das Anliegen der Wahrheitsfindung, weshalb die journalistische Recherche keinen Ersatz für eine gerichtliche Beweisaufnahme darstellen kann. Die Sorgfalt, die das Reporterteam der Zeit auf die Ermittlung des wahren Geschehens verwandt hat, ändert nichts daran, dass die nunmehr erreichte Schlüssigkeit, mit der die „Ermittlungsergebnisse“ präsentiert werden, keine Garantie für ihre Wahrheit ist. Ein Strafprozess, in dem sich institutionalisiert mehrere Parteien im Kampf um die Wahrheit gegenüberstehen, bietet sie noch am ehesten. Auch dort werden häufig genug sowohl von der Anklage als auch von der Verteidigung schlüssige und mit vielerlei Indizien bekräftigte Darstellungen gegeben. Im Verlauf des Prozesses reiben sie sich so lange aneinander, bis am Ende eine tragfähige richterliche Überzeugung über den wahren Ablauf eines Geschehens steht.

Vor dem Hintergrund dieser Einschätzung ist es zu begrüßen, dass die Staatsanwaltschaft München I eine in 2015 erfolgte Änderung der Verjährungsvorschriften zum Anlass nehmen kann, zumindest einen der von der Zeit berichteten Fälle noch ordnungsgemäß zu untersuchen.

Lesen Sie hier und hier die weiteren Texte von Gerhard Strate zum Fall Dieter Wedel

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