Die letzten 24 Stunden von Wigald Boning - Nicht ohne meinen Nasenhaarschneider

Wigald Boning dachte einst, er könnte sich unsterblich machen. In seinen letzten 24 Stunden würde er noch einmal sein Lieblingsessen verzehren und mit Sauna und Musik das Leben abrunden. In seinem Sarg darf eines auf gar keinen Fall fehlen.

Himmel, Hölle und Reinkarnation. Oder doch die gediegene Schwärze? / Dirk Brunleckl
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Autoreninfo

Björn Eenboom ist Filmkritiker, Journalist und Autor und lebt im Rhein-Main-Gebiet.

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Der 1967 in Wildeshausen geborene Komiker, Musiker und Autor gehört zu den bekannten Fernsehpersönlichkeiten des Landes. Die Tournee „Gute Frage!“ gemeinsam mit Bernhard Hoëcker wird nach dem Lockdown fortgesetzt.

Im ersten Moment überkommt mich ein Unglaube, dass meine letzten 24 Stunden anbrechen. Auch wenn „carpe diem“ ein guter Rat ist, trage ich ihn nicht in jeder Lebenssekunde vor mir her und hake rasch nach: Ist dies wirklich mein allerletzter Tag?
Das Grundproblem ist geklärt. Ich befinde mich in München und überlege kurz, ob ich noch ein neues Kapitel aufschlagen soll. Doch das wäre mir zu viel Aufregung und könnte in Stress ausarten. Alles bleibt, wie es ist.

Ich beginne den Tag mit einem Lauf, trabe durch den Nymphenburger Park und hänge zur Feier des Tages den Olympiapark dran bis hinauf zum Olympiahügel. Das Kaiserwetter verstärkt das Laufvergnügen, löst gleichzeitig jedoch eine gewisse Melancholie aus. Denn meine Lieben das letzte Mal zu sehen, ist der entscheidende Wermutstropfen. Gruselwetter hätte die Sehnsucht nach einem jähen Ende wohl begünstigt.

Eine Portion Humor... und Grünkohl

Humor ist die einzige Lösung, um sich aus den unvermeidbaren Phasen der Melancholie zu befreien. Und birgt erhebliche Vorteile, denn viele Dinge haben an diesem Tag überhaupt keine Bedeutung mehr. Prokrastination in Reinform – auch wenn es wahrscheinlich ins Nirgendwo führt.

Für die Henkersmahlzeit kommt mir als Oldenburger Grünkohl und Pinkel gelegen – ein Essen, das ich als Kind verschmäht habe, da ich nicht nachvollziehen konnte, warum Erwachsene auf einer Kohlfahrt besoffen durch die Gegend torkeln und sich dann so viel davon in sich reinschaufeln müssen. Im Laufe meines Lebens habe ich das Gericht jedoch als heimatlichen Anker kulinarisch zu schätzen gelernt, wenn auch ohne den Abusus. 

Von der Sauna in den Sarg

Im Anschluss lege ich als passionierter Saunagänger drei Gänge ein. Ich lese dort sehr gerne, was dazu führt, die gesamte Literatur in saunataugliche und weniger geeignete Texte einzuordnen. Tolstois „Krieg und Frieden“ ist nicht zu empfehlen. Stattdessen lese ich Robert Walser und E. M. Ciorans „Vom Nachteil, geboren zu sein“ in einer Taschenbuchausgabe. Im Verlauf des ersten Saunagangs löst sich der Klebstoff, und das Buch verliert alle Seiten.

Am Abend richte ich für meine Freunde und Familie ein Hauskonzert aus und musiziere mit meinem Freund Roberto Di Gioia ein Potpourri unserer schönsten Lieder. Zum Abschluss spiele ich auf der Querflöte „Fly me to the moon“, mit Roberto am Klavier.
Ich bete jeden Tag. Bei einem Agnostiker wie mir sind diese Dankesgebete womöglich nur Selbstgespräche, was jedoch, sofern Gott den Menschen nach seinem Ebenbild geschaffen hat, auf dasselbe hinausläuft. Wenn ich an Gott denke, kommt mir unweigerlich ein von Religiosität durchdrungener älterer Herr mit einem sehr schlecht sitzenden Gebiss in den Sinn, den ich in der Zeit des Zivildiensts bis zum Tod gepflegt habe. Himmel, Hölle und Reinkarnation sind willkommen. Ich vermute jedoch, dass es bei einer gediegenen Schwärze bleibt. 

Ich lasse mich klassisch im Sarg beerdigen, mitsamt meiner geliebten Nasenhaarschneider-, Duschhauben- und Einkaufszettelsammlung. Zeitweilig dachte ich für Sekunden, ich könnte mich unsterblich machen, doch daraus wurde nichts. Ich reihe mich ein in den menschlichen Mainstream, und so endet alles mit einem letzten Scheitern.
 

Dieser Text stammt aus der April-Ausgabe des Cicero, die Sie am Kiosk oder direkt bei uns portofrei kaufen können.

 

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