Deutschlands teuerster Maler - Gerhard Richter wird 90

Anfangs malte er Spruchbänder in der DDR. In der Bundesrepublik wurde Gerhard Richter berühmt und gilt heute als einer der größten Künstler der Welt. Zwar hat er die Malerei vor einiger Zeit aufgegeben, dennoch ist er nach wie vor der teuerste deutsche Maler der Gegenwart. Heute begeht er seinen 90. Geburtstag.

Gerhard Richters Gemälde „Atelier“ von 1985 / dpa
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Autoreninfo

Ralf Hanselle ist stellvertretender Chefredakteur von Cicero. Im Verlag zu Klampen erschien von ihm zuletzt das Buch „Homo digitalis. Obdachlose im Cyberspace“.

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Alles, was man über Gerhard Richter sagt, stimmt. Aber garantiert stimmt auch das Gegenteil. Der Künstler, der heute 90 Jahre alt wird, malte fast sieben Jahrzehnte lang Bilder und Bilderverbote, ist Ja- und Neinsager, ist der Malerei Anfang und Ende. Vor anderthalb Jahren legte er den Pinsel für immer aus der Hand und fertigt seitdem nur noch Bleistiftzeichnungen an. Sein letztes veröffentlichtes Werk sind drei große Kirchenfenster für das Kloster Tholey im Saarland; Werknummer 957.

Es ist ein Zwiespalt, der das Werk des 1932 in Dresden als Lehrersohn geborenen Richters früh bestimmt. „Es gibt keine bewusste Verbindung in mir“, hat er einmal gesagt; und: „Ich habe nie gewusst, was ich tue.“

Seiner Taten bewusst ist er sich sicherlich noch 1951 gewesen, dem Jahr, in dem sich der damals 19-Jährige, der sich zunächst als Bühnen- und Spruchbandmaler durchschlägt, an der Kunstakademie seiner Heimatstadt inskribiert. Noch Jahre später schwärmt er von diesem malerischen Beginn. Oberhalb der Brühlschen Terrasse konnte der Vertreter der sogenannten skeptischen Generation mit einem Mal Teil von etwas Größerem werden – Teil einer Kunsttradition, die in Dresden bis weit ins 18. Jahrhundert zurückreicht.

Kapitalistischer Realismus

Doch an der Akademie verspürt er bald die Zerrissenheit. In einem akademischen Umfeld, das sich in der jungen DDR von kitschigen Realismen treiben lässt, wird dem rebellischen Richter die Luft schnell zu dünn. Formalismus ist hier Fehlanzeige; und die gängigen Stile des Westens – Informel oder Tachismus – sind für die dogmatischen Kunstwächter der Beelzebub des Bolschewismus.

1961 also verlässt Richter diese Kleingeisterei; „raus aus dieser etablierten Verlogenheit“. Mit kleinem Gepäck flieht er nach Düsseldorf; lässt alles zurück, was er im anderen Deutschland geschaffen hat. Selbst in späteren Werkverzeichnissen wird das Frühwerk kaum noch Erwähnung finden.

Das Rheinland, bald Epizentrum von Fluxus und westdeutscher Neoavantgarde, hätte Gerhard Richter ästhetische Heimat werden können. Doch kaum angekommen, wechselt er die Stoßrichtung. Bei einem bis heute legendären Happening in einem ehemaligen Möbelgeschäft an der Düsseldorfer Kaiserstraße stellt er erstmals realistische graue Fotobilder aus – Malereien, die nach fotografischen Vorlagen aus Zeitungen und Familienalben entstehen; figurative Gemälde, leicht verwaschen und vernebelt. Zusammen mit Sigmar Polke, Manfred Kuttner und seinem Dresdner Freund Konrad Lueg nennt er diesen neuen Stil zunächst den „Kapitalistischen Realismus“.

Stammheim-Zyklus

Für eine Zeitlang wird Gerhard Richter, der sich damals intensiv mit der Junk-Kultur der amerikanischen Gegenwartskunst auseinandersetzt, eine Art Deutschpopper aus Düsseldorf. Er malt Kühe, Klopapier und Kampfflugzeuge. Sein vielleicht berühmtestes Bild dieser Zeit: „Ema (Akt auf einer Treppe)“. Wie auf seinen anderen Unschärfebildern auch dämmert hier eine profane Realität im Nebel dahin.

Und dann – wieder ein Wechsel: 1966 produziert Richter plötzlich bunte Farbtafeln; später Seestücke, Wolkenzyklen und Landschaftsbilder mit dickem Farbauftrag. Mit seinen 1988 entstandenen Stammheim-Bildern wird der Pionier des Profanen für einen Moment sogar politisch. In den 90ern schließlich macht das wortkarge Kunstchamäleon mit grauen Monochronien von sich reden. „Acht Grau“, so der Titel einer Geburtstagsschau, die die Deutsche Guggenheim vor 20 Jahren zu Richters Siebzigsten gezeigt hat.

Über all die Brüche hinweg – über den Stil der Stillosigkeit – hat man es aufgegeben, Gerhard Richter in eine Schublade stecken zu wollen. Er ist der, der sich immer entzieht. Immer antizyklisch. Immer zwischen den Stühlen. Keine Motive, nur Motivation. „Ich habe nichts zu sagen. Und das sage ich“, so hat es Richters Zeitgenosse John Cage einmal formuliert – ein Zufallskünstler, den der heute in Köln-Hahnwald lebende Gerhard Richter wohl nicht von ungefähr mit einem abstrakten Bilderzyklus geehrt hat.

Das Bedeutungslose bekommt ganz neue Bedeutung

Vermutlich hat es letztlich viel mit dieser Unbestimmtheit zu tun, dass der an sich schüchterne Gerhard Richter zum teuersten deutschen Künstler der Gegenwart geworden ist; zur malenden Marke. Denn wovon man nicht reden kann, das kann man kaufen. 450 Deutsche Mark soll einst das erste Gemälde gekostet haben, das 1964 einen damals wohl experimentierfreudigen Sammler fand. Ein Schnäppchen. Kein Vergleich zu den Abermillionen, die Arbeiten des einstigen Kunstprofessors heute auf dem Sekundärmarkt erzielen.

So also hat sich das Blatt gewendet. Richters moderne Mischung enthält heute die Blue Chips des Kunstmarkts. In seinem Portfolio befindet sich alles, was nach landläufiger Meinung arty ist – alles, was ohne „-ismen“ daherkommt: Figuration und Abstraktion, Historie und Banalität, Fotobild und übermalte Fotos. Die Chinesen, heißt es, schätzen Richters Abstraktionen, die Deutschen seinen „Stammheim-Zyklus“; Investoren loben die Werthaftigkeit; das Eventpublikum schwärmt von einem Modernen, der sogar „richtig“ malen könne.

Vielleicht ist es ja das, was „Kapitalistischer Realismus“ heute bedeutet. Eigentlich, hat Richter einmal gesagt, sei die Wortschöpfung ja nur eine Schnapsidee gewesen. Schnell dahingesagt. Bedeutungslos. Aber so ist das wohl bei diesem Maler: Das Bedeutungslose bekommt irgendwann ganz neue Bedeutung.

In der Neuen Nationalgalerie in Berlin findet ab morgen bis zum 29. Mai eine Sonderausstellung zum 90. Geburtstag von Gerhard Richter statt: „Gerhard Richter. Künstlerbücher“.

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