Deutsch-russisches Verhältnis - Liebesgrüße aus und nach Moskau

Die zwei ehemaligen Top-Diplomaten Wladimir Grinin und Rüdiger von Fritsch analysieren das deutsch-russische Verhältnis. Finden beide Länder noch zusammen?

Russland und Deutschland: Zerstörtes Vertrauen nach jahrelanger diplomatischer Aufbauarbeit / dpa
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Wladimir Grinin ist ein russischer Spitzendiplomat und ein erstklassiger Deutschlandkenner. In den Jahren 2010 bis 2018 hat er als Botschafter sein Land in Berlin vertreten und über diese Zeit jetzt mit „Meine Jahre in Berlin“ ein Erinnerungsbuch vorgelegt. 

Das Bekenntnis seiner Zuneigung zu Deutschland erscheint ebenso glaubwürdig wie sein Bedauern über die Verschlechterung der bilateralen Beziehungen. Botschafter Grinin verbindet seine Sympathie zu Deutschland aber mit einer festen Verankerung in der offiziellen Sichtweise der Dinge in Moskau. Und nach dieser gibt es nur einen Schuldigen für die „bis zur Russophobie gesteigerte Feindseligkeit“, nämlich die USA: „Die Staaten der EU, allen voran Deutschland, vermochten es nicht, sich aus der Vormundschaft der USA zu lösen und sich als eigenständiges Subjekt zu emanzipieren“, konstatiert Grinin. 

Die „sogenannte Ukrainekrise“ wird zwar erwähnt, aber nicht im Detail erklärt. Das erscheint auch nicht zwingend, da sich die vielen persönlichen Begegnungen, über die Grinin berichtet, auf Gesprächspartner konzentrieren, „die sich um eine Annäherung oder zumindest eine Normalisierung der Beziehungen zu unserem Land bemühten“.

Zuversicht bezieht Russlands Botschafter aus zwei anderen Bereichen: Kultur und Wirtschaft. Hier findet Grinin Gemeinsamkeiten, die in der Politik fehlen, und die bilden „mitunter die einzige Brücke, über die noch gemeinsam gegangen wurde“. Und die wirtschaftliche Kooperation schreitet voran, auch wenn die „sogenannte Ukrainekrise“ zu schädlichen Sanktionen geführt hat. Das alles stimmt optimistisch. Dem Schlusswort von Grinin wird trotzdem kaum einer widersprechen: „Aber das in den letzten Jahren zerstörte wechselseitige Vertrauen, in jahrelanger mühsamer diplomatischer Arbeit entwickelt, wird nicht in kurzer Zeit wiederhergestellt werden.“

Russlands Phantomschmerz und Paradoxie

Es gibt aktuell ein weiteres Erinnerungsbuch eines Top-Diplomaten. Rüdiger von Fritsch war von 2014 bis 2019 deutscher Botschafter in Moskau und nennt seinen Band „Russlands Weg“. Der Autor bekennt sich als Russlandversteher, hat sich aber vor allem durch seine Vorliebe zur „klaren Kante“ und zum offenen Wort einen Namen gemacht. Von Fritsch spürt dem Weg Russlands zum „Phantomschmerz“ über den Verlust des Imperiums von 1991 nach, sieht es aber als paradox an, dass Russland als größtes und an Bodenschätzen reichstes Land der Welt ständig in Angst lebt, bedroht und bedrängt zu werden. 

Von Fritsch umschifft keines der schwierigen Themen. Er buchstabiert den Ukraine-Krim-Konflikt aus, beleuchtet aber auch die Mordanschläge von Anna Politkowskaja bis zu Alexej Nawalny und geißelt die Moskauer Methoden der vertrauenszerstörenden „Hybriden Kriegsführung“ mit den Troll- und Cyber­angriffen auch auf deutsche Ziele.

Äußerst fakten- und kenntnisreich

Die Fragestellung begrenzt sich nicht nur auf das deutsch-russische Verhältnis. Von Fritsch legt auch dar, wie sich Russland im Innern politisch, wirtschaftlich und kulturell entwickelt, teilt Einblicke in die Rolle der Zivilgesellschaft, in die von Putin forcierte Geschichtspolitik und in die Position der orthodoxen Kirche. Das alles wächst zusammen zu einer Art „politischer Landeskunde“ über das heutige Russland, sehr farbig und äußerst fakten- und kenntnisreich. 

Am Schluss fasst von Fritsch sein Credo zusammen: „Differenzen klar benennen und nicht unter den Teppich kehren, Gefährdungen vorausschauend ausräumen, nach Gemeinsamkeiten suchen und konkrete Projekte der Zusammenarbeit gestalten, ohne sich krampfhaft neue Angebote auszudenken.“ So nüchtern das klingt: Viel anders kann man aus Deutschland „Russlands Weg“ nicht begleiten.

Rüdiger von Fritsch: Russlands Weg. Als Botschafter in Moskau. Aufbau, Berlin 2020. 349 Seiten, 22 €.

Wladimir M. Grinin: Meine Jahre in Berlin. Das neue Berlin, Berlin 2020. 240 Seiten, 18 €.

Dieser Text stammt aus der Januar-Ausgabe des Cicero, die Sie am Kiosk oder direkt bei uns portofrei kaufen können.

 

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