Deniz Yücel und der PEN - Worte mit Gewicht

Gleich fünf ehemalige PEN-Präsidenten fordern den Rücktritt ihres Nachfolgers Deniz Yücel - weil der eine Flugverbotszone über der Ukraine gefordert hatte. Er habe damit gegen die Charta des Internationalen PEN verstoßen. Doch Schriftsteller haben sich immer schon zu Fragen von Krieg und Frieden geäußert. Das muss auch für einen Verbandsvorsitzenden legitim sein, selbst wenn man dessen Meinung nicht teilt.

Deniz Yücel bei der Auftaktveranstaltung der lit.Cologne / dpa
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Autoreninfo

Ralf Hanselle ist stellvertretender Chefredakteur von Cicero. Im Verlag zu Klampen erschien von ihm zuletzt das Buch „Homo digitalis. Obdachlose im Cyberspace“.

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Das Wort ist zu keiner Zeit unschuldig. Selbst dann nicht, wenn die Führer des Wortes es so oder ähnlich gerne behaupten: „Literatur kennt keine Grenzen und muss auch in Zeiten innenpolitischer wie internationaler Erschütterungen eine allen Menschen gemeinsame Währung bleiben“, heißt es in der 1948 in Kopenhagen verabschiedeten Charta des Internationalen PEN-Zentrums. Hehre Worte. Doch Worte sind eben selten hehr. Worte teilen und sind doppelbödig. Worte sind mehrdeutig, nicht immer heilend, zum Teil gar sind sie äußerst verletzend. Nichts dringt tiefer als das linguistische Messer.

Das mussten in den letzten Tagen auch die Mitglieder des Deutschen PEN auf die eine oder andere Weise schmerzlich erfahren. Deniz Yücel nämlich, seit Oktober letzten Jahres Präsident der deutschen Sektion der 1921 von der britischen Schriftstellerin Catherine Amy Dawson Scott gegründeten internationalen Schriftstellervereinigung, hat während der Auftaktveranstaltung der diesjährigen lit.Cologne Sätze ausgesprochen, die weder anmutig noch schön erschienen, die nicht verbindend und auch nicht grenzüberschreitend waren.

Im Gegenteil: Als Yücel in Köln von der Moderatorin gefragt wurde, ob die Nato nicht eventuell den Luftraum über der Ukraine schließen solle, antwortete der Journalist der Tageszeitung Die Welt recht unpoetisch und kurzatmig: „Wäre ’ne gute Idee, oder?“ Andernfalls nämlich, so Yücel, drohe ein Bombardement Kiews durch die russischen Streitkräfte: „Das ist ja nicht, weil die Ukrainer so scharf darauf sind, jetzt uns auch in diesen Krieg einzubeziehen.“

Die Freiheit des dummen Wortes

Sprach’s und drohte von der „gemeinsamen Währung“, von der da in der Charta des PEN noch immer die Rede ist, für immer abgeklemmt zu werden. Gleich fünf ehemalige PEN-Präsidenten nämlich – Johanno Strasser, Josef Haslinger, Gert Heidenreich, Regula Venske und Christoph Hein – forderten in einem gemeinsamen Brief den Rücktritt Yücels vom Präsidentenamt.

Die Seele der friedliebenden Wortwächter, ja, die der schreibenden Unschuldslämmer, die mit ihren Romanen, Essays und Gedichten ja eigentlich nichts weiter taten, als das letzte Refugium des Wahren, Schönen und somit notgedrungen auch Guten zu bewachen, war tief getroffen. Deniz Yücel, der bei seiner Antrittsrede als PEN-Präsident noch die „Freiheit des dummen Wortes und auch die Freiheit der bescheuerten Kunst“ verteidigen wollte, war offensichtlich zu weit gegangen. Denn derart dumm und bescheuert durften die freien Worte nun wirklich nicht sein. Yücel, so die empörten Club-Mitglieder aus den Vororten Arkadiens habe mit seinen „öffentlichen militärstrategischen Äußerungen“ gegen die Charta des Internationalen PEN verstoßen, die sich „dem Ideal einer in Frieden lebenden Menschheit verpflichtet“ fühle.

Man kann diesen Widerspruch durchaus verstehen. Als Vorsitzender eines Vereins oder einer Gemeinschaft sollte man sich bei Streitfragen nicht nur am Riemen reißen, man sollte vor allen Dingen bemüht sein, alle Mitglieder abzubilden und in den öffentlichen Auftritten mitzunehmen. Bei einer derart kontrovers diskutierten Frage wie der nach den moralischen Geboten und den realen Grenzen der Nato im Ukrainekrieg ist das beileibe nicht einfach. Wäre es da also nicht besser gewesen, Deniz Yücel hätte in dieser heiklen Angelegenheit schlicht geschwiegen? Si tacuisses, philosophus mansisses, lautet doch von je der weise Rat an alle öffentlich auftretenden Redner,  Schriftsteller und Vereinsvorsitzende, denen das zu schnell gesprochene Wort allzu gerne im Mund umgedreht wird.

Worte sind nicht immer schön

Doch der PEN, und an dieser Stelle beginnt der Feldzug gegen das traumverlorene L’art pour l’art eines Josef Haslinger oder Christoph Hein, wäre eben nicht der PEN, wenn er sich bei den großen Fragen um Krieg und Frieden nicht immer schon öffentlich zerstritten hätte. Es existiert nämlich einfach nicht, dieses gelobte Land der Schäferromane und bukolischen Dichter, in welchem man sich weltabgewandt dem Duft der Rosenblätter ergibt und Nymphen mit jambisch alternierenden Versen bezirzt. Das „Ideal der in Frieden lebenden Menschheit“ aus der Charta des PEN in allen Ehren, aber zuweilen ist selbst Roland Kaiser dem Leben näher als Vergil: „Es kann der frömmste nicht in Frieden leben, wenn ihn der Himmel nicht verschont.“

Damit sei an dieser Stelle nicht einer Flugverbotszone das Wort geredet, wie sie vielleicht einem Deniz Yücel vorschwebt. Im Gegenteil. Worum es jetzt gehen muss, ist Realismus: „Ich glaube, wenn man sich die Charta anguckt, entdeckt man kaum literarische Anleitungen oder die Aufforderung zu literarischen Gesprächen. Die Charta verpflichtet jedes Mitglied, gegen Zensur, gegen Rassenhass, gegen Nationalismus aufzutreten, und ich sehe darin fast rein politische Aufgaben.“ Kein Geringerer als Heinrich Böll hat das mal über die Grundsätze des PEN gesagt. Auch der war einst Präsident dieses namhaften Schriftstellerverbandes – zunächst des deutschen, dann des internationalen. Das war die Zeit, in der Worte noch Gewicht hatten – besonders auch die Worte des PEN. Und das gerade nicht, weil sie immer nur schön oder gar beschönigend waren.

Ja, vielleicht waren Yücels Worte dumme Worte. Aber was gilt es in dummen Zeiten mehr zu verteidigen als die dummen Worte? Die schönen nämlich, die unpolitischen, die allzu legeren und lauschigen – sie helfen nicht mehr weiter.

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