Demo als Kommerz - Lasst die Welt doch einfach untergehen!

Für 30 Euro kann man im Juni 2020 im Berliner Olympiastadion mit Gleichgesinnten für eine bessere Welt demonstrieren. Einen Beitrag zur Demokratie leistet man so aber nicht. Das kommerzielle Event entpolitisiert Politik unter dem Deckmantel politischer Anliegen

Draußen demonstrieren war gestern: Wer die Welt wirklich retten will, kauft Tickets fürs Olympiastadion / picture alliance
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Autoreninfo

Alexander Grau ist promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist. Er veröffentlichte u.a. „Hypermoral. Die neue Lust an der Empörung“. Zuletzt erschien „Vom Wald. Eine Philosophie der Freiheit“ bei Claudius.

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Selten war Weltrettung so kuschelig und so günstig. Mit 29,95 Euro ist man dabei: am 19.Juni 2020 im Berliner Olympiastadion. Dort treffen sich alle Engagierten und Gutmeinenden, um die Welt zu verbessern. Mit dem Kauf der Eintrittskarte, so kann man auf der Homepage der Veranstalter lesen, kann man an allen Aktionen vor Ort teilnehmen: „Es wird großartige Reden geben und spannende Persönlichkeiten, live Musik sowie direkte demokratische Handlungen, zum Beispiel Petitionen“. Und in dem Imagevideo zur Kampagne belehren uns Ex-Viva-Moderatorin Charlotte Roche, Startup-Gründer Waldemar Zeiler und die Fridays-for-Future-Aktivistin Luise Neubauer: „Heute geht es um Dich“ – „um mich“ – „und um uns alle, zusammen“.

Doch zunächst geht es vor allem um eine Crowdfunding-Kampagne. Bis zum 24.Dezember möchte man 1,8 Millionen Euro (erstes Fundingziel), besser noch 2,7 Millionen Euro (zweites Fundingsziel) durch den Verkauf von Tickets zusammenbekommen. Mit diesen Beträgen sollen die anfallenden Kosten für die Miete des Berliner Olympiastadions gedeckt werden, die Sicherheitsmaßnahmen, die Technik und dergleichen. Doch wozu das alles? Ganz einfach: „Es geht um die Zukunft unserer Zivilisation“, heißt es in dem Image-Filmchen, „und wie wir zusammen die größte Krise der Menschheit lösen können.“ Und schließlich recht ironiefrei: „Die Lösung gibt es bei Startnext zu kaufen. Für nur 29 Euro 95 könnte ihr euer Ticket zur größten Krisensitzung Deutschlands kaufen. So billig war Weltrettung noch nie“.

Werbung für Tampons  

Machen wir es kurz: An dieser Kampagne ist einfach alles verkehrt. Eine krudere Mischung aus dümmlichem Startup-Gequatsche, naivem Weltrettungsgetue und peinlichem Eventgehabe hat man selten gesehen. Wenn dieser Blödsinn der Preis für die Weltrettung ist, dann bitte: Lasst die Welt doch einfach untergehen! Es ist die angenehmere Lösung.

Vorbild für den kruden Event ist eine Petition von Anfang 2019 mit dem Ziel, den Mehrwertsteuersatz für Menstruationsprodukte auf 7 Prozent herabzusetzen. Und tatsächlich beschloss der Bundestag Anfang November eine entsprechende Gesetzesänderung. Mitinitiator der Hygieneartikelpetition: das Berliner Startup Unternehmen einhorn, das unter anderem Kondome und – Überraschung – Damenhygieneartikel herstellt. Mitgründer von einhorn ist Waldemar Zeiler, ein ehemaliger Investmentbanker, der nun als wandelndes Hipster-Klischee durch die Welt läuft und ein gutes Gefühl für kostenloses Marketing und das neueste Zeitgeistgeschwurbel hat. Kein Wunder also, dass einhorn ein Hauptinitiator der Kampagne ist – neben der DEAG im Übrigen, der Deutschen Entertainment AG, einem der größten europäischen Konzertveranstalter.

Gutgelauntes Marketinggefasel  

Bei so viel geballter Selbstlosigkeit ist es kein Wunder, dass man nicht nur das Klima retten möchte, sondern zum großen Weltrettungsrundumschlag ausholt: „Klimawandel, Rechtsruck, globale Ungerechtigkeit ... Am 12. Juni 2020 wollen wir einen entscheidenden Anstoß dafür geben, unsere Gesellschaft, Politik und Wirtschaft so umzugestalten, dass aus unserer Zukunft wieder eine handfeste Perspektive für unseren Planeten und uns als seine Bewohner*innen erwächst.“

Und in einer kruden Mischung aus hysterischem Predigerton und gutgelauntem Marketinggefasel heißt es weiter: „Stell dir vor, es gibt einen Tag, der einzig allein dafür da ist, die Welt zu einem zukunftsfähigeren Ort zu gestalten. Stell dir vor, dass du ein Teil davon bist. Stell dir vor, es gibt ein riesiges Stadion mit bis zu 90.000 Menschen darin, die sich alle für eine bessere Welt einsetzen wollen.“

Krisengipfel der Guten 

Hier offenbart sich ein Demokratieverständnis, dass leider nur zu gut zu dem gewählten Ort des Geschehens und seiner Tradition passt. Denn suggeriert wird eine Art Volksbewegung, eine Demokratie von unten. Die Buntheit und Diversität, die beschworen wird, ist natürlich reiner Selbstbetrug. Hier trifft sich, wenn alles klappt, eine homogene Gruppe der Gleichgesinnten, die sich selbst für die Guten, die Einsichtigen und die Mehrheit halten (oder zumindest für diejenigen, die die Mehrheit sein sollten).

Doch Demokratie bedeutet nicht, dass Menschen miteinander diskutieren, die ohnehin einer Meinung sind, sondern Kontroversen zwischen Bürgern unterschiedlicher Lager, Milieus und Interessen. Das genau wird aber nicht passieren. Man wird in seinem eigenen Weltanschauungssaft schmoren und es Demokratie nennen. Und ganz nebenbei wird Politik zu einer Konsumware reduziert, die man nebenbei zum Schnäppchenpreis kauft, um sich dabei wohlzufühlen. Das ist die Entpolitisierung der Politik unter dem Mäntelchen politischer Anliegen. Mehr intellektuelle Trostlosigkeit war selten zu besichtigen.

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