Bundestagsdebatte um Infektionsschutzgesetz - Ohne Kultur

Man konnte es der Debatte nicht entnehmen: Es ging im Bundestag beim Infektionsschutzgesetz heute eigentlich auch um die Kultur. Beziehungsweise um ihre fortgesetzte Aussetzung. Keine Perspektive, nirgends.

Galgenhumor im Lockdown, Februar 2021. Foto: picture alliance/dpa | Frank Rumpenhorst
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Jens Nordalm leitete bis August 2020 die Ressorts Salon und Literaturen bei Cicero.

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Janika Gelinek ist alles andere als eine Querulantin. Auch keine „Querdenkerin“. Sie ist eine leidenschaftliche Frau der Literatur. Sie leitet gemeinsam mit Sonja Longolius seit 2018 das Literaturhaus Berlin in der Fasanenstraße. Ein Haus, das sie seither zu einem leuchtenden Zentrum des literarischen Lebens in Berlin gemacht hat. Mit einem verlässlich reizvollen Programm, das ästhetischen Anspruch mit gesellschaftlicher Relevanz verknüpft – und, ja, das auch einfach die Lust aufs plaudernde Zusammensein in den wunderbaren Räumen dieses Ortes in der Fasanenstraße auf das Schönste bedient. Oder muss man sagen: Bediente?

Jetzt platzte Janika Gelinek jedenfalls der Kragen. Sie hatten viel gearbeitet im Literaturhaus, um nun im Frühling ein Programm draußen im Garten bieten zu können. Unter dem Motto „Fasten your Gartenstuhl“. Endlich sollte die Zeit des einsamen Streamens vorbei sein. Bühne, Dach, Decken, Regenschirme standen und lagen bereit. Ein Konzept nicht für hunderte, sondern für vielleicht jeweils 40 Menschen. Alle Studien sah das Team auf seiner Seite: Kaum vorhandene Ansteckungsgefahr im Freien bei Einhaltung von Abständen. Selbst drinnen, im Theater oder im Konzertsaal, ist ja, wie man längst weiß, die Ansteckungsgefahr geringer als im Supermarkt oder im öffentlichen Nahverkehr.

Schweigen aus der Politik

Und nun in der „Bundesnotbremse“ der Neufassung des Infektionsschutzgesetzes die unterschiedslose und undifferenzierte Schließung der Kultureinrichtungen, ob drinnen oder draußen, bei Überschreitung der 100er-Inzidenz.

„Seid ihr denn verdammt noch mal des Wahnsinns?“, rief Janika Gelinek also gestern in der „Welt“.

Das ist das Zermürbende, das ist, was friedliche, unpolemische Menschen wie Janika Gelinek jetzt wütend macht. Der gesunde Menschenverstand und wissenschaftliche Studien sind auf ihrer Seite. Und aus der Politik schweigt es ihnen entgegen, als wenn sie sich diese schlagenden Argumente nur einbildeten.

Auch der „Deutsche Kulturrat“, der Spitzenverband der 262 Bundeskulturverbände aller künstlerischen Sparten, hatte sich ins Zeug gelegt, hatte im Rahmen der Öffentlichen Anhörung Änderungsanträge an den Gesundheitsausschuss übersandt und gestern noch einmal an die Abgeordneten appelliert. Modellprojekte im Kulturbereich zur Testung von Öffnungen, wie sie etwa in Berlin vor Ostern begonnen hatten, aber schnell abgebrochen wurden, sollten möglich bleiben. Und auch der Kulturrat forderte, eine Unterscheidung von Drinnen und Draußen zu machen – und Veranstaltungen unter freiem Himmel, unter Einhaltung von Hygieneregeln, zu erlauben.

Ausnahmen nur für den Zoo

Im ursprünglichen Gesetzentwurf hatte es geheißen, ab einer drei Tage andauernden Sieben-Tage-Inzidenz von über 100 solle folgendes gelten: „Die Öffnung von Einrichtungen wie Theatern, Opern, Konzerthäusern, Bühnen, Musikclubs, Kinos mit Ausnahme von Autokinos, Museen, Ausstellungen, Gedenkstätten sowie zoologische und botanische Gärten sowie entsprechende Veranstaltungen sind untersagt.“ Nach den Beratungen im Gesundheitsausschuss hat sich das Ganze an einer Stelle entschärft. Die Außenbereiche von zoologischen und botanischen Gärten dürfen offen bleiben, mit Hygienekonzept und Negativtests. Wegen der Familien, damit ihnen ein Freizeit-Ziel bleibt.

In der Bundestagsdebatte selbst kamen heute andere mögliche Kollateralschäden durchaus zur Sprache. Die Frage der Verfassungsmäßigkeit der Ausgangssperre, die neben der AfD auch die FDP bezweifelt. Die Frage der erneuten Schulschließungen, die Folge des Gesetzes sein werden. Auch der Einzelhandel in verödenden Innenstädten. Oder der Sport von Über-14-Jährigen, der auch draußen nicht erlaubt sein wird. Aber eine Auseinandersetzung über den Kultur-Lockdown fand nicht statt. Oder nur in zwei Worten: Eine Rednerin sagte „Künstler und Musiker“, als sie Opfer dieses Gesetzes aufzählte. Das war Frauke Petry, fraktionslos, in den zwei Minuten Redezeit, die sie hatte.

Die Verbitterung über solche Wirkungslosigkeit berechtigter Einsprüche ist groß, und sie ist verständlich.

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