Corona und die Kultur - Die Dickschiffe werden überleben

Die Kreativwirtschaft befindet sich in der schwierigsten Phase ihrer Nachkriegsgeschichte. Die Schere zwischen privat getragener und staatlich unterstützter Kunst geht immer weiter auseinander. Dabei liegt in der Coronakrise auch eine Chance.

Der Gau einer ganzen Branche / dpa
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Autoreninfo

Alexander Kissler ist Redakteur im Berliner Büro der NZZ. Zuvor war er Ressortleiter Salon beim Magazin Cicero. Er verfasste zahlreiche Sachbücher, u.a. „Dummgeglotzt. Wie das Fernsehen uns verblödet“, „Keine Toleranz den Intoleranten. Warum der Westen seine Werte verteidigen muss“ und „Widerworte. Warum mit Phrasen Schluss sein muss“.

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Die Krise wird die Welt und unser aller Leben dauerhaft verändern, heißt es. Aber wie konkret? Elf Felder haben wir genauer unter die Lupe genommen oder Experten dazu befragt – von Kultur über Tourismus bis zur Geopolitik.

Das älteste Verlagshaus der Welt heißt Schwabe und geht auf das Jahr 1488 zurück. In der Corona-Krise bietet der Fachverlag seine E-Books mit einem Rabatt von 70 Prozent an. Immerhin 40 Prozent Nachlass gewährt Audiobooks auf Hörbücher und bittet im Sinn der „Bibliodiversität“ um Unterstützung. Die Existenz stehe auf dem Spiel. Der Bundesverband Deutscher Galerien und Kunsthändler spricht vom Gau einer Branche und erinnert: „Mit der Absage sämtlicher anstehender Kunstmessen nahm der Shutdown seinen Lauf. (…) Über 4000 Ausstellungen – Eintritt kostenlos – 
werden von Galerien jährlich für etwa 11 000 in- und ausländische Künstler auf eigenes wirtschaftliches Risiko organisiert.“ 

Die Kreativwirtschaft befindet sich in der schwierigsten Phase ihrer Nachkriegsgeschichte und steht vor einschneidenden Veränderungen. Alle „Großveranstaltungen“ bis Ende August sind abgesagt. Es könnte also ein Sommer werden ohne Festivals, Messen, Ausstellungen, ein Herbst ohne Premieren, womöglich auch ein Winter ohne Weihnachtsmärchen. Dass es in der Spielzeit 2019/2020 keine Aufführungen mehr in Theatern, Kinos, Opernhäusern geben wird, gilt als ausgemacht. Auch spätere Wiedereröffnungen Schritt für Schritt mit begrenzter Zuschauerzahl bedeuteten massive Einnahmeeinbußen. Manche Bücher werden nie erscheinen, manche Filme nie auf die Leinwand kommen. Nachholeffekte wird es da nicht geben, Insolvenzen sind unvermeidlich.

Mäzene werden wichtiger    

Alles entscheidet sich an der Frage der Rücklagen. Wer nicht vorsorgen oder umfinanzieren konnte, wird verschwinden. Die Schere zwischen privat getragener und staatlich unterstützter Kunst wird sich weiter öffnen. Das Mäzenatentum wird an Bedeutung gewinnen. Eine „Sammlung Würth“ und eine „Fondation Beyeler“ werden die Folgen der Krise schultern, ein „Renitenztheater“ in Stuttgart, eine „Komödie Winterhuder Fährhaus“ in Hamburg müssen sich sorgen. Was sind Soforthilfen von einmalig 9.000 oder 30.000 Euro für Soloselbstständige und Betriebe bis zu zehn Beschäftigten, verglichen mit dem garantierten Etat eines Staatstheaters im mittleren Millionenbereich? Kredite für mittlere und größere Unternehmen müssen zurückgezahlt werden. Kann das ein Auktionshaus, eine Galerie, ein Privattheater, wenn die Einnahmen viele Monate ausbleiben? Die freie Kulturszene wird nicht wiederzuerkennen sein. 

„Small is beautiful“: Das gilt nicht mehr. Eher die Dickschiffe als die Schaluppen werden überleben. Peter Altmaiers Credo „Wir lassen niemanden allein!“ wird einen ebenso harten Belastungstest erleben wie Monika Grütters’ Zusicherung, „dass wir mit dem Maßnahmenbündel der Bundesregierung eine Vielzahl unverschuldet in Not geratener Künstlerinnen, Kreativer, Medienschaffender und Kultureinrichtungen effektiv erreichen“. Bisher sieht es nicht so aus, als ließen sich diese Zusagen einhalten. Zahlreiche Appelle und offene Briefe künden von blanker Existenznot.

Die Krise als Chance 

Olaf Zimmermann vom Deutschen Kulturrat hat recht, wenn er darauf verweist, dass die enorme Zersplitterung des Kulturbereichs diesen in Krisen besonders verletzlich macht. Die Chance der Krise könnte darin liegen, dass Kultur sich künftig stärker auf ihre Kernkompetenzen besinnt und sich eher am Publikum ausrichtet als am eigenen Milieu. In den Worten des niedersächsischen Kulturministers Björn Thümler: „Kultur spendet Freude, Kultur stiftet Identität, Kultur definiert Heimat.“ Die Nachfrage nach allen drei wird größer sein denn zuvor.

 

 

 

Dieser Text stammt aus der Mai-Ausgabe von Cicero, die Sie am Kiosk oder direkt bei uns portofrei kaufen können.

 

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