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Gehört zum Lebens- und Freiheitsgefühl unserer Demokratie: Marek Lieberberg hält Rockmusik für systemrelevant / dpa

„Rock am Ring“-Initiator Marek Lieberberg - „Wir schauen in ein großes Loch“

Konzertveranstalter Marek Lieberberg sieht seine Branche in der Corona-Krise von der Politik im Stich gelassen. Der Initiator von Festivals wie „Rock am Ring“ fordert in „Cicero“ einen Rettungsschirm und eine klare Orientierung, wie es weitergehen soll.

Autoreninfo

Christoph Schwennicke war bis 2020 Chefredakteur des Magazins Cicero.

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Der 1946 in Frankfurt am Main geborene Konzertveranstalter Marek Lieberberg gehört zu den Großen der Branche. Seine Sommerfestivals „Rock am Ring“ am Nürburgring in der Eifel und „Rock im Park“ auf dem Nürnberger Zeppelinfeld gibt es seit 35 beziehungsweise 25 Jahren. Beide können in diesem Jahr wegen der Corona-Krise nicht stattfinden.

Herr Lieberberg, Sie arbeiten seit einem halben Jahrhundert in der Musikszene und Konzertbranche, tourten 1970 das erste Mal persönlich mit dem VW-Bus und Pink Floyd durch Deutschland. Haben Sie jemals einen Sommer ohne Rock ’n’ Roll erlebt? 
Marek Lieberberg: So etwas habe ich in meinem ganzen beruflichen Leben noch nicht erlebt. Selbst vor dem Summer of 69 nicht. Ich bin ein Kind der frühen Nachkriegszeit. Meine Eltern waren Überlebende des Holocaust, ich bin in einem Lager der Vereinten Nationen aufgewachsen. Das war zwar eine schwere Zeit, aber es ging jeden Tag ein Stück aufwärts. Ja, es gab die Angst des Kalten Krieges, die Angst vor der atomaren Bedrohung, den Baader-Meinhof-Herbst, dieses Nichtwissen, was auf einen zukommt. Aber selbst nach 9/11 war die Welt nicht so paralysiert und mit ihr natürlich auch die Musik. 

Corona ist schlimmer als die Nachkriegszeit, meinen Sie?
Selbst damals überwog der Optimismus. Ich erinnere mich an einen Spaziergang mit meiner Mutter durch meine Heimatstadt Frankfurt 1948. Sie war menschenleer, man hatte die Trümmer an die Seite geräumt, um sich überhaupt auf den Straßen bewegen zu können. Als kleiner Junge gewann ich jedoch den Eindruck, dass sich die Dinge tagtäglich verbessern. Es wurde gearbeitet, gebaut, die Versorgung verbesserte sich. In diesen Tagen und Wochen heute vermag ich hingegen keine bessere Zukunft zu erkennen. 

Die Konzertsäle sind seit Wochen leer und verwaist. Der Sommer mit den Open Airs fällt aus. Kein „Rock am Ring“, nichts. Was bedeutet dieser Shutdown für Ihre Branche?
Das hat große Verwerfungen verursacht. Man hat uns von jetzt auf gleich gesagt: Schluss. Aus. Von einem Tag auf den anderen schien die Musik gestorben. The day the music died, wie damals am 3. Februar 1959 beim tödlichen Flugzeugabsturz von Buddy Holly, Ritchie Valens und The Big Bopper. Man hatte das Gefühl, vor den Bus geworfen zu werden. Das hat mich an die aversive Atmosphäre der frühen Jahre der Rockmusik erinnert. Damals war die Wertschätzung für neue Töne relativ gering. Heute speist man uns mit Floskeln ab: Das sei jetzt wirklich am ehesten verzichtbar, und unterschwellig schwingt Abschätziges, sogar Vorwurfsvolles mit, so, als würden wir das Virus verbreiten.

Was aber blieb denn der Politik anderes übrig? Wie wäre es denn Ihrer Ansicht nach möglich gewesen, weiter Konzerte abzuhalten?
Darum geht es mir doch gar nicht. Mir fehlen Verständnis und Perspektive. Wenn ein Staat und sein Beamtenapparat solche Maßnahmen ergreifen, gibt es auch eine Fürsorgepflicht. Es gilt, die Folgen zu bedenken, wie man mit dem Vakuum umgeht, das man geschaffen hat. Dieser sofortige Knock-out für die moderne Kultur betrifft Hunderttausende existenziell. Die Vielzahl von Veranstaltern und ihre Teams sind nur die Spitze des Eisbergs. Dazu zählen Künstler, Crews, Aufbauhelfer, Techniker, Bühnenbauer, Tausende von Ordnern, all die Dienstleister und Zulieferer. Und die meisten von ihnen sind nicht in einer privilegierten Situation, über Reserven oder Rücklagen zu verfügen. Keiner von ihnen, selbst die Vorsichtigsten, konnten mit einem Szenario rechnen, das die Vollbeschäftigung auf null reduziert. Dass es in unserer Branche zyklisch zugeht, wissen wir. Aber unsere Welt stand still, bevor alles andere zum Stillstand kam.

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Michaela 29 Diederichs | Do., 23. April 2020 - 16:49

Schönes Interview. Es wirkt auf mich, wie aus der Zeit gefallen. Sind diese Festivals wirklich noch das, was sie vor vielen Jahren waren? Die Preise sind astronomisch, seit 9/11 mit massiver Security, Getränke elendig teuer, die Klos verdreckt. Auch diese Veranstaltungen gehören m. E. in ihrer Form komplett überdacht. Diese kollektiven Massenevents haben inzwischen für mich einen morbiden Charme.

Jürgen Keil | Do., 23. April 2020 - 19:29

Jeder Mensch sollte in der Zeit sorgen, um in der Not zu haben. Es kann außer der von uns erlebten Situation ja auch einmal eine großflächig wirkende Naturkatastrophe oder ein Terrorakt das Leben über einen längeren Zeitraum lahmlegen.
Meine Mutter hatte nur einen kleinen Verdienst, aber sie hat jeden Monat einen kleinen Betrag gespart. Wer nicht vorsorgt, wer in den Tag hinein lebt, der muss im Notfall mit den Konsequenten klarkommen. Dann den ungeliebten, oft gescholtenen Staat um Hilfe anbetteln, ist charakterlos und verlogen. Natürlich gibt es Härtefälle, wie Kranke, Behinderte, alleinstehende Mütter u.a.. Da muss geholfen werden. Junge Leute aber, die freiberuflich künstlerisch tätig sind, sollten auch an die Zukunft denken. Wenn sie es bis jetzt noch nicht taten, dann eben nach Corona. In solch einer Situation muss eben auch die Familie beistehen.