Christian Kracht: Eurotrash - Mutterland

Christian Krachts „Eurotrash“ ist einer der Favoriten für den Preis der Leipziger Buchmesse. Der Roman ist grausam und schön – aber ist er wirklich eine „Faserland“-Fortsetzung?

Sobald Germanistentagungen wieder möglich sind, wird der Irrgarten aus autobiografischen Bezügen mit Sicherheit restlos kartografiert werden/ Kiepenheuer & Witsch
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Autoreninfo

Jan Hoffmann studierte Rechtswissenschaften in Berlin und am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig. Veröffentlichungen u.a. im Logbuch Suhrkamp und bei Zeit Online. (Foto: Sibylla Hirschhäuser)

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Es begann damit, dass Christian Kracht das Cover seines neuen Romans „Eurotrash“ auf Instagram postete. Es zeigt das Bild eines eleganten Mannes mit eingefallenen Wangen, das Ohr schmücken zwei blutrote Kirschen. Darunter stand: „Die Fortsetzung. #faserlandrevisited #seeyouintwentyfiveyears“. Die literarische Sensation des Winters erhielt über 2500 Likes. Alte Weggefährten wie Benjamin von Stuckrad-Barre und Eckhart Nickel, man nannte sie einst Popliteraten, applaudierten digital. „Vielleicht sogar besser als Faserland“, titelten Zeitungen marketingwirksam schon vor Erscheinen.

Zur Erinnerung: „Faserland“, der erste Roman Christian Krachts, erschien 1995 und schaffte, was alle biederen Nachkriegsliteraten verschlafen hatten, nämlich die mündliche Leichtigkeit eines „Fängers im Roggen“ ins Deutsche zu übertragen, ohne dabei an Tiefe zu verlieren. Erzählt wird von einem an Deutschland und sich selbst leidenden jungen Mann, der in einer grünen Barbourjacke von Sylt nach Zürich reist. Dort lässt er sich von einem Fährmann über den See rudern, auf dessen Wassern er zu erzählen aufhört, vielleicht sogar stirbt.

Nach 25 Jahren jetzt also eine Fortsetzung. War der unzuverlässige Erzähler am Ende gar nicht so selbstzerstörerisch? Lebt er jetzt als Familienvater in einer Achtzimmerwohnung in Bogenhausen und muss nach einer Affäre mit der Haushaltshilfe von Happy Maids vorübergehend ins Sommerhaus auf Sylt ziehen? Verlieren nun unzählige Germanistikarbeiten mit Titeln wie „Die Ästhetik des Verschwindens“ oder „Pop und Tod“ ihre Gültigkeit?

Wirklich eine Fortsetzung?

Vermutlich nicht. Denn daran, dass „Eurotrash“ wirklich eine Fortsetzung von „Faserland“ ist, kommen schnell Zweifel auf. Der Erzähler zum Beispiel ist nicht namenlos. Er heißt Christian Kracht und gibt sich als Autor von „Faserland“ zu erkennen. Zürich, wo seine Geschichte beginnt, ist für ihn eine Stadt „der selbstherrlichen Strizzis“, in die er regelmäßig kommen muss, seiner Mutter wegen, einer belesenen und manipulativen Alkoholikerin. Seit Jahrzehnten ist sie „sehr krank, das heißt krank auch im Kopf, nicht nur dort, aber dort vor allem“.

Überhaupt erzählt dieser Christian Kracht beinahe österreichisch-umständlich. Aus den sich ihm aufdrängenden Erinnerungen an seine „zutiefst gestörte Familie“ kann ihn keine Heiratsfantasie mit Isabella Rossellini mehr befreien – er steckt fest im Gestern, die Vergangenheit ist ihm „viel realer und elastischer und präsenter als das Jetzt“. Da gibt es seinen Vater, Christian Kracht Senior, der einmal der Mann hinter Axel Springer gewesen ist, Anzüge aus der Savile Row trägt und seine Liebe gerne in Tausendfrankenscheinen ausdrückt. Da gibt es den Vater der Mutter, der bei der SS war, und in dessen Haus auf Sylt nach seinem Tod SM-Utensilien entdeckt wurden. Da ist die Vergewaltigung der Mutter und der Missbrauch, der Christian 1979 im kanadischen Internat widerfuhr.

Das Erinnerte bleibt unerträglich

Und weil das Erinnerte unerträglich und sinnlos bleibt, egal, wie oft er es durchgeht, muss doch wieder geflohen werden. Christian lässt seine Mutter Hunderttausende Franken, sonst in Milch- und Waffenaktien angelegt, von der Privatbank abheben. Die Krachts stopfen alles in eine Plastiktüte und brechen im Taxi auf zu einer Tour-de-Force, die sie von einer rechten Hippie-Kommune im Appenzellerland über Genfer Chalets bis zu einer Psychiatrie in Winterthur führt.

So weit die Fiktion. Sobald Germanistentagungen wieder möglich sind, wird der Irrgarten aus autobiografischen Bezügen mit Sicherheit restlos kartografiert werden. (Christian Kracht, der Autor, soll auf solchen Events übrigens gerne selbst im Auditorium sitzen.) Wer sich jedoch dem Impuls widersetzt, Biografisches und vermeintlich Biografisches detektivisch zu googeln, wird als Leser reich belohnt. Mit unfassbar schönen Sätzen oder mit berührenden Momenten wie dem, als Christian seiner Mutter einen frischen Beutel auf den künstlichen Darmausgang schraubt und sagt: „Ich hatte das Gefühl, etwas wiedergutgemacht zu haben.“ Und auch gelegentliche lahme Witze trüben nicht die Freude darüber, dass sich der Autor Christian Kracht nach den historisierenden Umwegen seiner letzten Romane der neuen post­ironischen deutschen Gegenwart nähert.

Christian Kracht: Eurotrash. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2021. 224 Seiten, 22 €

Dieser Text stammt aus der April-Ausgabe des Cicero, die Sie am Kiosk oder direkt bei uns portofrei kaufen können.

 

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