Christentum - Zweimal war Christi Recht

Die dänische Journalistin Charlotte Rørth schreibt über Menschen, die behaupten, ihnen sei Jesus erschienen – wie es auch ihr widerfahren sein soll. Kann man das glauben?

Erschienen in Ausgabe
Für den Schöpfer muss es ein diebisches Vergnügen gewesen sein, ausgerechnet der ungläubigen Charlotte Rørth zu erscheinen / Felix Adler
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Autoreninfo

Oliver Uschmann kam 1977 in Wesel zur Welt und hat als Schriftsteller und Leiter für literarische Workshops bereits Hunderte von Schulen aller Formen besucht. Einige seiner Jugendromane werden bereits von Schülern in Serbien und Polen gelesen. Derzeit arbeitet er gemeinsam mit seiner Frau und Ko-Autorin Sylvia Witt an neuen Stoffen

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Sich ein Leben lang an einen Ort zu binden, ist für viele eine befremdliche Vorstellung. Die zwölf Zisterzienserinnen des Klosters Helfta in der Lutherstadt Eisleben haben es in dieser Hinsicht aber gut getroffen. Das weitläufige Gelände mit Gästehaus, Café und einem lebendigen Labyrinth aus Heilpflanzen strahlt selbst auf Skeptiker eine Stimmung des Friedens aus. Charlotte Rørth gibt hier einen Workshop.

Der Kontakt nach Sachsen-Anhalt entstand durch eine dänischstämmige Nonne, die ihren Augen nicht traute, als sie vor einigen Jahren Rørths erstes Buch im Original auf einem Flughafen sah, „Jeg mødte Jesus“, „Ich habe Jesus getroffen“. Der deutsche Titel lautet „Die Frau, die nicht an Gott glaubte und Jesus traf“. Welch unglaubliche Provokation in einem protestantischen Land, in dem viele so geprägt sind, wie Rørth selbst es war: sozialistische Privatschule plus Bildungsbürgertum. Ihre Familie respektierte die Bibel als „Grundlage unserer Kultur“, nicht als Gotteswort.

Sie versteht Jesus, obwohl er Aramäisch redet

Für den Schöpfer, so er denn existiert, muss es ein diebisches Vergnügen gewesen sein, ausgerechnet diesem Menschen zu begegnen und ihn, wie die freundliche Frau Rørth behauptet, mit der Fähigkeit zum Aurasehen auszuzeichnen. Außerdem habe er ihr, behauptet die patente Frau Rørth weiter, heilende Energiestrahlen spendiert, die aus den Fingerspitzen dringen. Raffinierter wäre es aus göttlicher Sicht nur noch gewesen, den Atheisten-Guru Richard ­Dawkins aufzusuchen. „Ich habe viele Menschen kennengelernt, die sich nach einer solchen Begegnung nur noch mit sich selbst beschäftigt haben“, sagt die 1962 geborene Rørth, während ihr Mann sich mit dem Hund auf später verabschiedet. Zu diesen Menschen gehört auch eine Frau, die heute im Kloster Helfta lebt. Sie wurde augenblicklich Nonne. Charlotte Rørth hingegen wurde beinahe verrückt.

Ihr ganzes Leben lang hatte sie sich um Ökonomie, um Wissenschaft oder Technik-Start-up-Themen gekümmert, und dann das: Zweimal im Abstand von mehreren Monaten verbinden sich während einer strikt säkularen Pressereise nach Spanien in der Erlöserkapelle von Úbeda die Dimensionen. Rørth teilt sich plötzlich den Ort mit Jesus Christus, der im gleichen Augenblick zu seiner Zeit durch seine Heimatgassen wandelt. Sie versteht ihn, obwohl er Aramäisch redet. Noch am Flughafen sucht sie sich so lange durch Videos im Netz, bis sie den Zungenschlag wiedererkennt. Der Dialekt werde noch heute im syrischen Dorf Maalula gesprochen.

Ehemals Ungläubige, die sich Zweifel bewahrt hat

Mittlerweile hat sie hundert weitere Personen aufgesucht, die berichten, sie hätten Vergleichbares erlebt. In Dänemark sind diese Gespräche als zweites Buch unter dem Titel „Vi mødte Jesus“ erschienen, „Wir haben Jesus getroffen“ – abermals ein Bestseller. Jedem der Befragten zeigte sich der wiedergekehrte Gottessohn anders, weshalb Rørth ihre Erlebnisse auch nicht als realen Riss in der Raumzeit deutet wie ihr physikbegeisterter Sohn.

Aber auch nicht als pure Einbildung oder Nebenwirkung eines Hirntumors. Begegnungen dieser Art sind für die ehemals Ungläubige, die sich Zweifel bewahrt hat, Signale Gottes an seine irdischen Kinder. Dargereicht in der Form, die der jeweilige Adressat verstehen und – teils mit Mühe – verkraften kann. „Viele fragten mich, wieso ich die Heilkräfte nicht eingesetzt habe, um Menschen zu helfen. Na, vielen Dank für die Schuldgefühle! Ich hatte genug damit zu tun, mein Leben im Griff zu behalten. Hätte Gott aus mir eine Heilerin machen wollen, wäre ich Ärztin.“

Kriege sind allein Menschenwerk

Da sie weder Nonne werden noch „narzisstisch in mir selbst ertrinken“ wollte, arbeitete sie daran, die kognitive Dissonanz zwischen dem Erlebten und ihrem Weltbild zu befrieden: „In der Business-Sprache nennen wir das ‚alignment‘, das Bestreben, Handeln, Fühlen, Denken und Erleben in Einklang zu bringen.“ Die Heilkräfte seien mit der Zeit erloschen. Heute reist Rørth durch die Welt, gibt Seminare und hat ihren journalistischen Fokus daheim hin zu einer Presse verschoben, die „nicht nur beschreibt“, sondern „einwirkt“. Ihre Zeitung organisiert runde Tische mit Politikern und Bürgern, die sich erst auflösen, wenn ein Problem zur Zufriedenheit aller gelöst ist.

Mit Büchern und Vorträgen möchte Rørth die Kluft zwischen Christen schließen, die Begegnungen hatten, und denen, die weiter auf das Wort vertrauen. Ein Dialog des Herzens müsse diese Kluft ebenso überbrücken wie den Graben zwischen den Religionen, die für sie nichts anderes sind als das Ergebnis von Gottes Methode, sich jedem Menschen je nach Kulturkreis so zu zeigen, wie er es verstehen kann. Dass daraus Machtsysteme und Kriege erwuchsen, sei allein Menschenwerk. Sagt lächelnd Frau Rørth.

Dies ist ein Artikel aus der Januar-Ausgabe des Cicero, die Sie ab am Kiosk oder in unserem Online-Shop erhalten.










 

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