Cancel Culture in der Ornithologie - „Warum sollte ein Vogel nach einem Nazi benannt werden?“

Zum ersten Mal in der Geschichte lässt der Naturschutzbund (Nabu) die Bürger über den „Vogel des Jahres“ abstimmen. Weil der Goldregenpfeifer als Wappenvogel der Neuen Rechten gilt, wird vor ihm gewarnt. Ist der Kulturkampf jetzt auch in der Vogelwelt angekommen?

Neu vermessen und neu benannt: Auch in der Ornithologie muss es politisch korrekt sein / dpa
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Antje Hildebrandt hat Publizistik und Politikwissenschaften studiert. Sie ist Reporterin und Online-Redakteurin bei Cicero.

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Ein Hingucker ist er nicht. Und wenn der Goldregenpfeifer „Trüüüt“ macht, klingt das, als schlage ein Rauchmelder Alarm. Trotzdem hat dieser Vogel gute Chancen, Vogel des Jahres 2021 zu werden. Das gefällt nicht allen. Denn der Goldregenpfeifer ist politisch vorbelastet. Er gilt als der Wappenvogel der Neuen Rechten. Thüringens AfD-Chef Björn Höcke hat seine Follower auf Twitter dazu aufgerufen, für den Vogel zu stimmen. Darauf weist ein Referent des Naturschutzbundes (Nabu) in einem Aufsatz auf der Homepage der Fachstelle für Radikalisierungsprävention und Engagement im Naturschutz (FARN) hin.   

Der Goldregenpfeifer ist aber auch der Favorit des aus Herzegowina stammenden Schriftstellers Sasa Stanisic. Er erkennt sich in dem Vogel wieder, der hierzulande nur noch als Gastvogel gilt, weil er keine Reviere mehr zum Brüten findet. Stanisic steht politisch eher links, deshalb wird er in dem Aufsatz nicht erwähnt. Einer wie er passt eben nicht zur Mission der Naturschützer: „Extremen Rechten einen Vogel zeigen!“ 

Man sollte meinen, Politik ist Politik, und Vogel ist Vogel, im Superwahljahr 2021 sollte man das eine von dem anderen eigentlich trennen. Doch der Kampf gegen Rechtsextremismus und Rassismus, er hat längst auch die Ornithologie erreicht – und das nicht nur in Deutschland.

Der koloniale Geist von Humboldt und Darwin

In den USA zum Beispiel haben Vogelkundler gerade die Liste der 10.700 internationalen Vogelarten nach solchen gefilzt, die den kolonialen Geist einer Ära atmen, in der Forscher wie Alexander von Humboldt oder Charles Darwin in unbekannte Weltregionen reisten und neu entdeckten Arten eigene Namen verpassten – aus ihrer Perspektive als weiße Eroberer. Ihre Ausbeute war beachtlich.

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Hottentottenenten, Kaffernsegler oder Mohrenkopfpapageien. Lange hat man solche Namen nicht hinterfragt. Man hat sie als Andenken an eine Zeit gelesen, als die Urbewohner fremder Kontinente noch als Menschen zweiter Klasse behandelt wurden. Erst die Bewegung „Black Lives Matter“ hat nach dem Mord an George Floyd einen Prozess ausgelöst, den die einen als Befreiung und die anderen als Cancel Culture bezeichnen. Ihr Kampf gegen Rassismus strahlt jetzt in alle Bereiche der Gesellschaft aus. Statuen von Kolonialherren werden vom Sockel gekippt und U-Bahn-Stationen wie die „Mohrenstraße“ in Berlin umbenannt. Aus Pippi Langstrumpfs Vater, dem Negerkönig, machte der Oetinger-Verlag den „Südseekönig“.

Shitstorm wegen einer Lappenmeise

Auch vor der Natur hat der Furor der Cancel Culture nicht Halt gemacht. 150 Vögel sollen jetzt in den USA umbenannt werden. Den McCown’s longspur (deutsch: Schwarzbrust-Spornammer) hat es als erstes erwischt. JohnMcCown war ein Vogelsammler, der im Hauptberuf als General der Südstaaten-Armee amerikanische Ureinwohner massakriert hatte. Man kann seine Verbrechen nicht ungeschehen machen, wenn man die Erinnerung an ihn löscht. Trotzdem wurde der Vogel jetzt in Thickbilled longspur umbenannt.

Die amerikanischen Ornithologen folgten dem Vorbild schwedischer Kollegen. Diese hatten ihre Liste der Vogelnamen der Welt schon 2015 aktualisiert. Namen, an denen sich bestimmte Bevölkerungsgruppen stören könnten wie „Lappenmeise“ oder „Negerfink“ blieben drin – allerdings nicht lange. Nach Protesten aus der Bevölkerung mussten die Experten die Liste nochmal überarbeiten. Und in Deutschland? Hier wacht die Deutsche Ornithologie-Gesellschaft über das Verzeichnis der 10.700 Vogelarten der Erde. Jeder Vogel hat auch einen deutschen Namen.

Aus der Mohrlerche wurde die Schwarzsteppenlerche

Wer sich durch die neue, 2020 veröffentlichte Liste scrollt, findet keine Namen, die den Test mit dem Rassismus-Detektor nicht bestehen könnten – es sei denn, man unterstellt dem Tahiti-Sumpfhuhn einen Hang zum Alkoholismus oder dem Krauskopf-Pelikan einen Afro-Look.

Einst rassistische Vogelnamen wie die schwarzgefiederte Mohrenlerche flogen raus. Sie heißt heute Schwarzsteppenlerche. Dabei ist ihr Lebensraum die Grassteppe. Grüner geht es nicht. „Es ist ein Kunstgriff,  irgendeinen Namen muss der Vogel ja haben“, heißt es dazu bei der Deutschen Ornithologen-Gesellschaft. Zehn Jahre lang hat eine eigene Kommission gebraucht, um die Liste der Vögel der Welt zu aktualisieren.

Politisch korrekt muss es sein

Ein Schritt, der schon deshalb erforderlich war, weil sich die Verwandtschaftsverhältnisse in der Vogelwelt nach genetischen Tests ändern können. Auf sprachliche Fettnäpfe habe man dabei auch ein Auge geworfen, sagt der Leiter der Kommission, Peter Barthel, einer der bekanntesten deutschen Ornithologen.

Er hatte erlebt, wie die Kollegen in Schweden „verhauen“ wurden, weil ihnen Hottentotten-Enten durchgerutscht waren. So etwas sollte ihnen in Deutschland nicht passieren. Dabei, versichert Barthel, hätte er schon von sich aus darauf geachtet, dass die Liste politisch korrekt sei. „Warum sollte ein schöner Vogel nach einem hässlichen Nazi benannt werden?“ So etwas finde er „unpassend“.

Tut der Name „Mohrlerche“ irgendwem weh?

„Einige 100“ Vögel, so schätzt er, wurden umbenannt. Sei es, weil sie nach Diktatoren oder Eroberern benannt worden waren, sei es, weil ihr Name einen kolonialen Stempel trug. Nicht überall seien die neuen Namen auf Verständnis gestoßen. Es habe Vogelliebhaber gegeben, die es kritisierten, dass die Mohrlerche nicht mehr Mohrlerche heißen dürfe. Der Name tue doch keinem weh, musste er sich anhören. Barthel sieht es anders. Er sagt, er sei Naturwissenschaftler. Diese „Waldschrat-Mentalität“ sei nicht seine.

Und was sagt er dazu, dass ein Vogel wie der Goldregenpfeifer bei der Wahl zum Vogel des Jahres von Naturschützern politisch instrumentalisiert wird – und das von einer Fachstelle für Radikalisierungprävention, die Multiplikatoren für den ländlichen Raum ausbildet, die vor den Aktivitäten der Neuen Rechten warnen sollen – und das mit finanzieller Förderung vom Bundesfamilienministerium?

Wie Vögel politisch instrumentalisiert werden

Barthel sagt, er verstehe schon nicht, wie es der Goldregenpfeifer überhaupt in die Top Ten geschafft habe. Ziel der Wahl zum Vogel des Jahres sei es ja, für den Lebensraum zu werben, in dem die Vögel lebe. Und als Brutvogel komme der Goldregenpfeifer in Deutschland gar nicht mehr vor.

Den politischen Streit um diesen Vogel findet er geradezu absurd. „Man könnte auch sämtliche Adler verdammen, weil der Vogel mal die Reichskriegsflagge der Kaiserlichen Marine verziert hat. Wo kommen wir denn da hin?“  

In einer früheren Version hieß es, der Aufsatz über den Goldregenpfeifer sei auf der Homepage des Nabu erschienen. Tatsächlich jedoch steht er auf der Website der Fachstelle für Radikalisierungsprävention und Engagement im Naturschutz (FARN). Diese bildet zwar Multiplikatoren für Naturschutzorganisationen wie den Nabu aus, ist aber unabhängig. Wir bitten, diesen Fehler zu entschuldigen.    

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