Bundesliga nimmt Spielbetrieb auf - Verheerendes Signal

Ab Mitte Mai will die Bundesliga den Spielbetrieb wieder aufnehmen. Dass im Fußball mit zweierlei Maß gemessen wird, stößt vielen Kritikern auf. Der finanzielle Schaden durch die Corona-Krise scheint mehr zu wiegen als die Gesundheit der Spieler.

Bald rollt der Ball wieder - nur ohne Publikum / dpa
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Autoreninfo

Rainer Balcerowiak ist Journalist und Autor und wohnt in Berlin. Im Februar 2017 erschien von ihm „Die Heuchelei von der Reform: Wie die Politik Meinungen macht, desinformiert und falsche Hoffnungen weckt (edition berolina). Er betreibt den Blog „Genuss ist Notwehr“.

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Kaum ein Thema hat in den vergangenen Tagen Politik, Medien und Öffentlichkeit so stark beschäftigt wie die Zukunft der 1. und 2. Fußball-Bundesliga. Die Stimmen derer, die sich vehement für die schnelle Wiederaufnahme des am 16. März ausgesetzten Spielbetriebs stark machten, mehrten sich in allen politischen Lagern.

Jetzt haben sie sich schließlich durchgesetzt. Besonders die Ministerpräsidenten der beiden am stärksten in den Ligabetrieb involvierten Bundesländer Bayern und Nordrhein-Westfalen, Markus Söder (CSU) und Armin Laschet (SPD), pochten auf eine schnelle Lösung für die vermeintlich von Insolvenz bedrohten Profivereine und haben dabei wohl auch die hohe Fußball-Affinität in ihrer Wählerklientel im Blick.

Geisterspiele ab Mitte Mai

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) nahm lange Zeit eine eher bremsende Haltung ein, und Ministerpräsidenten eher fußballferner Bundesländer wie Saarland, Rheinland-Pfalz, Mecklenburg-Vorpommern oder Brandenburg zeigten eher Desinteresse. Doch die Bundesliga-Lobby hat sich trotz aller Bedenken von Ärzten, Virologen und einigen Politikern durchgesetzt. Merkel verständigte sich am Mittwoch in einer Telefonkonferenz mit den Ministerpräsidenten darauf, dass der Spielbetrieb in der zweiten Maihälfte wieder aufgenommen werden kann.

Über den genauen Starttermin soll der Ligaverband DFL selbst entscheiden, das soll am Donnerstag geschehen. Wahrscheinlich wird am 16. Mai erstmals wieder der Ball rollen, um die laufende Saison möglichst bis zum 30. Juni beenden zu können, denn dann laufen die Verträge vieler Spieler aus. Die verbleibenden neun Spieltage werden ausschließlich als „Geisterspiele“ ohne Zuschauer in den Stadien durchgeführt.

Durchgehender Quarantäne für alle beteiligten Spieler

Zu den Rahmenbedingungen gehört eine Art durchgehender Quarantäne für alle beteiligten Spieler, in abgeschwächter Form auch für Betreuer und unmittelbar beteiligtes Personal wie etwa Physiotherapeuten. Dazu kommen regelmäßige Tests auf das Virus, die strikte Einhaltung der Hygiene- und Verhaltensregeln sowie eine umfassende Meldepflicht über mögliche Infektionen.

Die ursprüngliche Forderung, dass die Quarantäne 14 Tage vor dem Restart begonnen haben muss, wäre somit vom Tisch. Das erscheint merkwürdig realitätsfern. Eine hundertprozentige Abschottung aller in den Spiel- und Trainingsbetrieb involvierten Menschen ist ein Ding der Unmöglichkeit. Fußball ist ein sehr körperbetontes Spiel, bei dem infektionsrelevante Kontakte permanent stattfinden, nicht nur im Spiel, sondern auch im Training.

Verbandsvertreter halten Risiko für beherrschbar

Eine einzige, zuvor unentdeckte Infektion könnte binnen kürzester Zeit große Teile des eigenen oder auch gegnerischer Teams erfassen, was unweigerlich deren sofortigen Ausschluss vom Spielbetrieb nach sich ziehen müsste. Doch trotz eindringlicher Warnungen von Ärzten und Epidemiologen erklären die Verbandsvertreter und auch ihre Verbündeten in der Politik dieses Risiko für beherrschbar.

Einige Ereignisse der vergangenen Tage haben erhebliche Zweifel aufkommen lassen, ob die Vereine in der Lage sind, die strikten Vorsichtsregeln überhaupt durchsetzen zu können. Am Montag stellte Salomon Kalou, Stürmer beim Berliner Erstligisten Hertha BSC, ein verstörendes Handy-Video bei YouTube ein.

Zweifelhaftes Verhalten

Kalou spaziert dort durch die Hertha-Geschäftsstelle, begrüßt einen Mitarbeiter und andere Spieler mit Handschlag, mokiert sich im Gespräch mit einem Mannschaftskollegen über die (moderaten) Gehaltskürzungen während der 1. Spielpause und betritt dann den Raum, in dem gerade ein Test-Abstrich bei einem anderen Spieler durchgeführt wurde. Zwar wurde Kalou umgehen suspendiert, doch es ist nicht kaum anzunehmen, dass derartiges Verhalten im Profifußball-Milieu ein Einzelfall ist.

Ebenfalls am Montag wurde eine Mail des Dachverbands DFL bekannt, in der den Vereinen faktisch untersagt wird, Testergebnisse in ihrem Bereich bekannt zu geben. Zu den Kritikern der Trainings- und Spielfreigabe für die Bundesliga gehören der SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach und der Sportmediziner Wilhelm Bloch von der Sporthochschule Köln. Beide warnten im Gespräch mit der ARD-Sportschau vor der Gefahr besonders schwerer Langzeitfolgen einer möglichen Infektion bei Hochleistungssportlern.

Verheerende Signalwirkung der „Sonderbehandlung“

Andere Kritiker wiesen auf die gesellschaftlich verheerende Signalwirkung der „Sonderbehandlung“ des Profifußballs hin. „Tausende Corona-Tests für die Spieler, während nicht mal das medizinische Personal fortlaufend getestet wird sowie Zweikämpfe und Rudelbildungen in Zeiten von Abstandsgeboten, das wird doch sehenden Auges nach hinten losgehen“ sagte der stellvertretende SPD-Vorsitzende Kevin Kühnert der Münchner tz. 

Es habe keine Diskussionen darüber gegeben, „wie ein geordneter Saisonabbruch abgewickelt werden könnte. Stattdessen wurde von Anfang an versucht, die Fortsetzung durchzuboxen, komme, was wolle“, sagte er. Dagegen setzt Britta Dassler, sportpolitische Sprecherin der FDP-Bundestagsfraktion, auf psychologische Faktoren. „Die Wiederaufnahme des Spielbetriebs ist gerade in diesen Zeiten wichtig, denn Fußball ist nicht nur Volkssport, sondern auch Medizin für die Seele. Die Ablenkung würde vielen Menschen sowohl seelisch als auch gesundheitlich gut tun“, so Dassler in einer Mitteilung.

Fakt ist: Es geht schlicht um sehr viel Geld. Denn ohne Wiederaufnahme des Spielbetriebs würden den 38 Vereinen der 1. und 2. Liga insgesamt bis zu 370 Millionen Euro  an TV-Geldern verloren gehen, zudem könnten Sponsoren ihre Zahlungen einstellen. Für einige Vereine würde das unweigerlich zur Insolvenz führen. Die Politik hat sich jetzt jedenfalls entschieden, den Weg für die Fortführung der Saison bis zum bitteren Ende freizugeben. Ein sehr riskantes Unternehmen, das auf sehr wackligen Füßen steht und in einem Desaster enden könnte, von dem sich der Profi-Fußball nicht mehr so schnell erholen würde.

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