Merkel spricht mit Kulturszene - „Alles Gute, auch an die Künstler!“

Im Bürgerdialog sprach Angela Merkel heute mit ausgesuchten Vertretern der Kunst- und Kulturszene. Dabei wurde deutlich, wie angespannt die wirtschaftliche Lage von Künstlerinnen und Künstlern während der Pandemie ist. Noch deutlicher wurde indes, wie wenig diese Kanzlerin mit Kultur überhaupt anzufangen weiß.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) spricht bei der virtuellen Reihe «Die Bundeskanzlerin im Gespräch» mit Kunst- und Kulturschaffenden / dpa
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Ralf Hanselle ist stellvertretender Chefredakteur von Cicero. Im Verlag zu Klampen erschien von ihm zuletzt das Buch „Homo digitalis. Obdachlose im Cyberspace“.

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Für heimische Künstler war Angela Merkel lange Jahre relativ uninteressant. Selbst ihr Ziehvater Helmut Kohl, nach Meinung vieler Zeitgenossen wahrlich kein Schöngeist oder Schwelger unter Deutschlands Langzeitkanzlern, hat den Kreativen zeitlebens mehr Inspiration abgerungen als die Pfarrerstochter aus der Uckermark. In Kulturfragen scheint es, war Merkel in den zurückliegenden 16 Jahren farbloser als das ohnehin dezente Kolorit ihrer wechselnden Jacken und Blazer.

Nun gut, jeder so, wie er es kann oder wie sie es für richtig hält. Und es hätte sich ja auch alles ändern können. Manchmal reicht dafür ein Tag, manchmal sogar eineinhalb Stunden. Die Sterne standen da heute unglaublich günstig. Denn mitten in der Pandemie kam Angela Merkel plötzlich auf die Idee, auf Tuchfühlung mit der Kulturszene zu gehen. Dafür hatte sie im Rahmen des sogenannten „Bürgerdialogs“ Kunst- und Kulturschaffende zu einem virtuellen Austausch geladen. Dabei ging es inhaltlich einzig und allein um die finanzielle Notlage der 1,8 Millionen Erwerbstätigen in der sogenannten „Kulturindustrie“. Im Angesicht der sich von Woche zu Woche zuspitzenden ökonomischen Situation eine allzu verständliche Schwerpunktsetzung. 

Welche Rolle spielt die Kunst?

Doch man hätte die Tagesordnung ja auch erweitern können: Etwa um die Frage, warum 52 Schauspieler immer öfter am Regierungshandeln zu zweifeln, ja zu verzweifeln scheinen. Und auch die Frage, welche Rolle Kunst und Kultur denn zukünftig überhaupt noch spielen sollen, wenn die Bühnen des Landes längst von Virologen, Epidemiologen oder Immunologen besetzt sind, wäre ganz sicher interessant gewesen.

Doch solch intellektueller Feinschliff ist Merkels Sache nicht. Dabei stelle man sich nur einmal vor, ihr Vorgänger Gerhard Schröder hätte zu solch einem Format geladen: Die Lobby des Kanzleramts hätte sich ganz sicher in einen White Cube verwandelt, und die Zunge des Hannoveraners wäre locker geworden wie die eines jungen Dichters. Von Willy Brandt will man hier gar nicht erst reden.

Ein holpriger Prolog

Nein, vom Geist solcher Vorgänger ist man dieser Tage meilenweit entfernt. Wozu auch? Man wollte ja eh nur über die prekäre Lage der Gegenseite reden. Fragen nach der geistigen Armut im Lande hätten da sicherlich deplatziert gewirkt. 

Und selbst wenn, man hatte nur wenig Zeit. Schon der Prolog war hurtig und holprig: „Als wir mit den Maßnahmen begonnen haben war Winter, jetzt haben wir schon Frühjahr“, sagt Merkel, die lieber mit einem Smalltalk übers Wetter beginnt, als dass sie einen Abstecher zu Fragen von Philosophie und Ästhetik wagte. Ihre einmalige epistemologische Eröffnung, ihre unbeholfenen Worte, ja ihre ganze Körperhaltung machen dabei deutlich, wie wenig diese Kanzlerin mit der Kunst überhaupt anzufangen weiß. In schöngeistigen Sachen ist sie irgendwie schüchtern, fast schon verkrampft.

Statt also die Intellektuelle am Machtpol zu mimen, schlüpft sie fix in ihre Lieblingsrolle hinein: In der ist und bleibt sie die Kümmererin. Die Pfarrerstochter. Die Seelsorgerin. Diese Rolle beherrscht sie wie aus dem Effeff.  Als würde sie instinktiv ahnen, dass es hienieden kaum eine größere Macht gibt als Sorge und Fürsorge. Es ist der Habitus, der den anderen kleinhält. Während ihr also die vielen Galeristen, Sänger, Filmproduzenten und Schauspieler in einem zuvor verabredeten Chronologie ihre Not klagen, ja sie ihr manchmal geradewegs um die Ohren hauen, hört sie nur zu, nickt, nickt wieder und verabschiedet sich dann freundlich. Als hätte sie mit all dem gar nichts zu tun. „Alles Gute, auch an die Künstler!“, ruft sie einer Galeristin hinterher, die gerade noch darüber geklagt hat, welch langfristigen Schaden die Lockdown-Maßnahmen für den Kunstmarkt haben werden.

Ein gutes Herz

Doch für Vertiefungen fehlt schlicht die Zeit. Und überhaupt, da ist die britische Mutante, da ist das Hickhack mit den Bundesländern. Die Sachzwänge sind übergroß. Und die nächste Künstlerin wartet auch schon: Eine freie Musikerin aus Köln. Sie spricht von der Soforthilfe, die sie zurückzahlen muss und davon, wie sehr die Soloselbständigen derzeit der Politik ausgeliefert sind. Es sei so schmerzhaft, sagt sie. Sie sei seit 37 Jahren Künstlerin und könne nicht glauben, was hier gerade passiert. Merkel nickt. Hört zu. Nickt wieder. Will sich schon verabschieden. Sichert dann aber doch noch zu, dass sie auch mit der Kulturstaatsministerin über einige der vorgetragenen Punkte reden möchte. „Monika Grütters hat eigentlich ein gutes Herz für die Künstler.“

Spätestens an der Stelle sollte man abschalten. Von einer Kanzlerin, die mit dem kreativen und intellektuellen Potential unseres Landes spricht wie eine Gouvernante mit kleinen Kindern, darf man in Kulturfragen einfach nichts mehr erwarten. In diesem Sinne also: Alles Gute - und grüßen Sie die Künstler!

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