Besetzung der Berliner Volksbühne - Ist das Kunst oder kann das weg?

Sieben Tage lang hatten Aktivisten die Berliner Volksbühne besetzt. Nun wurde die „permanente Theaterperformance“ von der Polizei beendet – und damit auch eine ziemlich dreiste Form der Selbstermächtigung einer sogenannten linken Kulturavantgarde

Aktivisten sprechen mit Polizisten vor der besetzten Berliner Volksbühne / picture alliance
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Autoreninfo

Rainer Balcerowiak ist Journalist und Autor und wohnt in Berlin. Im Februar 2017 erschien von ihm „Die Heuchelei von der Reform: Wie die Politik Meinungen macht, desinformiert und falsche Hoffnungen weckt (edition berolina). Er betreibt den Blog „Genuss ist Notwehr“.

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Am Donnerstag hat die Polizei die Besetzung der Berliner Volksbühne beendet. Damit endete vorläufig ein merkwürdiges Spektakel, dass nicht erst am vergangenen Freitag mit der Okkupation der traditionsreichen Spielstätte im Herzen Berlins durch eine Gruppe begann, die sich den originellen Namen „Staub zu Glitzer“ gegeben hatte.

Linke Kultur-Trutzburg

Das vor allem mediale Spektakel rund um die Volksbühne war eigentlich ein Nachhutgefecht. Bereits der im September 2016 abgewählte SPD/CDU-Senat entschied, die 25-jährige „Ära Castorf“ an dem Theater durch Nichtverlängerung des Vertrages des 66-jährigen Intendanten zu beenden. Maßgeblich daran beteiligt war der alte und neue regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD). Mit einer Mischung aus Genialität und anarchischer Lust an der Provokation hatten Frank Castorf und Regisseure wie Christoph Marthaler, Christoph Schliengensief, René Pollesch oder der Tanztheater-Berserker Johann Kresnik den legendären Ruf der Volksbühne als innovative Kultstätte des politischen Theaters und linke Kultur-Trutzburg gegen den unaufhaltsamen Vormarsch des Kapitalismus in alle Ritzen der früheren DDR-Hauptstadt begründet.

Dass sich dieser kulturrevolutionäre Impetus irgendwann abnutzt und die Innovationskraft allmählich versiegt, ist wohl nicht zu vermeiden. Und auch der Volksbühne grundsätzlich wohlgesonnene Kritiker konstatierten im vergangenen Jahrzehnt nicht ohne Wehmut eine gewisse Stagnation oder gar Regression. Aber als Mythos und als Symbol für ein irgendwie linkes Lebensgefühl taugte das Haus am Rosa-Luxemburg-Platz allemal weiter. Auch für Menschen, die sie nie oder nur äußerst selten besucht haben.

Dercon für Castorf – eine umstrittene Entscheidung

Entsprechend traf die Abberufung Castorfs die Szene wie ein Schock. Zumal mit Chris Dercon ein Nachfolger berufen wurde, dem eher der Ruf eines Event-Managers als der eines politisch ambitionierten Theaterintendanten vorauseilt. Und Dercon machte auch von vornherein klar, dass Produktionen mit dem hauseigenen und zudem stark geschrumpften Ensemble nur noch eine Randfacette der neuen Volksbühne sein werden. Dafür spricht auch die fast komplette Abwicklung der Dramaturgen-Abteilung.

Noch im Wahlkampf für das Berliner Abgeordnetenhaus hatte die Linke und vor allem ihr Spitzenkandidat und jetzige Kultursenator Klaus Lederer vollmündig versprochen, die Berufung Dercons – soweit irgendwie möglich – rückgängig zu machen. Doch schon wenige Tage nach seiner Ernennung musste Lederer kleinlaut einräumen, dass daraus wohl nichts werde – Vertrag sei schließlich Vertrag. Man werde genau beobachten, was der Neue so macht, hieß es stattdessen. Der startete vor ein paar Wochen mit einer eher belanglosen Tanzperformance auf dem stillgelegten Flughafen Tempelhof. Ende September sollten dann die Proben für die ersten Eigenproduktionen beginnen.

„Die Volksbühne dem Volk zurückgeben“

Diese Pläne wurden am 22. September durch die Besetzung zunächst verhindert. Die Aktivisten bezeichneten ihre Aktion als „permanente Theaterperformance“ mit der man „die Volksbühne dem Volk zurückgeben“ und zudem ein Zeichen gegen die Kommerzialisierung der Kunst und ganz allgemein gegen die Gentrifizierung Berlins setzen wolle. Für das Theater sollte es – für mindestens zwei Jahre – eine selbstverwaltete „kollektive Intendanz“ geben, welche für ein vielfältiges Programm sorgen werde. Dercon wurde angeboten, dabei mitzumachen als „Gleicher unter Gleichen“.

Das ist natürlich eine ziemlich dreiste Form der Selbstermächtigung. Immerhin erhält die Volksbühne pro Jahr rund 22 Millionen Euro aus dem Landeshaushalt, die man wohl kaum aus dem Stehgreif einem bislang nicht in Erscheinung getretenen „Künstlerkollektiv“ nebst stadtpolitischen Aktivisten zur Verfügung stellen kann. Auch die politische und administrative Verantwortung des Senats für die Bestellung eines Intendanten an einem öffentlich finanzierten Theater kann man wohl kaum ernsthaft in Frage stellen. Auch dann nicht, wenn einem die getroffene Personalentscheidung schwer im Magen liegt und sich vielleicht als Fehler herausstellen könnte.

Lederer in der Zwickmühle

Was bleibt, ist besagte Selbstermächtigung, die sich ihre Legitimation aus der Vollstreckung eines quasi objektiven Volksinteresses ableitet. Doch so einfach ist das mit dem Volk nicht: Die „einfachen“ Mitarbeiter der Volksbühne (Verwaltung, Bühnentechnik, Handwerker etc.) haben den Besetzern jedenfalls ziemlich schnell klar gemacht, dass sie die Aktion ablehnen. Und das eher theaterferne Volk interessierte sich für diesen Konflikt wohl eher unter ordnungspolitischen Gesichtspunkten. Was eigentlich schade ist.

Für Kultursenator Klaus Lederer war die entstandene Situation natürlich eine Zwickmühle. Eine martialische polizeiliche Räumung samt der damit verbundenen Bilder wäre das Letzte, was der Volksbühnen-Fan und Dercon-Skeptiker gebrauchen konnte, zumal der rot-rot-grüne Senat gerade in der linken Szene eher misstrauisch beäugt wird. Eine dauerhafte Duldung der Volksbühnen-Besetzung kam aber auch nicht in Frage, aus der SPD war bereits ein deutliches Unmuts-Räuspern zu vernehmen. Am Mittwoch gab es ein letztes, recht großzügiges Kompromissangebot, das ausdrücklich auch von Dercon unterstützt wurde. Dem Künstlerkollektiv wurden eine Nebenspielstätte im Volksbühnen-Komplex, der „Grüne Salon“, sowie der Theaterpavillon zur unbefristeten Nutzung für ihre künstlerischen und stadtpolitischen Aktivitäten angeboten, wenn das Hauptgebäude im Gegenzug freiwillig verlassen wird. Doch das Plenum der Besetzer mochte das Angebot nicht so ohne weiteres annehmen und verlangte mehr Zeit für die Entscheidungsfindung.

Unspektakuläres Ende der Besetzung

Das war‘s dann: Am Donnerstag erstattete Dercon – mit Rückendeckung des Senators – Anzeige wegen Hausfriedensbruch, die dann von der Polizei wenig später in relativ relaxter Atmosphäre vollstreckt wurde. Von einer Strafverfolgung wird wohl abgesehen.

Dercons Team kann jetzt mit der Probenarbeit für die ersten Produktionen beginnen. Was dabei herauskommt, kann man sich in ein paar Wochen in der Volksbühne anschauen. Wenn man noch eine Karte bekommt, denn für Publicity ist ja mehr als reichlich gesorgt worden. Die Berechtigung der Berufung Dercons kann man dann bald an der Qualität seiner Arbeit messen – mit derzeit offenem Ausgang.

Das Künstlerkollektiv „Staub zu Glitzer“ wird sich für seine „permanente Theaterperformance“ und seine stadtpolitischen Aktivitäten jetzt andere Orte suchen müssen. Aber da kräht dann wieder kein Hahn nach. Und wer sich wirklich gegen Gentrifizierung – also vor allem gegen Vertreibung aus angestammten Wohnquartieren durch horrende Mietsprünge – wehren will, ist bei eher unspektakulären lokalen Mieterinitiativen wohl besser aufgehoben.

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