Beratung für Lehrer - „Ein Patient jenseits jeder Rettung“

Die ehemalige Gymnasiallehrerin Isabell Probst berät Lehrer, die es an staatlichen Schulen nicht mehr aushalten. Das System, sagt sie, ist unheilbar krank. Allzu oft geben gerade die Leidenschaftlichen und Engagierten auf.

Isabell Probst hat dem Bildungssystem 2015 den Rücken gekehrt
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Oliver Uschmann kam 1977 in Wesel zur Welt und hat als Schriftsteller und Leiter für literarische Workshops bereits Hunderte von Schulen aller Formen besucht. Einige seiner Jugendromane werden bereits von Schülern in Serbien und Polen gelesen. Derzeit arbeitet er gemeinsam mit seiner Frau und Ko-Autorin Sylvia Witt an neuen Stoffen

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Wer in dem beschaulichen Wohnviertel eines Bonner Vororts anruft, hat meistens schon Monate des inneren Ringens hinter sich. Kann ich wirklich nicht mehr Lehrer sein? Habe ich mich so überschätzt? Ist das System verrückt oder bin ich’s? Und was wird die Familie sagen, wenn ich die Brocken endgültig hinschmeiße? 

„Scham spielt eine große Rolle“, erklärt Isabell Probst, die siebeneinhalb Jahre lang als Gymnasiallehrerin Englisch und Geschichte unterrichtete. Die 1981 geborene Rheinländerin berät ihre aussteigewilligen Klienten meist per Videokonferenz, „vor allem, wenn schon die eigenen Eltern im Lehrbetrieb waren. Der Vater Studienrat, die Mutter an der Grundschule, und man selbst gibt auf? Unvorstellbar!“ Beim Ausstieg aus dem Lehrberuf brächen Lebensentwürfe zusammen, ganze Identitäten, denn es seien vor allem die Leidenschaftlichen, die anrufen, die ernsthaft Engagierten, die am System der Regelschule in heutiger Gestalt scheitern – absurderweise vor allem deshalb, weil sie die offiziellen Ziele wirklich ernst nehmen. 

Das werde immer anstrengender, weil sich die Vorgaben widersprächen und die hehren Ideale moderner Bildungspolitik an der ressourcenarmen Wirklichkeit scheiterten. „Einerseits soll der Mensch individuell gefördert werden“, sagt Probst, „andererseits werden einheitlich hohe Abiturientenzahlen angestrebt, oft unabhängig von der tatsächlichen Eignung“. Wer gar nicht mitgezogen werden kann, landet auf den „Resteschulen“ – ein hartes Wort, unter Lehrkräften aber „weit verbreitet“. 

Gescheiterte Konzepte und entmutigte Lehrkräfte

Im Kontrast dazu stünden alternative Häuser als „scheinbare Speerspitzen der Innovation“, deren Wirklichkeit hinter dem Marketing nicht selten ganz eigene Problemknospen treibe. Selbst der wohlmeinendste Bildungsplaner müsse einsehen, dass es „am Ende eben doch nicht reicht, wenn ein schwacher Schüler den Testbogen einfach nur ausmalt“. 

Umgekehrt fühlen sich Lehrkräfte, die am soliden Gymnasium entlang aktueller Erkenntnisse der Lernforschung agieren wollen, der jovialen Abschätzigkeit konservativer Kollegen ausgesetzt, die alles abseits des Frontalunterrichts „für Ringelpiez mit Anfassen“ halten und dies auch den Schülern gegenüber durchscheinen lassen. 

Inklusion wiederum funktioniere besser, solange es um körperliche Behinderungen ginge, sei aber „weitgehend gescheitert“ bei allen emotionalen und sozialen Entwicklungsproblemen. „Es war eine unglaubliche Hybris, so viele hoch spezialisierte Förderschulen zu schließen“, sagt Probst. Die Sonderpädagogen finden sich nun an den Regelschulen als „Notstopfen“ und „Springer“ zwischen unterbesetzten Klassen wieder. 

Eingesperrt zwischen Nazizeit und 68er

Das Problem von Schule in Deutschland sei nicht das Unterrichtsmodell, sondern die Unfähigkeit, aus sich selbst heraus gelassene Größe zu entwickeln. Die Freiheiten zu nutzen, um den Unterricht anzubieten, der dem individuellen Pädagogen liegt und den er glaubwürdig ausführen kann. Während etwa in China, Japan, Südkorea und Indien Lehrer höchstes Ansehen genießen, haben sie in keinem mit Deutschland vergleichbaren Land ein dermaßen mieses Image. 

Die Varkey Foundation belegte 2018 mit der bislang größten Erhebung des Global Teacher Status Index, dass eine direkte Verbindung zwischen dem Ansehen der Lehrkräfte und der Leistung der Schüler besteht. Darüber hinaus „setzen wir uns in Deutschland ständig in Bezug zu vergangenen Modellen“, sagt Probst. Das Grauen der Nazizeit habe tiefsitzendes Misstrauen gegen alle Aspekte von Autorität, Hierarchie oder zu großer Leistungsbetonung erzeugt, die Reformpädagogik der 68er wiederum das Kind so umfangreich mit dem Bade ausgeschüttet, dass man noch heute auf dem Seifenwasser ausrutscht.

Das Schulsystem belohnt das Aufgeben

Verkrampfung und nervenzerrüttende Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit trieben „vor allem die Hochsensiblen“ dazu, einen neuen Beruf anzustreben oder aus dem Beamtentum in den Privatschulbereich zu wechseln. Ein Schritt, der die Umwandlung der Pension in eine Rente nach einem komplizierten Mechanismus bedeutet. Der Mechanismus kann in Altersarmut führen, aber auch bei bescheinigter Dienst­unfähigkeit einen erklecklichen Sockelbetrag garantieren, zu dem sich parallel ein zweites Standbein aufbauen lässt. 

So belohnt das Schulsystem noch das Aufgeben. Probst hat dem System, einem „Patienten jenseits jeder Rettung“, 2015 den Rücken gekehrt. Ihr Beratungsdienst wächst schnell, obschon ihr Buch „Ausgelehrt“ verlagsfrei erschien, damit „nicht wieder jemand hereinredet“. Das Ergebnis? Kürzlich sprach Probst privat mit jemandem, der eine Burnout-Klinik am Bodensee besuchte. Der erste Name, der dort auf den Fluren fiel, war ihrer.

Dieser Text stammt aus der Februar-Ausgabe von Cicero, die Sie am Kiosk oder direkt bei uns portofrei kaufen können.

 

 

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