Aufgewühlte Gesellschaft - Es gibt keine Spaltung. Punkt!

Der Bundeskanzler behauptet, es gäbe keine Spaltung – während der Bundespräsident zum gesellschaftlichen Zusammenhalt aufruft. Wer in diesen verwirrenden Zeiten nach ein bisschen Gewissheit sucht, wird immerhin auf Social Media fündig. Dort werden Debatten immer häufiger mit dem Wörtchen „Punkt“ für beendet erklärt.

Es existiert keine Spaltung / dpa
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Alexander Marguier ist Chefredakteur von Cicero.

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Vor wenigen Tagen hat der ARD-Reporter Olaf Sundermeyer auf Twitter eine Erkenntnis verbreitet, die in den sogenannten sozialen Medien relativ starke Verbreitung fand: „Wer hier weiterhin von ,Spaltung‘ redet, wird blockiert. Ich meine es Ernst! Es gibt keine Spaltung. Punkt.“ 

Ob der Urheber seine Sätze ernst gemeint hat, kann ich nicht beurteilen – aber es spricht nach einer kursorischen Durchsicht von Sundermeyers übrigen Tweets eher nichts für eine ironische Aufarbeitung der aktuellen Spaltungsdebatte. Und so erinnert diese Einlassung ein bisschen an Majestix, der in „Asterix und der Arvernerschild“ empört ausruft: „Alesia? Ich kenne kein Alesia! Ich weiß nicht, wo Alesia liegt! Niemand weiß, wo Alesia liegt!“ Als aufrechter Gallier-Häuptling sollte man den Ort der Niederlage gegen Cäsar am besten komplett ignorieren: Schlacht verloren? Kann nicht sein. Punkt.

Unzeitgemäße Meinungen

Im Gegensatz zum ARD-Reporter hatte der Alesia-Leugner Majestix allerdings nicht die Möglichkeit, jegliche Widerrede durch „blockieren“ aus der Welt zu schaffen. Für derart infantile Reaktionen musste mehr als 2000 Jahre später erst noch das Internet mit seinen Sanktions- und Verhinderungsmechanismen erfunden werden – die jetzt übrigens auch Henryk M. Broder zu spüren bekommen hat, dessen Videokommentare von Youtube soeben gelöscht wurden. Was natürlich auch eine probate Möglichkeit ist, um gesellschaftliche Spaltungstendenzen mit Stumpf und Stil auszumerzen: Wer in der digitalen Welt nicht mehr existiert, kann sie mit offenbar unzeitgemäßen Meinungen auch nicht durcheinander bringen. Für notorische Spalter bleibt dann nur noch der Gang hinters Haus zum Holzhacken.

Nun hat freilich Sundermeyer mit seinem Spaltungs-Tweet keine echte Eigenleistung erbracht, sondern lediglich auf seine Weise fortgeführt, was zuvor schon der neue Bundeskanzler Olaf Scholz Kraft seiner analytischen Fähigkeiten herausgefunden hat. Dass es nämlich, in diesem Fall beim Thema Impfung, überhaupt keine Spaltung gäbe, weil doch die allermeisten Bürger längst geimpft seien und ohnehin nur ein kleiner Teil der Gesellschaft sich dem „Piks“ (wie es im neudeutschen Corona-Kindersprech jetzt immer heißt) hartnäckig widersetzt.

Eine „Spaltung“ hat in logischer Konsequenz diesen Namen also erst dann verdient, wenn sie durch die Mitte des Objekts verläuft und aus einem einstigen Ganzen zwei praktisch gleichgroße Teile macht. Was historisch gesehen für Scholz auch den Vorteil hätte, dass die von ihm mit initiierten Hartz-IV-Reformen seine eigene Partei überhaupt nicht gespalten haben können (wie manche Genossen oder Ex-Genossen bis heute hartnäckig behaupten). Denn ein Großteil der Sozialdemokraten ist damals ja nicht zur PDS abgewandert, sondern hielt der SPD auch weiterhin die Treue. Sonst könnte sie ja auch nicht den Kanzler stellen – übrigens mit einem Bundestagswahlergebnis von 25,7 Prozent.

Impfpflicht als Akt der Nächstenliebe?

Warum der Bundespräsident in seiner aktuellen Weihnachtsansprache die Bürger zum Zusammenhalt aufruft, wo doch der gesellschaftliche Kitt seinem einstigen Mitstreiter Scholz zufolge überhaupt nicht in Gefahr ist, bleibt einstweilen Frank-Walter Steinmeiers Geheimnis. Zumal sogar ein Impfnachweis als Einlassticket für den weihnachtlichen Gottesdienstbesuch nicht das Potential zum echten Spalter hat, wenn doch die neue EKD-Ratsvorsitzende Annette Kurschus die Impfpflicht zum Akt „christlicher Nächstenliebe“ erklärt: Wo Liebe herrscht, kann Spaltung nicht geschehen. Und wer dergestalt zu lieben nicht bereit ist, für den haben dann eben junge Nachwuchstalente von Bündnis90/Die Grünen „Pfefferspray und Schlagstock“ im Arsenal. Spaltung? Gibt’s hier nicht. Bitte weitergehen.

Aber ich weiche ab, denn eigentlich wollte ich mir – an diesem feierlichen Tag zumal – jeglichen Kommentar über die nichtexistierende Spaltung ersparen, damit am Ende nicht noch ein ARD-Reporter auf Twitter um die Ecke kommt und mich „blockiert“, weil auf empfindsame Naturen schon das Wort allein derart toxisch wirkt wie „Alesia“ auf den stolzen Majestix. Deutlich faszinierender als den Satz „Es gibt keine Spaltung“ fand ich in Sundermeyers Tweet denn auch das abschließende Wörtchen „Punkt“. Dass man also erst „Punkt“ schreibt und hinterher nochmal einen solchen setzt.

Mir fällt dieses „Punkt“-Gehubere besonders auf Social Media immer häufiger als Stilmittel auf. Früher hätte man wohl gesagt „Ende der Debatte!“ oder Gerhard-Schröder-like einfach „Basta!“. Ein apodiktischer „Punkt“ lässt zwar ebenso wenig Widerspruch zu wie ein dahin geschnoddertes „Und jetzt halt die Fresse!“, wirkt aber irgendwie disziplinierter, gediegener. Da werden Gegenargumente sinnbildlich nicht vom Bauarbeiter abgewürgt, sondern von der Lateinlehrerin. Noch dazu strahlt der „Punkt“ eine gewisse moralische Erhabenheit aus und spielt damit in der Liga von „just saying“ – also jener pseudobescheidenen Beiläufigkeits-Floskel, die in Social-Media-Kommentaren ebenfalls das Debattenende markieren soll.

Halten wir also fest: Es gibt keine Spaltung. Und wer was anderes behauptet, bekommt heute Abend keine Weihnachtsgeschenke. Punkt. Just saying.

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