Antijudaismus - Die dunklen Flecken in Bachs Lebenswerk

Johann Sebastian Bach war bekennender Anhänger Luthers und dessen haarsträubendem Antijudaismus. Im Nationalsozialismus dienten einige seiner Werke als Hymnen für die „Entjudung der deutschen Kultur“. Eine Ausstellung setzt sich nun damit auseinander

Bach bezog sich in seinen Passionen auf Luther, der die Vertreibung und Vernichtung der Juden forderte / picture alliance
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Rainer Balcerowiak ist Journalist und Autor und wohnt in Berlin. Im Februar 2017 erschien von ihm „Die Heuchelei von der Reform: Wie die Politik Meinungen macht, desinformiert und falsche Hoffnungen weckt (edition berolina). Er betreibt den Blog „Genuss ist Notwehr“.

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Das Lutherjahr 2017 wirft seine Schatten voraus. Und natürlich sind die Feierlichkeiten zum 500. Jahrestag des Thesenanschlags in Wittenberg, der als Geburtsstunde der Reformation und des Protestantismus gilt, nicht ohne eine Betrachtung des Schaffens von Johann Sebastian Bach (1685-1750) denkbar. Denn der wohl bedeutendste Komponist des Barockzeitalters hat sozusagen den Soundtrack zum Protestantismus geschrieben, wenn auch erst rund 200 Jahre später.

„Luther, Bach und die Juden“ lautet daher der Titel einer Ausstellung, die noch bis zum 6. November im Bachhaus Eisenach gezeigt wird, dem Geburtsort des Komponisten. Anhand von Bildern, Texten und anderen Exponaten aus fünf Jahrhunderten wird dort das Spannungsfeld zwischen Protestantismus, Bachs Werk und dessen Rezeptionsgeschichte umfassend beleuchtet.

Für Jörg Hansen, Direktor des Bachhauses und Kurator der Ausstellung, führt kein Weg an der Auseinandersetzung mit den „dunklen Flecken“ in Bachs Lebenswerk vorbei. „Bach war strammer Lutheraner. Das heißt, die antijüdischen Aussagen, also die Betonung des Judentums als negatives Beispiel für die christliche Gemeinde – das ist das, was Bach auch in seinen Passionen ausgedrückt hat.“

Passionen mit antijudaischen Botschaften

Dabei bezog er sich direkt auf Luther, der unmissverständlich die Vertreibung und Vernichtung der Juden als einzige Lösung für das Christentum forderte. Deutlich wird dies vor allem in zwei der kirchenmusikalischen Hauptwerke des Komponisten, der Matthäus- und der Johannes-Passion. Sie sind nicht einfach Vertonungen der antijudaischen Botschaften der Evangelien, sondern nach allen Regeln der Tonsatzkunst – die Bach in seiner Zeit wie kein Zweiter beherrschte – gestaltete Werke mit enorm emotionalisierender Wirkung.

Gewiss, antisemitsche Verfolgungen gab es schon vor Bachs Zeit. Bereits im 16. und 17. Jahrhundert sind unzählige Judenprogrome dokumentiert, die unmittelbar nach Passionsaufführungen stattfanden.

In den Giftschrank?

Dennoch bleibt die Frage, wie man mit Werken umgehen soll, die im Nationalsozialismus als Hymnen für die „Entjudung der deutschen Kultur“ benutzt wurden. Stellt man sie in den Giftschrank und verbannt sie aus der Aufführungspraxis, wie in den ersten Jahren nach der Staatsgründung in Israel geschehen? Verteilt man bei jeder Aufführung ein aufklärendes Informationsblatt? Oder greift man gar in die Werke selbst ein, zum Beispiel durch neue Textfassungen einiger Arien? So hat es die Plattform „ha'atelier“ initiiert und einige Male zur Aufführung gebracht.

Für Hansen sind das alles verständliche Ansätze, besonders als Reaktion auf die Shoa, die aber der Komplexität des Problems nicht umfassend gerecht würden. Denn ausgerechnet eine jüdische Musikerfamilie hatte die in Vergessenheit geratenen Passionen in Deutschland wiederentdeckt. Moses Mendelssohn verstand Bachs Werk, vor allem die Instrumentalmusik, als vollkommene Synthese von Sinnlichkeit und Rationalität. Sein aufgrund zunehmender Anfeindungen christlich getaufter Enkel Felix-Mendelssohn Bartholdy führte 1829 die Matthäus-Passion erstmals seit Bachs Tod wieder auf – nicht in einer Kirche, sondern in der Berliner Singakademie. Seitdem haben diese epochalen Werke wieder ihren gebührenden Platz im Musikgeschehen – und das bis heute und inzwischen auch in Israel.

Bachs universelle Bedeutung, auch für Juden

Auch zeitgenössische Musiker sind sich der Problematik von Bachs Passionen bewusst. Der Dirigent Daniel Barenboim plädiert dafür, die Texte historisch einzuordnen in die Epoche, in der sie entstanden seien. Man könne „den Antisemitismus des 16. und 17. Jahrhunderts nicht mit dem Antisemitismus der Hitler-Zeit gleichsetzen“. Bach sei der erste Komponist gewesen, der eine universelle historische Bedeutung habe.

Diese Art jüdischer Absolution erübrigt jedoch keineswegs die Auseinandersetzung mit Bachs Antijudaismus. Dazu dienen – gerade im Vorfeld des Luther-Jahres – Ausstellungen wie die im Bachhaus Eisenach: mit Akribie kuratiert, ohne erhobenen Zeigefinger, dafür aufklärend. Und genau in diesem Geist sollte man auch heute die beiden großen Passionen von Johann Sebastian Bach hören.

Die Ausstellung „Luther, Bach und die Juden“ ist noch bis zum 6. November im Bachhaus Eisenach zu sehen.

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