Annalena Baerbocks Buch - Wo bleiben Antworten auf die großen Fragen?

Aufgrund vieler abgeschriebener Passagen sah sich die Kanzlerkandidatin der Grünen heftiger Kritik ausgesetzt. Aber worum geht es Annalena Baerbock eigentlich? Der FDP-Parlamentarier Johannes Vogel hat sich mit dem Inhalt der Schrift auseinandergesetzt.

Was steht eigentlich drin, in Baerbocks Wahlkampf-Traktat? / Ullstein
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Autoreninfo

Johannes Vogel ist Sprecher für Arbeitsmarkt- und Renten­politik der FDP-Fraktion im Deutschen Bundestag.

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Bücher von Politikerinnen und Politikern sind kein ganz einfaches Genre. Bücher von Kanzlerkandidatinnen offenkundig erst recht nicht. Als Annalena Baerbock vor rund zwei Monaten „Jetzt“ vorgestellt hat, war das erstmal die Präsentation eines literarischen Wahlplakats. Schnell wurde daraus ein skandalumwitterter Stein des Anstoßes. Die grüne Kanzlerkandidatin war teils maßlosen Vorwürfen ausgesetzt, ihre im Buch gezeigte Praxis des Copy-Paste allerdings auch alles andere als maßvoll. Die Salami­taktik im Krisenmanagement machte es nicht besser. 

Eine Verteidigungslinie grüner Kolleginnen und Kollegen war, man solle mehr über die Themen des Buches reden. Über Inhalte reden – das lohnt sich immer. Denn in der Tat sind sie es, um die es im Wahlkampf im Kern gehen sollte. Dieser ist idealiter nichts anderes als das große Gespräch unserer Demokratie über die Themen und vor allem die Lösungen, die in der nächsten Legislatur eine Rolle spielen sollten. 

Stärken und Schwächen

Dabei geht es natürlich immer auch um die konkreten Menschen, die sich um Macht bewerben, und ihre biografischen Motive. Dazu Folgendes: Die leider nur knapp zwei Seiten lange Schilderung des Lebens- und Bildungswegs der Mutter von Annalena Baerbock und die sich auf ebenso knappen Raum daran anschließenden politischen Schlussfolgerungen sind eine durch und durch starke Passage. Man kann nachfühlen, wie sich Biografisches und Politisches zusammenweben. 

Ich kenne das von anderen politischen Menschen und auch von mir selbst: Da ist man bei sich, will etwas verändern und hat etwas zu sagen. Baerbocks treffendes Plädoyer für lebenslange Bildungschancen entwickelt daraus Gehalt und rhetorische Wucht. Das sind Dinge, die auf Wahlplakaten keinen Platz finden – und deshalb können solche Bücher doch wertvoll sein.

Der Untertitel von „Jetzt“ lautet „Wie wir unser Land erneuern“. Dieser Anspruch jedoch wird nicht erfüllt. Nachhaltigkeit zeigt sich nicht nur an der Entschlossenheit, das Klima zu schützen, sondern sollte umfassend gelten. Wer sich selbst an der Spitze der Regierung sehen will, muss auch für die anderen großen Fragen seiner Zeit eine Antwort anbieten und sollte sich nicht in Widersprüche verstricken.

Grüne Leere

Es bleibt etwa ein Rätsel, wie die Grünen-Chefin ihre transatlantische Agenda zusammenbringen will mit dem begeisterten Kampf ihrer Partei gegen das Transatlantische Freihandelsabkommen und die für viele Grüne anscheinend größte Bedrohung Europas der jüngeren Vergangenheit: das amerikanische Chlorhuhn! Und dann der Erfahrungsbericht über das miese britische Gesundheitssystem – ist die staatliche Einheitsversicherung, wie sie sich im Vereinigten Königreich findet, nicht ziemlich genau das, was die Grünen auch für Deutschland herbeisehnen? 

Das Land soll zwar erneuert werden, aber bei den Sanierungsplänen für das deutsche Staatsgebäude fehlt zudem ausgerechnet jede Idee zum mit Abstand größten Zimmer: der Altersvorsorge. Zur Rente, zum größten Posten im Bundeshaushalt gibt es von Baerbock nur eine ziemlich krasse, grüne Leere. Was bleibt, ist der Impetus, Erneuerung ist notwendig. Das ist gut. Konkrete, umsetzbare Reform­ideen mitzubringen, ist noch besser.

Wenn die nächste Bundesregierung gar nicht darauf angewiesen wäre, dass die guten Ideen unbedingt von den Grünen kommen müssen, wäre das am besten.

Annalena Baerbock: Jetzt. Wie wir unser Land erneuern. Ullstein, Berlin 2021. 240 Seiten, 24 €

 

Dieser Text stammt aus der August-Ausgabe des Cicero, die Sie jetzt am Kiosk oder direkt bei uns portofrei kaufen können.

 

 

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