#allesdichtmachen - Auf abschüssigem Grund

Die teilweise hysterischen Reaktionen auf die satirischen Corona-Videos deutscher Schauspieler machen deutlich: Wir werden erst dann wieder offene Debatten führen können, wenn die Anklage, man würde irgendwem oder irgendwas nahestehen, ins Leere läuft.

Ende der Vorstellung, Ende der Debatte / picture alliance
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Autoreninfo

Alexander Grau ist promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist. Er veröffentlichte u.a. „Hypermoral. Die neue Lust an der Empörung“. Zuletzt erschien „Vom Wald. Eine Philosophie der Freiheit“ bei Claudius.

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Es ist ein bisher einmaliger Vorgang. Und das will etwas heißen in diesen hysterischen Zeiten. In bedrückender Geschlossenheit und mit teils unverhohlener Aggressivität stürzen sich Journalisten, Meinungsmacher, Kommentatoren, Kulturschaffende und Kollegen auf jene 53 Schauspieler, die sich am Donnerstag an der Aktion #allesdichtmachen beteiligten.

Es grenzt an eine Hetzjagd. Und kaum jemand stellt sich ihr entgegen. „Die Schauspieler*innen von #allesdichtmachen können sich ihre Ironie gerne mal tief ins Beatmungsgerät schieben“, twitterte etwa der ehemalige Viva-Moderator Tobias Schlegl in gendergerechter Verachtung. Das ist nicht nur unsensibel gegenüber Menschen an Beatmungsgeräten. Es zeugt vor allem von einer Feindseligkeit, die zumindest erstaunlich ist.

Und Schlegl steht nicht allein. Im Gegenteil. Die Rhetorik und das Vokabular, das seit vier Tagen auf die Macher von #Allesdichtmachen eintrommelt, zielt darauf ab, mundtot zu machen. Diese Sprache will nicht argumentieren. Sie will nicht streiten. Sie will sozial ausgrenzen. Sie will diskreditieren. Sie will die Betroffenen an der schwächsten Stelle des Menschen treffen: seiner sozialen Reputation und seinen sozialen Bindungen.

Denn an diesem Punkt sind wir alle verletzlich. Niemand will isoliert dastehen. Niemand möchte, dass die eigenen Kinder in der Schule geschnitten werden. Dass Kollegen und Freunde sich abwenden. Dass Bekannte einen meiden in der Sorge vor sozialen Sanktionen. 

Hysterische Öffentlichkeit

Deshalb geht diese zynische Taktik auf. Sogar bei Prominenten. Von den ursprünglich 53 Videos waren Stand Sonntagabend noch 32 übrig. Ein Armutszeugnis. Nicht für die betroffenen Schauspieler wohl gemerkt, die sich dem Druck gebeugt haben. Sondern für die hysterische Öffentlichkeit, die nicht mehr in der Lage ist, auch mal ätzenden Humor und Sarkasmus zu ertragen.

Entsprechend dünn sind vorgebrachten Anschuldigungen. Etwa der einfältigste aller Vorwürfe: Der Hinweis auf die Privilegiertheit der Schauspieler. Im Stil ihres Kollegen Elyas M´Barek könnte man antworten: „Come on, das ist doch Blödsinn.“ Haben privilegierte Menschen keine Recht ihre Meinung zu sagen? Oder nur, wenn sie devot genug ist? Darf man sich als Promi lediglich im Rahmen der üblichen Polit-Agitprop äußern, sollte ansonsten aber besser den Mund halten? Das kann nicht ernst gemeint sein.

Noch problematischer an dem Furor der letzten Tage ist jedoch das vollkommene Unverständnis für Sarkasmus und schwarzen Humor, das aus ihm spricht. Dabei sei daran erinnert: Spott und Zynismus gegenüber Krankheit, Tod und Schmerz sind wahrscheinlich die ältesten und erprobtesten Coping-Strategien der Menschheit. Aus naheliegenden Gründen. Wer sich über „ekelhafte Ironie“ oder „faden Zynismus“ beschwert, offenbart daher nicht nur eine geradezu lächerliche Betulichkeit, sondern vor allem inquisitorischen Geist. Denn genau diese Mischung aus mimosenhafter Hypersensibilität und besessenem Regulierungseifer unterminiert jede offene und humane Gesellschaft.

Deshalb gibt es in einer freien Gesellschaft kein Recht auf die Unverletzlichkeit persönlicher Gefühle. Das mag eine harte Botschaft sein. Sie ist aber zentral. Sonst wäre diese Gesellschaft ziemlich schnell ziemlich unfrei.

Keine Kunst?

Ein besonders aparter Hinweis in der Debatte um #allesdichtmachen kommt von der Seite feinsinniger Feuilletonisten. Dies sei keine Kunst, werden wir aufgeklärt. Wie bitte? Haben wir nicht in den letzten Jahrzehnten gelernt, dass alles Kunst ist, sobald es jemand zu Kunst erklärt? Und jetzt soll es plötzlich wieder Kriterien für Kunst geben wie einst in der Kaisers Kunstakademien? Nur mit dem Unterschied, dass heutzutage politische statt ästhetischen Maßstäbe gelten? Nach dem Motto: Nur linke Kunst ist Kunst. Kunst, die sich diesem Diktum nicht beugt aber nicht?

Und zu guter Letzt durfte in dem Panoptikum der Vorwürfe gegen die Macher von #allesdichtmachen natürlich nicht der gute alte Vorwurf fehlen, man bekäme Applaus von der falschen Seite, benutze ein falsches Vokabular oder zeige irgendwelche Nähe. Die Logik dieses Arguments ist absurd. Denn der Wert oder Unwert einer Aussage liegt in ihr selbst, nicht in irgendeiner Nähe zu irgendwas oder irgendjemand.

Dennoch ist dieses „Argument“ der Fanfarenstoß, mit dem man zur Jagd ruft. Das bedeutet umgekehrt: Wir werden in dieser Gesellschaft erst dann wieder offene und freie Debatten führen können, wenn die Anklage, man würde irgendwem oder irgendwas nahestehen, ins Leere läuft. Dafür aber müssen die Weltklugen, die Liberalen, die Freiheitsliebenden und Mutigen endlich Schluss machen und weder einknicken noch sich von irgendetwas distanzieren.

Die ewige Distanzeritis ist der Klotz am Bein offener Debatten. Denn mit jedem neuen Mea Culpa wird die Falle neu gespannt. Und mit jeder neuen Spannung schnappt sie härter zu. Insofern sollte uns die Hysterie und der aggressive Tonfall um #allesdichtmachen eine Warnung sein. Wir befinden uns auf einem abschüssigen Weg – und der Untergrund wird immer glatter.

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