Corona-Krise - „Angst erhöht die Leistungsfähigkeit“

Ängste der Menschen können ganz unterschiedlich ausfallen – die Angst davor, sein Handy zu vergessen oder etwas zu verpassen. Doch wie sieht es nach mehr als einem Jahr Corona-Krise aus? Der Angstforscher Jürgen Hoyer erklärt in einem Interview die, durchaus auch positiven, Zusammenhänge.

Eine Grundemotion des Menschen - Angst Foto: dpa
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Autoreninfo

Sina Schiffer studiert an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität in Bonn Politik und Gesellschaft und English Studies. Derzeit hospitiert sie bei Cicero. 

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Dr. Jürgen Hoyer ist Diplom-Psychologe, approbierter Psychologischer Psychotherapeut und Inhaber der Professur für Behaviorale Psychotherapie an der Technischen Universität Dresden. Er hat zahlreiche Forschungsarbeiten und Buchpublikationen zur Psychotherapie von Angststörungen und Depressionen vorgelegt. 

Professor Hoyer, wovor hatten Sie zuletzt Angst?

Ich habe ab und zu Angst, dass meiner hochbetagten Mutter etwas fehlen oder etwas zustoßen könnte. Das motiviert mich dann, mich noch mehr zu kümmern.

Wie lässt sich Angst definieren?

Angst ist eine der Grundemotionen der Menschen. Wir erleben sie, wenn wir mit bedrohlichen Situationen oder auch Vorstellungen konfrontiert sind. Angst ist aber nicht nur eine rein gefühlsmäßige Reaktion, sondern sie erfasst auch die körperlichen Funktionen und das Denken. 

Und was sind dann Angststörungen?

Sie haben etwas damit zu tun, wie angemessen diese Angst ist. Angststörungen sind beeinträchtigende und blockierende Ängste, also solche, die mich hindern, Dinge zu tun, die andere ohne Probleme können. Die Überzogenheit der Angst und die Beeinträchtigung durch Angst sind Kernmerkmale von Angststörungen.

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Manifestieren sich zunehmend Angststörungen in unserer Gesellschaft?

Das kann man so pauschal nicht sagen. Wir müssen unterscheiden zwischen dem alltäglichen Erleben von Angst und Sorgen auf der einen Seite, und der Häufigkeit der klinisch relevanten behandlungsbedürftigen Angststörungen auf der anderen: Angststörungen werden nach der augenblicklichen Datenlage nicht häufiger. Möglicherweise wird aber das Thema Angst häufiger diskutiert und problematisiert – auch in den Medien – und das hat mitunter den Beiklang, als sei Angst als solches schon ein Problem. 

Sehen Sie das kritisch?  

Durchaus, denn Angst gehört zum Leben, und Gefühle kann man nicht abschaffen.

Jürgen Hoyer / Dirk Poetsch

Hat die Corona-Krise und all die Ungewissheiten, die damit einhergehen, Angststörungen nicht befeuert?

Es gibt im Gegensatz zu anderen psychischen Störungen trotz Corona bei Angststörungen keine Evidenz dafür, dass sie häufiger geworden sind. Für manche Angstpatienten ist das Homeoffice sogar angenehmer, weil sie so die Situationen, die ihnen Angst machen, zum Beispiel soziale Situationen oder Menschenansammlungen, wunderbar vermeiden können. Viele hatten aber in der Corona-Krise mit Sicherheit gut begründete Ängste, zum Beispiel bezogen auf berufliche, finanzielle oder gesundheitliche Aspekte.

Das heißt?

Die fundamentale Angst des Menschen ist, dass er mit Situationen konfrontiert wird, die er nicht kennt und die er nicht beeinflussen kann. Und das war sicherlich bei Corona wiederholt der Fall – zumal auch die Politik nicht wusste, was als nächstes um die Ecke biegt. Wenn das Angst erzeugt, ist das auch vollkommen in Ordnung. Denn Angst erhöht die Leistungsfähigkeit und schärft die Sinne. Die Angst mobilisiert dazu, etwas zu unternehmen, damit die Situation wieder unter Kontrolle kommt. 

Was für Möglichkeiten, etwa Therapieansätze oder Medikamente, lassen sich grob unterscheiden, um den Menschen Ängste zu nehmen?

Menschen, die von sich selber die Einschätzung haben, dass ihre Ängste überzogen oder unnötig einschränkend sind, sollten beim psychologischen oder ärztlichen Psychotherapeuten abklären lassen, ob eine Angststörung gegeben ist; so wie man das bei anderen Erkrankungen auch tun würde. Angststörungen sind meist gut behandelbar. Die beiden Hauptbehandlungszugänge sind zum einen die Psychotherapie, insbesondere Verhaltenstherapie, und zum anderen die medikamentöse Therapie mit Antidepressiva. 

Was sind die größten Ängste der Menschen? 

Fundamentale Ängste beziehen sich darauf, dass die eigenen Angst- und vor allem Panikreaktionen körperliche oder seelische Schäden anrichten können, dass andere die Person negativ bewerten könnten oder dass es zu Verletzungen oder Schädigungen kommt. 

Variieren Ängste von Generation zu Generation?

Sicherlich. Die Angstreaktion – so wie sie emotional und körperlich abläuft – bleibt natürlich gleich. Aber die Themen, die uns Angst machen, ändern sich mit dem, was in unserer Umwelt in den Fokus rückt. Deswegen kann ich schon aus logischen Gründen sagen, dass sich Angstthemen von Generation zu Generation ändern: Gerade das Neue und Ungewohnte macht Angst. In der jeweiligen Zeit und Gesellschaft werden unterschiedliche Bedrohungsszenarien diskutiert, die entsprechende Ängste provozieren können. Dabei gibt es auch so etwas wie Ansteckungseffekte. 

In einer Studie wurde offengelegt, dass Smartphone-Nutzer im Alter zwischen 18 und 25 Jahren unter der Angst leiden, ihr Handy zu vergessen. Das Phänomen wird als Nomophobie tituliert. Was zeigt diese Entwicklung aus Ihrer Sicht auf?

Ich bin nicht mal sicher, ob der Begriff der Nomophobie nicht ironisch gemeint ist. Im wissenschaftlichen Sinne handelt es sich nämlich weder um eine Phobie noch um eine Angststörung. Aber der Begriff beschreibt das Unbehagen, das entsteht, wenn ein Werkzeug, das mich zuverlässig gegen Langeweile schützt, nicht mehr zur Verfügung steht. Zu einem verwandten Phänomen, der „Facebook Addiction Disorder“, gibt es Daten, die zeigen, dass eine exzessive Facebook-Nutzung tatsächlich mit Angstsymptomen, Depressionen, Schlafstörungen und erhöhtem Stress assoziiert ist, ohne dass wir wissen, inwieweit die Facebook-Nutzung Ursache oder Folge der psychischen Probleme ist.

Können Sie das noch weiter ausführen?

Die sozialen Medien sind quasi Maschinen, die uns von unangenehmen Gefühlen und Emotionen effektiv ablenken können. Das führt dazu, dass manche schlechter erlernen, Angst, Langeweile, Traurigkeit oder andere belastende Gefühle auszuhalten und zu bewältigen. Dafür brauchen sie dann vermeintlich ihr Smartphone. 

Gehen damit auch andere Ängste einher? Die Angst, nicht gut genug zu sein?

Durchaus. Durch die sozialen Medien wird der soziale Vergleich dauernd produziert. Nicht selten fällt er negativ aus, da auf Instagram ausschließlich die Schokoladenseite der Nutzer zu sehen ist. Es gibt Daten, die zeigen, dass eine passive Nutzung der sozialen Netzwerke das Wohlbefinden mindern kann. Der aktive Gebrauch, also das selbst posten und „gelikt“ werden, steigert hingegen das Wohlbefinden, kann aber in Einzelfällen geradezu abhängig machen. 

Ist das wirklich nur ein Problem der jüngeren Generation?

Die jüngere Generation ist an diese Medienform sozialisiert. Es ist die erste Generation, die diese Möglichkeiten bereits früh im Leben hat, und es wird sich zeigen, inwieweit dies für eine gesunde emotionale Entwicklung auch Nachteile hat. Die ältere Generation hat bereits ihre Bewältigungserfahrungen gemacht und andere Wege gefunden, um mit Emotionen umzugehen. Die müssen nicht vorbildlich sein, kommen aber in der Regel ohne Smartphone aus.

Beinhaltet Angst auch immer eine Sehnsucht nach Sicherheit?

Sicherheit und Kontrolle stehen für ein menschliches Grundbedürfnis. Ob wir das dann Sehnsucht nennen wollen, ist eine andere Frage. Der Begriff klingt etwas romantisierend. Aber es gibt zweifellos ein natürliches Streben des Menschen nach Vorhersehbarkeit. 

Die Fragen stellte Sina Schiffer

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