Jugendwahn - Hau ab, Alter!

Alte Menschen in Deutschland haben ein Image-Problem. Entweder werden sie verniedlicht oder als abstoßend herabgewürdigt. Auch der Kampfbegriff „alter, weißer, heterosexueller Mann“ zeugt von einem Misstrauen gegenüber Senioren. Woher kommt das?

Entweder niedlich oder abstoßend: ein anderes Bild von alten Menschen scheint man in Deutschland nicht zu kennen / picture alliance
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Ulrich Thiele ist Politik-Redakteur bei Business Insider Deutschland. Auf Twitter ist er als @ul_thi zu finden. Threema-ID: 82PEBDW9

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Es gibt Länder, die eine emphatische Sicht auf alte Menschen kultiviert haben. Während eines Besuchs vor einigen Jahren in einem Land, in dem diese Wertschätzung besonders betont wird, hatte ich deswegen diverse Höflichkeitsformen zu beachten. Man erklärte mir etwa, ich müsse sofort aufstehen, wenn ein alter Mensch den Raum betritt, und ich dürfe den Alten im Gespräch niemals direkt in die Augen sehen, als Zeichen der Ehrerbietung. Ein Seniorenheim würde dort nach einer Woche Insolvenz anmelden müssen, da die Alten wie selbstverständlich im Drei-Generationen-Haushalt gepflegt werden. Sie gelten, so sagte man mir, als erfahren und weise, sie strahlten die Würde des gelebten Lebens aus – all die Pathosformeln also, mit denen das Altsein positiv konnotiert wird. Das Deutschland der Spätmoderne gehört mit Sicherheit nicht zu diesen Ländern. Im Gegenteil: Der Kontrast zum Image der Alten in unserem Land ist frappierend.

Hohes Alter als Beleidigung

Wer sich dieser Tage die Mühe macht, die Kommentarspalten unter Online-Artikeln über hochbetagte Politiker zu lesen, der findet nicht nur Kritik an ihren politischen Einstellungen. Mindestens genauso oft wird ihr Alter thematisiert. Meist geschieht dies bei rechtskonservativen oder gar als „islamophobe Rassisten“ verpönten Politikern wie Albrecht Glaser von der AfD. Aber auch bei sogenannten „linksversifften Gutmenschen“ wie Wolfgang Thierse von der SPD oder Hans-Christian Ströbele von den Grünen ist dieses Phänomen zu beobachten. „Alter, verbitterter Mann“ oder „alter, verwirrter Zottel“ gehören noch zu den netteren Äußerungen.

Über die Mode-Beleidigung „alter, weißer, heterosexueller Mann“ wurde bereits allerlei gesagt und geschrieben. Besagter alter, weißer, heterosexueller Mann gilt als ewig gestriger und verbohrter Anhänger einer privilegierten Mehrheit und hat sich in (selbst ernannt) progressiven Kreisen zu einem inflationär genutzten Kampfbegriff entwickelt. Image-Ausnahmen bilden Ikonen wie der verstorbene Ex-Bundeskanzler Helmut Schmidt, der im Alter als „Elder Statesman“ gerühmt wurde.

„Armer, alter, verwirrter Mann“

Aus den Beleidigungen scheint dennoch nicht nur die Ablehnung unliebsamer politischer Haltungen zu sprechen, sondern auch ein grundsätzlicher Abwehrreflex gegenüber den Alten in unserem Land. Bezeichnend hierfür ist ein kurzes Video, das ein eher mittelmäßiger Comedian kurz nach der Bundestagswahl veröffentlichte und das nicht weiter von Interesse wäre, wäre es nicht mittlerweile schon mehr als eine Million Mal aufgerufen worden.

Der junge Mann echauffiert sich darin über den Erfolg der AfD, wobei er nach zweieinhalb Minuten auf Alexander Gauland beziehungsweise auf dessen hohes Alter zu sprechen kommt: „Ich habe noch nie gesehen, wie alt der wirklich ist. Der Typ ist locker 100. Oder mindestens 88. Irgendwas dazwischen. Und anstatt dass der jetzt zu Hause sitzt und in seinem Sessel seine letzten Tage genießt, schwenkt er nochmal um und lernt jetzt auf Politiker.“ Er gibt vor, Mitleid mit dem „armen, alten, verwirrten“ Mann zu haben und fährt fort: „Alter ist anscheinend eine furchtbare Sache, ich mein, der Mann ist wirklich alt.“ Und weiter: „Stell dir vor, du hängst da herum im Seniorenheim, ganz allein.“

Entweder niedlich oder abstoßend

Ohne Glaser, Thierse, Ströbele und Gauland in Schutz nehmen oder sie überhaupt beurteilen zu wollen: Das Bild vom alten, einsamen, bemitleidenswerten und unmündigen Menschen, der im Seniorenheim dahinvegetiert, dürfte auch unabhängig vom AfD- oder Gutmenschen-Bashing selbst denen bekannt vorkommen, die noch nie eine solche Einrichtung betreten haben. Vorausgesetzt, sie schalten ab und an den Fernseher an. Denn schaut man sich Fernsehserien, Filme und Werbespots – die Spiegel des Begehrens und des Ekels einer Gesellschaft – an, dann muss man feststellen: Alte werden in der Öffentlichkeit entweder als abstoßende, von körperlichem und geistigem Verfall gezeichnete Kreaturen dargestellt. Oder ihr Altsein ist irgendwie niedlich, wie bei Kindern oder Tierbabys.

Merke: Wenn man die falsche Gesinnung hat, ist alt zu sein etwas Abstoßendes. Ist die Gesinnung so weit nicht verdächtig, ist das hohe Alter putzig. Als alter Mensch mit akzeptierter Gesinnung käme ich mir dennoch mindestens bevormundet vor. Und Bevormundung ist bekannterweise nur die andere Seite der Medaille: dieselbe Herabsetzung, bloß im Engelsgewand.

Jugendwahn?

Ist der so vielfach verpönte Jugendwahn womöglich weiter reichend und subtiler als die offensichtlichen Fälle von botoxgespritzten Hollywoodstars, von denen man sich leicht distanzieren kann? Oberflächliche Jugendfanatiker sind freilich immer nur die anderen. Damit wir das verstehen, lächeln uns in Werbespots bestens gelaunte Senioren entgegen und betonen, wie vital sie in ihren Alter noch sind, und wie natürlich und gelassen sie altern. Das klingt erst einmal schön, unterschwellig aber wirkt das wie eine Maßregelung: „Alte, reiht euch ein in den Freudenchor der Optimismus- und Gesundheitsideologie, aber belästigt uns nicht mit der Erinnerung an Vergänglichkeit und Verfall!“

Alter, Schwermut, Krankheit: Diese Punkte scheinen uns ein Graus zu sein. Kaum auszudenken, wie die Reaktion ist, wenn sie zusammenfallen. Hat deswegen die verheerende Lage der Altenpflege im Wahlkampf eine derart untergeordnete Rolle gespielt? Ist das Thema einfach nicht sexy genug?

Ich bin ein junger weißer Mann. Irgendwann werde auch ich – so Gott will – ein alter weißer Mann sein. Bei dem Gedanken daran graut’s mir schon jetzt. Nicht nur wegen der entgleitenden Jugend auf dem Weg dorthin. Sondern vor allem wegen der Geringschätzung, mit der man meinem Altsein begegnen wird – ganz unverhohlen natürlich nur dann, wenn man mir eine unrühmliche Gesinnung attestiert. Und wer weiß, welcher Zeitgeist in 50 Jahren spukt.

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