50 Jahre Sendung mit der Maus - Die schönste Wiederholung des Lebens

Verlässlich, freundlich und orange: Seit 50 Jahren erklärt eine Maus Kindern und Erwachsenen die Welt. Höchste Zeit, mal zu fragen, was Deutschlands älteste Kindersendung so erfolgreich macht. In unserer Redaktion gibt es darauf ganz verschiedene Antworten.

Immer wieder neue Abenteuer: Maus und Elefant / dpa
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Die zweite Chance

Vielleicht heißt erwachsen werden vornehmlich dieses: Man wird älter und erkennt, dass das Leben auch die Summe der abgearbeiteten oder sogar vertanen Dinge ist. Vieles gibt es eben nur genau einmal: Es gibt den ersten Schultag, den ersten Kuss, das erste große Ding, das man dreht. Und irgendwann schaut man zurück auf das, was schon alles hinter einem liegt und denkt mit Sehnsucht an jene warme, vertrauensvolle Stimme, bei der wenigstens einmal alles anders war: „Und weil das jetzt so schnell ging, schauen wir das nochmal!“. Nie war die zweite Chance so bedingungslos und selbstverständlicher wie in den Sachgeschichten von Armin Maiwald. Egal was war: Ob ein Bauer eine Kartoffel pflanzte oder ob ein Astronaut in den dunklen Weltraum flog – auf Armins Nachsicht konnte man bauen: „Und weil das jetzt so schnell ging, schauen wir das nochmal!“ Das war die schönste Wiederholung des Lebens. Später, wenn ich einmal wirklich alt sein werde, hoffe ich noch einmal diese Stimme zu hören. Dieses fast väterliche Timbre, mit dem das Unmögliche nochmal möglich werden kann.

Ralf Hanselle

 

Türöffnerin zu einer fremden Welt

Natürlich muss es vor mir Menschen gegeben haben, die auch ohne die Maus großgeworden sind. Aber so richtig vorstellen kann ich mir das eigentlich nicht. Eine Kindheit ohne den liebenswürdig-vorwitzigen Nager mit seinem hellbraunen Fell, den dunkelbraunen Ohren und den sechs markanten Barthaaren um die schwarze Stupsnase – das dürfte bestimmt eine trostlose Angelegenheit gewesen sein.

Die Maus und ich, wir sind ungefähr gleich alt; sie kam also genau zum richtigen Zeitpunkt auf die Welt. Der klackernde Augenaufschlag, der bei Bedarf wie ein Propeller rotierende Schwanz, dieser stets vergnügte Einfallsreichtum: Das kleine Tier, wiewohl es seinen Gefährten, den blauen Elefanten, sogar um mindestens einen Kopf überragt, hat meine Fernsehsozialisation entscheidend geprägt. Jede Episode war faszinierend, jedes Maus-Abenteuer ein Hinweis darauf, dass sich selbst die vertracktesten Probleme am Ende irgendwie mit Humor und originellen Ideen lösen lassen.

Am besten gefiel mir allerdings immer der Vorspann, in dem die Themen der Sendung angekündigt werden. Genauer gesagt der zweite Teil dieses Vorspanns, wo die Ansage noch einmal in einer Fremdsprache wiederholt wird. Seltsam klingende, unverständliche Sätze in harmonischem Singsang, gefolgt von der Auflösung: „Das war Portugiesisch.“ Oder: „Das war Russisch.“ Da wurde schon in dem kleinen Jungen die Neugierde auf fremde Länder geweckt; es war ein Versprechen auf eine exotische Welt, die sich hinter dem heimatlichen Horizont auftun würde und die es später zu entdecken gelte. So kann es dann ja auch.

Die Maus ist eben eine Türöffnerin, sie ist es bis heute geblieben. Inzwischen macht sie sogar Lust auf noch entlegenere Welten als Portugal, Russland oder ähnlich exotische Destinationen. Im Jahr 2017 erklang der legendäre Fremdsprachen-Vorspann nämlich erstmals auf Klingonisch: „Ej, net Sov, nutlej Maus e levan je.“ Man lernt halt nie aus mit der Maus.

Alexander Marguier 

 

Die Sendung mit dem Armin

Das ist der Armin. Wenn der Armin ein Buch wäre, könnte man ihn immer aufklappen, wenn man eine Frage hat. Der Armin erklärt Kindern, was auch Erwachsene schon immer wissen wollten, sich aber nie zu fragen trauen. Wie die Zahnpasta in die Tube kommt zum Beispiel. Oder ob Ameisen schlafen. Klingt komisch. Ist aber so. Seht Ihr ja selbst. 

Armin, das ist Armin Maiwald. Sonore Stimme, freundliche Augen hinter einer Nickelbrille. Ein Mann, der sich ein kindliches Staunen bewahrt hat. Maiwald kommt vom Theater. Er ist eigentlich Dramaturg. Er erklärt die Welt, ohne seine Zuhörer zu belehren. Und wie er das macht, in scheinbar lässig aus dem Handgelenk geschüttelten Sätzen, das ist große Kunst. Die Satire-Sendung extra 3 hat diesen lakonischen Stil jahrelang versucht, für die Politik zu kopieren. „Ach- und Krachgeschichten mit dem Klaus”, hieß die Kopie. Sie kam nie an das Original heran. 

Auch die Maus hatte gegen Armin Maiwald keine Chance. Sie war ja keine normale Maus oder gar ein Mäuschen. Eher eine Superheldin in Gestalt einer etwas unförmigen Nagerin. Es gibt nichts, was die Maus nicht kann. Wenn sie Durst hat, öffnet sie ihren Bauch und holt eine Flasche Milch heraus. Und wenn sie nicht an die Äpfel im Baum  drankommt, weil sie zu klein ist, alles kein Problem. Die Maus fährt einfach ein Paar Stelzen aus. Sie klackert dazu mit den Liddeckeln. Es ist ein Geräusch, das signalisiert: Vorsicht, Geistesblitz! 

Als Kind habe ich mich vor ihr gefürchtet. Als Mutter finde ich sie noch immer spooky. Kinder müssen nicht funktionieren. Sie müssen nicht für jedes Problem eine Lösung haben. Sie sollten Kind sein und sich ausprobieren dürfen. So wie der blaue Elefant oder die Ente, die in den 80er-Jahren als Begleiter der Maus dazukamen. Aber wie gesagt, wegen der Maus habe ich die Sendung ja sowieso nie geschaut, sondern wegen dem Geschichtenerzähler Maiwald. Eigentlich müsste sie „die Sendung mit dem Armin“ heißen.

Antje Hildebrandt        

 

Die doppelte Maus

Da war sie wieder, die Eiermaschine. Ein fast Steampunk-haftes Monstrum hinter der Küchenwand und unterhalb des Hühnerstalls. Ein Huhn legt ein Ei, es kullert durch die Maschine, wird dabei gewogen, durchleuchtet, gewaschen, nach Größe sortiert und schließlich durch eine Öffnung in der Wand in die Küche der Maus gekippt. Manchmal genau rechtzeitig, um in der Pfanne zu landen, manchmal auf dem Boden. Die Eiermaschine stammt aus den 1980ern, die Zeit meiner Kindheit, und sie ist vielleicht eine der bekanntesten Maus-Spots des Zeichners Friedrich Streich.

Inzwischen haben wir die 2020er und ich bin Vater eines Sohns. Mit ihm schaue ich ab und zu, wenn es zwischen Home-Office und Windeln wechseln Zeit wird für eine Pause, die Maus-Cartoons. Die Eiermaschine nach mehr als 30 Jahren wiederzusehen, war ein irres Erlebnis. Sie hatte sich so in meine Erinnerung eingebrannt, dass ich mich augenblicklich in meine Kindheit zurückversetzt fand. Als hätte ich eine Zeitkapsel geöffnet, in der alles perfekt konserviert worden war. 

Und ich muss sagen, es macht immer noch Spaß, sich den orangenen Nager und seinen kleinen blauen Freund anzusehen. Die Maus ist originell, sie findet gemeinsam mit dem Elefanten immer eine Lösung für ein scheinbar nicht zu lösendes Problem. Und die beiden haben Humor, über den ich auch als Erwachsener noch lachen kann. In einem Spot treten plötzlich ein großer Elefant und eine kleine Maus auf, das Größenverhältnis also auf den Kopf gestellt, obschon es ja eher der Realität entsprechen würde. Doch es sind nur Kostüme: Die Maus hat sich als Elefant verkleidet, der Elefant als Maus. Beide legen ihr Kostüm ab und lachen. Mein Sohn und ich lachen auch. Vielleicht wird er das in drei Jahrzehnten mit seinem Kind ebenfalls.

Marko Northe
 

Probiers mal mit Fernseh-Bigband-Sound 

Mehr als jeder einzelne Inhalt, und auch überhaupt mehr als jede visuelle Erinnerung an die Sendung, ist es für mich die Musik, die Titelmelodie, die mich geradezu magisch noch heute wieder zum erwartungsgespannten, lerngierigen Kind macht. Dieser altbundesrepublikanische Fernseh-Bigband-Sound, dessen schwer zu leugnende Hüftsteifheit und fehlenden Swing man im Count-Basie-hörenden nordrhein-westfälischen Elternhaushalt schon bemerkte, der sich im Laufe der Jahre aber so sehr mit der freudigen Erwartung auflud, welche Maschinen man nun was herstellen sehen würde – dass es noch immer reicht, die wenigen Takte zu hören, und der ganze Körper weiß: Jetzt kommt was Interessantes!

Jens Nordalm 

 

Wie kommen die Löcher in den Käse? 

„Moin-Moin, Kinners!“, schallt es durch die Wohnzimmer der Republik und das schon seit 1991. So lange sind die Seemannsgeschichten von Käpt'n Blaubär bereits Bestandteil der „Sendung mit der Maus“. Neben dem Trio aus Maus, Elefant und Ente stehen also auch noch andere Charaktere im Mittelpunkt der Sendung. Und das sehr erfolgreich.

Seit 14 Jahren müssen sich die Eltern und Großeltern dann auch noch den Songtext „Oh Shaun das Schaf“ in Endlosschleife anhören. Ein mehr oder weniger ganz gewöhnliches Schaf erobert die Bildschirme der Nation in Windeseile. Shaun ist ein neugieriges und verschmitztes Schaf, das den doch eigentlich so idyllischen Bauernhof in jeder Episode wieder aufs Neue aufmischt. Doch ganz können sie der Maus dann doch nicht die Show stehlen, denn sie ist ja bereits seit 50 Jahren auf eine doch so leise Art und Weise der Star des deutschen Fernsehens. Große runde Geburtstage werden natürlich auch entsprechend groß gefeiert. Auch wenn es dieses Jahr keine Umarmungen oder Küsschen geben wird, werden die Glückwünsche nicht ausbleiben. Man darf dann auch mal in Erinnerungen schwelgen…

Als Kölsches Mädche hatte ich bereits mit zwei Jahren den 30. Geburtstag der Maus live feiern dürfen, so haben es mir zumindest meine Eltern später erzählt. Beim WDR in Köln kamen der Sandmann, Pumuckl, Samson aus der Sesamstraße und tausende von Kindern zusammen. Und das nur, um der Maus zu gratulieren. Auch wenn ich bis jetzt die Lach - und Sachgeschichten der Maus erst 22 Jahre miterleben durfte, bin ich immer noch neugierig darauf, wie die Löcher in den Käse kommen. 

Sina Schiffer

 

Herzensbildung vom Maulwurfshügel

Als kleiner Junge gehörte für mich „Der kleine Maulwurf“ zum unverzichtbaren Teil der Sendung mit Maus. Zwar sagte das Zeichentrick-Kerlchen – im tschechischen Original Krteček – nie ein Wort, sondern brabbelte, kicherte oder jammerte vor sich hin. Aber der kleine Herr vom Hügel war ein wohltuendes Komplementär zu den faszinierenden Sachgeschichten. Wenn man dem Hirn-Herz-Hand-Modell des Pädagogen Heinrich Pestalozzi folgen will, so war der kleine Maulwurf für Hand und Herz zuständig. Ein wünschenswerter Arbeiter, der emsig trotz aller Plage stets Vorräte sammelte, Gräben gegen Überschwemmungen aushob – und dem dabei immer wieder schlimme Schicksalsschläge drohten.

Nicht immer waren es Lachgeschichten, eher herzzerreißende Schmerzgeschichten, die sich am Ende aber glücklicherweise immer in Leichtigkeit auflösten. Wie oft saß der kleine Maulwurf auf seinem Hügel und weinte bitterliche Tränen. Untermalt von der Musik der tschechischen Komponisten Miloš Vacek und später Vadim Petrov, zog immer auch ein wenig Melancholie durchs sonntägliche Kinderzimmer. Mein Mitgefühl war grenzenlos – zumindest trampelte ich nie wieder achtlos auf kleine Erdhaufen auf der Wiese, auch wenn ich bis heute enttäuscht bin, nie den kleinen Maulwurf mit seinem Spaten dort erblickt zu haben.

Empathie lebte der Bodenwühler auch selbst vor. Als etwa der Nachbars-Igel dank seiner Stacheln mit Leichtigkeit Äpfel, Birnen und Nüsse als Wintervorräte aufspießte und sie dann mit Genuss, aber ohne sie zu teilen, verspeiste, konnte ich das kaum fassen. Wie gemein! Denn der Maulwurf schleppte sich derweil mit schweren Steinen, die im Weg herumlagen, zu Tode. Als der Igel dann von einem Trophäensammler gefangen genommen und ausgestellt wurde, zögerte der Maulwurf keine Sekunde. Er rief die kleine Maus aus dem Loch und sie befreiten ihn – egal wie selbstsüchtig und verschwenderisch dieser zuvor auch gewesen sein mag.

Der kleine Maulwurf, er war eben auch sozialistischer Gruß der Freundschaft aus der damaligen Tschechoslowakei. Ausgestrahlt wurde er tatsächlich ab 1968 in der BRD im Ersten, und damit sogar früher als in der damaligen DDR. Krteček – er war eine freundschaftliche Unterwanderung. Ein Maulwurf, wie man ihn sich gerade in Zeiten des Kalten Krieges nur wünschen konnte.

Bastian Brauns

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