Kevin Kühnert - Mehr von diesem Irrsinn!

Kevin Kühnert setzt der SPD weiter zu. Ob die Aktionen des Juso-Chefs der Partei helfen oder schaden, ist unklar. Aber: Mit seinem unkonventionellen Stil gehört er wie Sebastian Kurz und Emmanuel Macron zu jenen jungen Politikern, die die Politik wirklich verändern wollen. Von ihnen brauchen wir mehr

Politischer Draufgänger: Kevin Kühnert / picture alliance
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Autoreninfo

Yves Bellinghausen ist freier Journalist, lebt und arbeitet in Berlin und schreibt für den Cicero.

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Mit dem Chef der Jusos will derzeit jeder sprechen. Kevin Kühnert ist keine 30 Jahre alt, aber scheint der Mann der Stunde zu sein. Er spricht im Radio, im Fernsehen und die Presse schreibt eifrig Porträt um Porträt. Der Mann, der für Martin Schulz und Angela Mekel gleichermaßen gefährlich bleibt, hat sich in nur zwei Wochen vom politischen Niemand zum Aushängeschild der No-Groko-Kampagne aufgeschwungen. Er wirkt erfrischend. Kühnert provoziert, regt zum Widerspruch an, ist kontrovers – ein junger Wilder eben, der noch nicht in jahrzehntelanger Ochsentour durch die Gepflogenheiten des politischen Systems geschliffen wurde.

Von Nahles nur Floskeln

Nach dem Parteitag der SPD interviewte Claus Kleber vom „Heute Journal“ Andrea Nahles, die ein lautes Plädoyer für eine Groko gehalten hatte. Ob Schulz jetzt zurücktreten müsse, fragt Kleber. Die SPD-Fraktionsvorsitzende antwortet nicht auf die Frage, sondern redet über die Zweiklassenmedizin. Kleber fährt ihr ins Wort, sie solle auf seine Frage antworten. Das Interview blieb dennoch dröge. Über Floskeln kommt Nahles nicht hinaus.

Der 28 Jahre alte Kühnert ist anders. Nachdem er die erste Runde knapp mit 44 Prozent verloren hat und die SPD in Koalitionsverhandlungen tritt, gibt er sich nicht geschlagen. Die Jusos kündigten an, den „Mitgliederentscheid sprengen“ zu wollen. „Einen Zehner gegen die Groko“ heißt ihre neue Kampagne. Bis das Koalitionspapier den SPD-Mitgliedern zur Abstimmung vorgelegt wird, wollen sie so viele Groko-Gegner wie möglich in die Partei locken. Einen Zehner, also zehn Euro –  das ist der Mitgliedsbeitrag für zwei Monate SPD. Das klingt fast schon verzweifelt, könnte man meinen, beinahe leichtsinnig, wie dieser junge Nachwuchspolitiker gegen die Oberen seiner eigenen Partei rebelliert. Immerhin könnten auch SPD ferne Groko-Gegner vorübergehend eintreten, nur um Merkel zu verhindern. Für die SPD wäre damit nicht automatisch etwas gewonnen. Das könnten erst Neuwahl-Ergebnisse zeigen.

Das Kühnert-Phänomen der Nachbarländer

Sicher haben nicht nur junge Menschen aufregende Ideen. Aber wer jung ist, hat jugendhaften Impetus, bringt vielleicht gesunde Blauäugigkeit mit, schreckt nicht vor Mitteln zurück, die absurd wirken. Man kennt diesen Phänotypus Politischer Abenteurer bereits aus unseren Nachbarländern: Emmanuel Macron (40) und  Sebastian Kurz (31). Was für eine Medizin gegen den Politikerverdruss! 

Ob Kühnerts neuester Einfall klappen wird? Gar nicht mal so wichtig. Viel wichtiger ist, dass es Politiker gibt, die ungewohnte Wege gehen und Politik nicht zu einem penibel einstudierten Tanz verkommen lassen, die sich nur an diplomatischen Gepflogenheiten, Parteistatuten, Protokollen und Baukastensätzen abarbeiten. Das züchtet jene politisch Desinteressierten heran, die sich abkapseln und es stärkt Politiker, die ausschließlich mit Ängsten Stimmung machen, wie viele Links- oder Rechtsextreme. Kühnert ordnet sich als dediziert links ein, radikal ist er aber beileibe nicht. Vielmehr ist sein Politikstil radikal-unkonventionell.

Typen, die mehr wagen

Solche politischen Abenteurer tun gut. Auch Macron und Kurz haben ihre politischen Erfolge abenteuerlichen Polit-Coups zu verdanken. Macron gründete „la republique en marche” –  steil auf ihn selbst zugeschnitten. Sein Wahlprogramm: proeuropäisch in Zeiten des Brexits und liberal im etatistischsten Land Europas. Kein Vergleich zu seinem wankelmütigen Vorgänger François Hollande (heute 63). Mit seinem für französische Verhältnisse unorthodoxen Programm, aber auch mit seinem Politikstil (Pariser Journalisten verspotten ihn in Anspielung auf ein gottgleiches Gebaren als „Präsident Jupiter”) eckt er an, aber löst auch Zustimmung aus. Er ist dabei weder radikal noch extrem populistisch. 

Auch Sebastian Kurz, eigentlich von der ÖVP, hat das Amt des Bundeskanzlers mit einer Bewegung errungen. In einer irrwitzig erscheinenden Aktion kaperte er die altehrwürdige ÖVP, malte sie türkis an und überführte sie in die „Liste Sebastian Kurz”. Ein Schachzug, der Jupiter gefallen hätte. Schon als Außenminister begehrte Kurz gegen die deutsche Bundeskanzlerin auf und schloss im Alter von 28 Jahren (!) quasi im Alleingang die Balkanroute.

Völlig abseits der lähmenden Konventionen des politischen Betriebes, haben Macron und Kurz neu definiert, wie man in einer westeuropäischen Demokratie heute an die Staatsspitze gelangen kann. Und Kevin Kühnert? Er beschert uns Koalitionsverhandlungen, die spannender sind als jeder Bundestagswahlkampf der vergangenen zehn Jahre. Wann zuletzt gaben Journalisten und Zuschauer zu Protokoll, einen SPD-Parteitag voller Spannung verfolgt zu haben?

Die lähmende Wiederkehr des Immergleichen zerreißen

Man mag von der linken Politik Kühnerts, der liberalen Politik Macrons oder der rechten Politik von Kurz halten, was man will. Sie können eventuell scheitern, wie Kühnerts No-Groko-Tour, oder Bundeskanzler werden, wie Kurz. Aber diese jungen Politiker setzen sich erfrischend klar von dem ab, was den Desillusionierten als politisch-elitäre Kaste gilt. Diese jungen Wilden sollen nach vorn treten, sich einmischen, Stimmung machen, kontrovers sein, Irrsinniges versuchen, Desinteressierte für Politik begeistern und die lähmende Wiederkehr des Immergleichen zerreißen. Von ihrem Schlag bräuchten wir mehr.
 

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