Wolfgang Schäuble - Kanzlerkandidat der Reserve

Den Politikstil von Angela Merkel betrachtet Wolfgang Schäuble nicht erst seit der Flüchtlingskrise kritisch. Für den Fall der Fälle hält er sich und seine Truppen bereit

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Seine lange Erfahrung, auch sein persönliches Schicksal haben Wolfgang Schäuble demütig und geduldig gemacht / picture alliance
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Christoph Schwennicke war bis 2020 Chefredakteur des Magazins Cicero.

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Wenn Wolfgang Schäuble eine Frage gestellt wird, die ihn zu einer Illoyalität einlädt, dann legt er schon während der Frage den Kopf leicht schief, stützt ihn auf seine verschränkten Hände, fixiert sein Gegenüber und lässt nach dem Ende der Frage erst mal eine Pause. „Was soll ich Ihnen denn darauf antworten?“, fragt der dienst­älteste und erfahrenste Spitzenpolitiker Deutschlands dann zurück, statt eine Antwort zu geben. Zum Beispiel auf die Frage, ob der derzeitige Pro-Schulz-Reflex in Wahrheit nicht vielmehr ein Anti-Merkel-Reflex sei. 

Wolfgang Schäuble ist 74 Jahre alt, sitzt seit 26 Jahren im Rollstuhl und war schon ein alter Hase in der Politik, als er für Helmut Kohl 1990 die deutsche Einheit verhandelte. Er ist der Quastenflosser oder der Pfeilschwanzkrebs der deutschen Politik. Quastenflosser und Pfeilschwanzkrebs haben Hunderte Millionen Jahre der Evolution unverändert hinter sich und leben gleichwohl perfekt adaptiert in der modernen Welt. Die Jahrmillionen der Erdgeschichte in den Genen. Keine Eiszeit, keine Erderwärmung konnte ihnen etwas anhaben. Wie dem Finanzminister: Er stammt noch aus dem frühen Kohlozän, regiert aber kraft- und machtvoll in Merkels Moderne mit.

Der überzeugte Europäer

Seine lange Erfahrung, auch sein persönliches Schicksal haben ihn demütig und geduldig gemacht. Diese Duldsamkeit ist von Angela Merkel mehrfach auf die Probe gestellt worden. In der CDU-Spendenaffäre etwa hat sie ihn im Regen stehen lassen, als Bundespräsident hat sie ihn verhindert. Und ausgerechnet diese Frau, die sich ihm gegenüber somit mehrfach extrem illoyal verhalten hatte, nötigte Schäuble in letzter Zeit eine soldatische Selbstbeherrschung ab. Sein Blick auf Merkels entschiedenen Fehler im Spätsommer 2015 war von Anfang an kritisch. Ein Mann mit der Erfahrung Schäubles, ein überzeugter Europäer, der er immer noch ist, wusste, dass ihre Flüchtlingspolitik nicht gut gehen kann. 

Sie ging nicht gut. Schäuble beließ es bei gelegentlichen Hinweisen darauf, dass er das so sieht. Einmal sprach er von einem Skifahrer, der eine Lawine ausgelöst habe. Unlängst davon, das „vieles aus dem Ruder gelaufen“ sei zwischen August 2015 und Frühjahr 2016. Schäubles missbilligender Blick richtet sich dabei nicht nur auf den unkontrollierten Flüchtlingsstrom mit all seinen Folgen. Er sieht Merkels Politikstil insgesamt kritisch. In seinen Augen hat sie sich in diesem heillos verheddert. Sie ist ausweglos erpressbar geworden. Von Erdogan. Von Seehofer. Von Gabriel.

Seine Truppen stehen bereit

Die Szene vom CSU-Parteitag vor mehr als einem Jahr war ihm ein Graus, als Seehofer Merkel auf offener Bühne seine Standpauke ertragen ließ. Es war ihm ein Graus, dass sich vor Weihnachten Merkel und Seehofer nicht wechselseitig zu den Parteitagen von CDU und CSU besuchten, wie das seit jeher gute Sitte ist. Zu dem Zeitpunkt stand für ihn schon fest: Wenn die beiden das vor Neujahr nicht glatt gestrichen bekommen, dann wird das sehr schwer für die Union. Und jetzt hat Gabriel obendrein mit der Nominierung von Martin Schulz als Kanzlerkandidat der SPD die politische Landschaft vom Packeis befreit. Die Schollen sind mit einem Mal in Bewegung.

Schäuble hat sich in einer Mischung aus Koketterie und gespielter Unschuld immer dagegen verwahrt, der Einzige in der Union zu sein, der Merkel in dieser Lage bedeuten könne, dass es Zeit sei zu gehen. Schäuble hatte das schon bei Helmut Kohl getan, erfolglos. Der Ausgang ist bekannt. Dieses Mal, da darf man sicher sein, würde Schäuble nicht den Fehler wiederholen und es „nur“ bei einem persönlichen Hinweis belassen. Seine Truppen stehen für den Fall, dass er zu der Einschätzung kommt, die Union trete bei der Bundestagswahl am 24. September besser doch nicht ein viertes Mal mit Merkel an. Auch Schäuble könnte eine Lawine auslösen, eine innerparteiliche. Zum Beispiel Mitte Mai, nach drei verlorenen Landtagswahlen im Saarland, in Schleswig-Holstein und in Nordrhein-Westfalen.

Antworten auf Schäubles Art

Derweil positioniert er sich weiter. Gibt ein Solo bei Sandra Maischberger und ein wahlkämpferisches Interview im Spiegel, in dem er sich Martin Schulz fast schon grobschlächtig zur Brust nimmt. Sandra Maischberger stellte ihm am Ende eines intensiven Gesprächs die entscheidende Frage. Ob es nicht so weit sei, dass die Union mit jemand anderem bessere Wahlaussichten als mit Merkel habe. Sie zielte dabei natürlich auch auf ihr Gegenüber, hatte aber aus Unachtsamkeit einen kleinen Schlupf gelassen in ihrer Formulierung. Sie habe ja nach einer Kandidatin gefragt, schmunzelt Schäuble in sich hinein und sagt: „Ich bin ja keine Kandidatin“, und Frau Merkel habe „das insgesamt gut hingekriegt“.

Auf manche Frage gibt Wolfgang Schäuble keine Antworten. Oder auf seine Weise eben doch. 

Dieser Text stammt aus der Märzausgabe des Cicero, die Sie in unserem Online-Shop erhalten.

 

 

 

 

 

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