Wirecard-Untersuchungsausschuss kommt - Mit Rucksack ins Wahljahr

Die Grünen haben sich durchgerungen: Es wird einen Untersuchungsausschuss zum Wirecard-Skandal geben. Das ist richtig so – und eine Bürde vor allem für einen, der Kanzler werden möchte.

Könnte für die Bundestagswahl 2021 richtungsweisend sein: Der Wirecard-Untersuchungsausschuss / dpa
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Christoph Schwennicke war bis 2020 Chefredakteur des Magazins Cicero.

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Warum sie sich so lange geziert haben, ist nicht klar. Weil sie nun gemeinsame Sache mit der AfD machen? Das wäre lächerlich. Weil sie ihrer gar nicht so insgeheim geliebten Kanzlerin auf deren letzten Metern keine Scherereien mehr bereiten wollten? Das wäre fürchterlich.

Die Fragen sind berechtigt, aber nunmehr müßig. Schließlich und endlich haben die Grünen zugestimmt, dass es zum Wirecard-Skandal einen Untersuchungsausschuss geben muss. Um herauszufinden, was das Finanzministerium und das Kanzleramt hätten wissen können oder wissen müssen. Weshalb die Kanzlerin selbst noch wie eine Art Handlungsreisende in Sachen Wirecard im Regierungsflieger Richtung China unterwegs war.

Ein historisch beispielloser Betrugsfall in der Dimension von Milliarden, Aufsichtsbehörden, die entweder geschlafen der schlecht gearbeitet haben. Das alles ruft, nein schreit nach Aufklärung: Nach einem Untersuchungsausschuss, der über die gleichen rechtlichen Möglichkeiten verfügt wie jedes ordentliche Gericht.

„Schreiben Sie: Fischer ist schuld"

Ein Gefühl der Genugtuung macht sich breit. Aber man sollte im nächsten Augenblick schon wieder den politischen Verstand übernehmen lassen. Und der sagt, hart formuliert: Ein solcher Untersuchungsausschuss hat noch nie ein klares Ergebnis herbeigeführt.

Ein Untersuchungsausschuss geht so: Erst sind alle Lichtkegel auf den Sitzungsaal gerichtet, dann nach einigen Woche sitzen nur noch ein paar Spezialisten aus gut ausgestatteten Redaktionen in den Sitzungen, und selbst die verlieren irgendwann den Überblick in dem Wust von Akten, die sich auf den Tischen der Ausschussmitglieder türmen. Nur wenn die ganz Großen befragt werden, dann sind wieder alle da und hören genau hin.

Wie seinerzeit beim Visa-U-Ausschuss: „Schreiben Sie: Fischer ist schuld“, sagte Außenminister Joschka Fischer in einer solchen Situation und erklärte mit dem Zynismus des alten Haudegens den Wesenskern eines U-Ausschusses.   

Ein Ritual - und doch eine scharfe Waffe

Nach langen Wochen und Monaten ist der Ausschuss dann beendet. Die Opposition tritt vor die Mikrofone und erklärt, der Ausschuss habe zweifelsfrei erwiesen, dass die Regierung etwas falsch gemacht habe. Anschließend behaupten die Mitglieder der Regierungsfraktionen das glatte Gegenteil und sagen, es hätte einiges an Zeit und Steuergeld gespart werden können, wäre es nicht zu diesem überflüssigen Ausschuss gekommen.

So ist das Ritual. Das lehrt die Erfahrung. Sie lehrt aber auch: Der Ausschuss ist dennoch eine scharfe Waffe, besonders in Wahlkampfzeiten. Denn derjenige, der im Zentrum der Ermittlungen steht, der hat über  Monate mit kritischen Fragen zu tun und mit Dauerattacken der Opposition. Egal, wie der Ausschuss ausgeht, egal, was er wirklich zutage fördert: An der Person im Zentrum des Geschehens bleibt immer etwas kleben.

Etwas bleibt immer hängen

Im Falle Wirecard ist diese Person der Bundesfinanzminister und damit der Kanzlerkandidat der SPD. Olaf Scholz hat politisch den viel höheren Schaden als die übers Kanzleramt ebenso involvierte Union. Die Kanzlerin tritt nicht mehr an, und all diejenigen aus dem Kanzleramt, die ins Visier kommen könnten, sind entweder Beamte oder heißen Helge Braun und wollen nicht Kanzler werden. Jedenfalls nicht 2021.

Es wäre insofern von den Grünen geradezu töricht gewesen, sich diese Gelegenheit entgehen zu lassen. Denn die entscheidende Frage ist nicht so sehr, wer 2021 als Erster über die Zielgerade kommt. Nach der Lage der Dinge müsste der Kanzlerkandidat der Union sehr viel falsch machen, um das noch zu verspielen. Es geht darum, wer als Nummer zwei ins Ziel geht, und da rangeln die Grünen derzeit mit der SPD, und das werden sie auch weiter tun. Es geht dabei nicht einfach um die Ehre. Es geht darum, wer dann jenseits der Union noch eine rechnerische Chance auf eine Mehrheit und damit auf die Kanzlerschaft hat.

Union und SPD rücken schon ab voneinander 

Der Ausschuss und der Wirecard-Skandal könnten in den kommenden Monaten zum Game Changer werden. Schon vor dessen Einrichtung gaben die Einlassungen von Finanzausschussmitgliedern von SPD und Union einen Eindruck davon: Sie machten in ihrer Not nicht mehr Halt vor wechselseitigen Schuldzuweisungen und werden auch weiterhin alles tun, dass Schuldfragen beim jeweils anderen abgeladen werden. Als Ressortchef des operativ entscheidenden Ministeriums wird das eine große Bürde für den Mann, der für die SPD nächstes Jahr um diese Zeit Bundeskanzler werden möchte.  

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