WDR - Peinliches Versagen

Der Westdeutsche Rundfunk muss sich dem Vorwurf stellen, bei der Berichterstattung über das Hochwasser, das auch weite Teile Nordrhein-Westfalens getroffen hat, versagt zu haben. Am Donnerstag dann wurde das Programm umgestellt. Erst da hieß es: „Wir sind an eurer Seite.“

Erhebt sich mächtig gen Himmel: WDR-Gebäude in Köln Foto: Rolf Vennenbernd/dpa
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Autoreninfo

Stefan Laurin ist freier Journalist und Herausgeber des Blogs Ruhrbarone. 2020 erschien sein Buch „Beten Sie für uns!: Der Untergang der SPD“.

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Am Dienstagabend begann der Regen, und er hörte nicht auf. Es regnete in Hagen, im Sauerland und im Rheinland. Am Mittwoch waren dann schon in den besonders schwer betroffenen Orten Straßen unterspült, Pflegeheime geräumt, Straßen abgesperrt und Keller ausgepumpt worden. Flüsse und Bäche traten über die Ufer. Stadteile waren durch die Wassermassen abgeschnitten. Dass Technische Hilfswerk, die Polizei und die Feuerwehr waren unermüdlich im Einsatz.

Und es war klar, dass sich mit jeder weiteren Regenstunde die Lage der Menschen verschlimmern würde. Das Hochwasser in dieser Woche war eine Katastrophe mit Ansage, die bis zur Stunde immer weiter eskaliert und mittlerweile allein in NRW schon zu 43 Toten und Schäden in Milliardenhöhe geführt hat.

Wer sich am Mittwoch auf die Berichterstattung des Westdeutschen Rundfunks (WDR), der größten öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt Europas, verließ, bekam das alles nur am Rande mit. Zwar war der große Regen Thema in seinen Nachrichten- und Magazinsendungen, aber einen Anlass, eine umfangreiche Live-Berichterstattung in seinem Fernsehprogramm und auf WDR 2, dem Hauptsender, zu starten, sahen die verantwortlichen Redakteure offenbar nicht. Lediglich ein viertelstündiges „WDR extra“ um 20.15 Uhr und ein halbstündiges „WDR aktuell“ um 22 Uhr widmeten sich dem Thema. 

Kachelmann nur noch resigniert

Das private Lokalradio Wuppertals sprang ebenso in die Bresche wie nahezu alle Internetseiten der privaten Verlage, die mit Tickern und Livevideos ausführlich und aktuell berichteten. Beim WDR machte man da noch Dienst nach Vorschrift. In den sozialen Medien machte sich schnell Unmut breit, den das Online-Magazin DWDL am frühen Donnerstagmorgen in einer harschen Kritik zusammenfasste. Um 2.41 Uhr erschien dort ein Artikel mit der Überschrift: „Unterlassene Hilfeleistung: WDR lässt den Westen im Stich“. In dem Kommentar schrieb DWDL-Chefredakteur Thomas Lückenrat: „Sich auf den WDR zu verlassen, kann lebensgefährlich sein.“ Es sei den Beitragszahlern nicht vermittelbar, dass der „großzügig ausgestattete öffentlich-rechtliche Rundfunk wie hier im Falle des WDR es in akuten Krisensituationen nicht schafft, ein verlässliches Informationsangebot für das Sendegebiet zu liefern, was wohl unbestritten zur Kernaufgabe gehört“.

Jörg Kachelmann, Deutschland wohl bekanntester Meteorologe, war nicht einmal mehr wütend. Resigniert verwies er am Donnerstagvormittag auf Twitter auf einen Artikel von sich aus dem Jahr 2016, in dem er sich über das Versagen der öffentlich-rechtlichen Anstalten bei Unwettern beklagte. Sein Resümee: „Ich hätte mich gefreut, wenn es diesmal anders gewesen wäre. (...) Aber sie senden irgendeinen Scheiß und lassen die Leute ersaufen.“

Ehemalige Programmverantwortliche fassungslos

Der ehemalige WDR-2-Chefreporter Horst Kläuser schrieb auf Facebook: „Unter den Chefredakteuren Dieter Thoma und Manfred Erdenberger, dem Leiter der Aktuellen Abteilung Michael Franzke und einem großen, festen Reporter-Team unter Thomas Nehls wären wir 24 Stunden draußen im Land gewesen, hätten alle Ü-Wagen in Bewegung gesetzt und wären in Dauerkontakt mit Feuerwehr und Polizei gewesen.“ Ulrich Deppendorf, der ehemalige Leiter des ARD-Hauptstadtstudios twitterte fassungslos: „Die schwersten Unwetter in Deutschland und im ERSTEN der ARD gibt es keinen Brennpunkt! Ist das die neue „Informations-Offensive der neuen ARD- Programmdirektion? So beschädigt man die Informationskompetenz der ARD.“

Stattdessen lasen WDR-Moderatoren im Radio Polizei- und Feuerwehrmeldungen vor, gaben sich betroffen und baten ihre Hörer, ihre Erlebnisse zu schildern. Der TV-Reporter Thomas Schweres kommentierte beim ehemaligen WDR-Mann Kläuser: „Bei dem, was ist, ist man bei BILD, die ihr immer so verflucht, erheblich besser aufgehoben.“ Immerhin fand man beim WDR eine Entschuldigung: Das Studio in Wuppertal sei selbst vom Hochwasser betroffen gewesen. Es ist allerdings nur eins von zehn Studios, die der Sender in NRW betreibt.

Kernaufgabe Krisenberichterstattung

Im Laufe des Donnerstags war dann die Kritik beim WDR angekommen. Zu peinlich war das Versagen des Senders. Die Verantwortlichen in Köln reagierten. WDR 2 sendete den ganzen Tag Meldungen über die Hochwasserkatastrophe im Land und betonte hinter fast jedem Bericht: „Wir sind an eurer Seite.“ Auch das TV-Programm des Senders machte jetzt Liveschaltungen und Sondersendungen. Dem Kölner Sender war klar geworden, dass es sich bei dem Regen nicht einfach um Wetter, sondern um eine Katastrophe handelte.

Die aktuelle Kritik ist für den WDR besonders unangenehm, weil sie nicht ideologisch begründet ist. Anders als bei dem Streit um das „Umweltsau-Video“ Anfang vorigen Jahres, in dem Senioren wegen ihres Verhaltens angeblich ironisch aufs Korn genommen wurden, oder der den Grünen zugeneigten Berichterstattung des Senders, geht es nun um den Kern der Arbeit: der Berichterstattung in Krisenzeiten. Die meisten, die sich nun über den WDR beklagen, suchen nicht nach Anlässen, seine Finanzierung oder gar Existenz in Frage zu stellen. Sie wollen einen guten und aktuellen WDR, der für die Bürger da ist – vor allem, wenn sie während einer Katastrophe dringend Informationen benötigen.

Schmerzhafter kann Kritik für den Sender nicht sein. Berechtigter auch nicht.

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