WDR-2-Kinderchor - Eine einzige Sauerei

Ein Song des WDR-2-Kinderchors über umweltpolitisches Fehlverhalten von Großeltern empört die Republik. Für Viele ist die „Satire“ ein willkommener Aufhänger für eine Schmutzkampagne gegen die Öffentlich-Rechtlichen. Doch der eigentliche Skandal ist die Reaktion von Intendant Tom Buhrow

Misslungene Satire: Mit seinem Song über Klimasünder hat sich der WDR selbst desavouiert / WDR, Screenshot
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Antje Hildebrandt hat Publizistik und Politikwissenschaften studiert. Sie ist Reporterin und Online-Redakteurin bei Cicero.

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Oma ist auch nicht mehr das, was sie mal war. Vorbei die Zeit, da sie im Hühnerstall Motorrad fuhr. Heute, so singt es der Kinderchor des öffentlich-rechtlichen Hörfunksenders WDR 2 zur Melodie der bekannten Nonsens-Nummer, fährt sie im SUV beim Arzt vor und überfährt dabei zwei Opis mit Rollator. Das Fazit der Kinder fällt vernichtend aus: „Meine Oma ist ne alte Umweltsau!“ 

Ist das noch Satire? Oder schon der Versuch, Kinder zu instrumentalisieren, um all jene an den Pranger zu stellen, denen der  Hype um Greta Thunberg und ihre Bewegung „Fridays for Future“ langsam, aber sicher auf den Sack geht? An dieser Frage hat sich ein Streit entzündet, der exemplarisch zeigt, wie der Prozess der gesellschaftlichen Spaltung funktioniert. Es ist ein Lehrstück über die bizarren Auswüchse einer Medien-Demokratie, der es nicht mehr um Kontroversen geht, sondern um Skandalisierung.

Reizwort #Umweltsau 

Eine misslungene Satire. Ein Ministerpräsident, der Journalisten maßregelt. Ein Intendant, der sich für die misslungene Satire entschuldigt. Wutbürger und Rechtsextreme, die vor der Zentrale des Senders angeblich gegen die misslungene Satire demonstrieren.  

Man könnte darüber lachen, wenn es nicht so bitter ernst wäre. Die Empörungsrepublik Deutschland ist Zeuge, wie eine neue Sau durchs Dorf getrieben wurde. Wieder mal mit eigenem Hashtag. Es ist die #Umweltsau. 

Wer ist für das Video verantwortlich? 

Wer ist beim WDR wohl auf die Idee gekommen, Kinder zu Anklägern einer ganzen Generation zu machen, der der Sender mit dem Song unterstellt, ausgerechnet sie würde die Ziele der Klimaschutzbewegung boykottieren? Und wer hat den Text dieses Schmähliedes abgesegnet? Der Chorleiter schob die Verantwortung den Eltern der Kinder zu. Ihre Kinder seien darüber aufgeklärt worden, was die „Parodie“ bezwecken sollte: „Mit Überspitzung und Humor den Konflikt zwischen den Generationen aufs Korn nehmen.“ Die Anfrage und Text und Lied seien aus der WDR 2 Redaktion gekommen, heißt es auf der Homepage der Chorakademie. Niemand sei gezwungen worden, an dem Projekt teilzunehmen. Einige Eltern hätten abgewunken. 

Nun ist es ein Unterschied, ob sich Dieter Nuhr über Greta Thunberg als „persona non greta“ lustig macht, oder ob Kinder einen Text singen, den Erwachsene geschrieben haben. Nuhr weiß, was er tut. Ob Kindern die politische Dimension des Songs bewusst ist, darf zurecht bezweifelt werden. 

Satire muss nicht allen gefallen 

Beim WDR haben sie wohl geahnt, dass dieser Erklärungsversuch nicht geeignet war, die Wogen der Empörung zu glätten. Die gute, alte Omi, die Kartoffeln einkellerte, noch nie in ihrem Leben geflogen ist und mit 80 ihr erstes Handy in den Händen hält, eine Umweltsau? Diese Frage empörte vor allem die, die es schon lange Leid sind, einen „Staatsfunk“ mit ihren „Zwangsgebühren“ zu alimentieren, um sich dann noch, so der gängige Vorwurf, eine politische Meinung vorschrieben zu lassen. 

Dabei war diese Gruppe gar nicht gemeint. Und ja, es gab auch Großeltern, die über den Song schmunzeln konnten. Und normalerweise hätte es gereicht, wenn der WDR dieses Missverständnis mit einem Hinweis aufgelöst hätte. Satire muss nicht allen gefallen. Sie lotet die Grenzen des Geschmacks aus. In diesem Fall ist der WDR über das Ziel hinausgeschossen. Mehr aber auch nicht.

Standpauke vom Ministerpräsidenten 

Man kann das kritisieren. Kindern Worte in den Mund zu legen, deren Auswirkungen sie nicht ermessen können, ist grenzwertig. Ein Skandal oder gar eine Staatsaffäre ist es aber nicht. Zum Skandal wurde es erst, als sich die Politik in den Fall eingemischt hat – und als sich der WDR in vorauseilendem Gehorsam sodann von dem Song distanzierte. Hier wurde die so vielfach kritisierte Staatsnähe unfreiwillig sichtbar. Auf Twitter kritisierte Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet (CDU), der WDR habe mit dem Lied „Grenzen des Stil und des Respekts gegenüber Älteren überschritten.“ Familienminister Joachim Stamp (FDP) pflichtete ihm bei. „Vielleicht sollten wir uns für das neue Jahrzehnt vornehmen, Menschen generell nicht als „Säue“, „Schweine“ usw. zu bezeichnen.“

Was jetzt passierte, ist ein Lehrstück in Sachen Krisenmanagement – allerdings in der Rubrik: So geht es nicht. Die Verantwortlichen im WDR löschten das Video. Was ganz nebenbei bemerkt nichts bringt, da es zigfach von anderen geteilt wird. Das Netz vergisst nichts, wenn es sich empören will.

Wem nützte es da noch, dass sich der WDR in einer eigens kreierten Sondersendung für etwas entschuldigte, für das sich ein Sender nicht entschuldigen müssen sollte. Für Satire. Dass der Intendant dann auch noch persönlich in dieser Sendung anrief, nach eigenen Angaben aus dem Krankenhaus, in dem sein 92-jähriger Vater seit Heiligabend liegt. Derart „persönlich betroffen“ und pflichtschuldig knickte Buhrow dabei vor seinen Kritikern ein und versicherte, dem WDR sei an einem Beitrag zum Klimaschutz gelegen. Man war geneigt, von einem Kniefall zu sprechen. Ausgerechnet der entlassene Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen forderte effektheischend den Rücktritt von Tom Buhrow.

Aufruf zur Selbstjustiz 

Der Shitstorm ging jetzt erst richtig los. Und wer bis dahin gedacht hatte, er werde ausschließlich von den Kindern und Kindeskindern der als „Umweltsau“ verunglimpften Omi getragen, der wurde eines Besseren belehrt. 

Denn jetzt trauten sich auch jene Menschen aus der Deckung, die als Gegner der „GEZ-Mafia“ ohnehin nur auf eine Gelegenheit lauern, eine „rot-grün-versiffte“ Journaille als Gesinnungstäter zu entlarven. Auf Twitter beschimpfte die AfD Weimar den Leiter des Kinderchores als „Kinderschänder“. Die AfD Müncheberg veröffentlichte gar seine private Telefon-Nummer. Dieselben Menschen, die sonst als erste den Verlust der Meinungsfreiheit beklagen, wenn ein ihnen nahestehender Kabarettist wie Uwe Steimle seinen Job beim MDR wegen offener Sympathie-Bekundigungen für die Reichsbürger verliert, verletzten jetzt das Gesetz, weil der WDR seinerseits von seiner Meinungsfreiheit Gebrauch machte. Das nennt man mindestens Anstiftung zur Selbstjustiz.

Der eigentliche Skandal 

Auch Rechtsextremisten traten jetzt in Erscheinung. Vor dem WDR-Funkhaus in Köln trafen sich Dutzende Bürger zu einer Demo gegen das Satire-Video. Darunter auch Männer, die Jacken mit der Aufschrift „Bruderschaft Deutschland“ trugen, einer polizeibekannten Gruppe von Hooligans und Neonazis. 

Wenn es ihr Ziel gewesen war, eine Schmutzkampagne gegen den öffentlich-rechtlichen Rundfunk anzuzetteln, hatten sie es mit der Entschuldigung von Tom Buhrow erreicht. Das ist die bittere Pointe dieser Posse – und der eigentliche Skandal in der Causa „Umweltsau.“ Dass der Intendant der größten öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt vor der Kritik des Regierungschefs eingeknickt ist. Schon lange muss sich der gebührenfinanzierte Rundfunk den Vorwurf gefallen lassen, er werde von der Politik gesteuert. Buhrows Verhalten liefert zwar keinen direkten Beweis für diesen Vorwurf: Aber von Rückgrat zeugt es nicht. 

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