Wahlprogramm der Union - Kassensturz ja, aber erst nach der Wahl

CDU und CSU wollen mit ihrem Wahlprogramm auf „Stabilität und Erneuerung“ setzen. Dies ist vor allem ein Laschet-Programm. Der will Klimaschutz, wirtschaftliche Stärke und soziale Sicherheit miteinander verbinden. Er setzt auf Ausgleich und sozialen Zusammenhalt. Hauptgegner sind die Grünen.

Kanzlerkandidat Laschet und Bayerns Ministerpräsident Söder stellen ihr Wahlprogramm vor Foto: Kay Nietfeld/dpa
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Dr. Hugo Müller-Vogg arbeitet als Publizist in Berlin. Er veröffentlichte zahlreiche Bücher zu politischen und wirtschaftlichen Fragen, darunter einen Interviewband mit Angela Merkel. Der gebürtige Mannheimer war von 1988 bis 2001 Mitherausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

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Die Union hat mit den Grünen und den Sozialdemokraten gleichgezogen: 98 Tage vor der Wahl haben CDU und CSU nunmehr auch ein Wahlprogramm. Nicht, dass eine nennenswerte Zahl der 60,4 Millionen Wahlberechtigten nervös darauf gewartet hätte. Von den Bürgern, die nicht mit Politik im weitesten Sinn ihr Geld verdienen, lesen nur ganz wenige Kleingedrucktes dieser Art. Aber ein Wahlprogramm gehört nun einmal zum Wahlkampf wie der Info-Stand in der Fußgängerzone. Letzterer zieht bekanntlich auch nicht allzu viele Interessierte an – bei allen Parteien.

„Solide und sexy“ sollte das Programm nach den Vorstellungen des CSU-Vorsitzenden Markus Söder werden, als dieser noch selbst nach der Kanzlerkandidatur strebte. Solide ist zweifellos, was unter der eher sperrigen Überschrift „Das Programm für Stabilität und Erneuerung. Gemeinsam für ein modernes Deutschland“ auf 139 Seiten an Vorstellungen und Vorschlägen ausgebreitet wird. Der Sex-Appeal hält sich freilich in Grenzen. Wobei ohnehin zu fragen ist, ob Politik überhaupt sexy sein kann. Das rot-rot-grüne Berlin ist mit seinem Slogan „Arm, aber sexy“ jedenfalls nicht zu einem Modell für Deutschland geworden.

Erheblicher Erneuerungsbedarf

Stabilität und Erneuerung, das klingt nicht nach „Keine Experimente“, aber auch nicht nach einem revolutionären Aufbruch. Wie denn auch? Die CDU/CSU regiert im Bund seit 16 Jahren. Wenn sie nicht auf ein gewisses Maß an Stabilität setzt, entwertet sie das eigene lange Regierungshandeln. Aber selbst die Union, die insgeheim auf ein Abonnement aufs Kanzleramt baut, kann nicht leugnen, dass es hierzulande einen erheblichen Erneuerungsbedarf gibt. In der Corona-Pandemie dürfte das auch dem Letzten klargeworden sein.

Stabilität und Erneuerung – das passt zum Kanzlerkandidaten Armin Laschet. Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident weiß besser als viele andere, wie schwierig es ist, Klimaschutz und Wachstumspolitik zu verbinden. Seine Formulierung von Deutschland als einem „klimaneutralen Industrieland“ zeigt, dass eine Koalition mit den Grünen nicht so einfach würde, wie manche Rechenspiele nahelegen.

Kein Vertrauen mehr in Scholz

Markus Söder nannte das Wahlprogramm bei der gemeinsamen Vorstellung mit Laschet ein Regierungsprogramm. Doch genau das ist es im Grunde nicht. Ausgerechnet die Union, die großen Wert auf ihre finanzpolitische Kompetenz legt, lässt offen, wie das alles finanziert werden soll: die Entlastung der mittleren Einkommen, die steuerlichen Erleichterungen für Familien und Alleinerziehende, die Abschaffung des Solidaritätszuschlags für die Bezieher höherer Einkommen, die Begrenzung der Unternehmensbesteuerung auf 25 Prozent oder das vom Staat zu finanzierende Vorsorgekonto für Kinder und Jugendliche als vierte Säule der Altersversorgung. Letzteres wäre ein echter Reformschritt zur Verknüpfung des Umlagesystems in der Rentenversicherung mit kapitalgedeckter Zusatzversorgung.

Söders Hinweis auf den nach der Wahl notwendigen Kassensturz legt nahe, dass eben doch nicht alles durchgerechnet ist. Ohnehin verwundert, dass eine Regierungspartei sich erst nach einer gewonnenen Wahl den notwendigen finanziellen Durchblick verschaffen will oder kann. Söders Begründung klingt sehr nach Wahlkampf: Er habe in Finanzminister Olaf Scholz (SPD) kein Vertrauen mehr.

Nicht nur die Stammwähler ansprechen

Ob Wahlprogramm oder Regierungsprogramm: Dies ist vor allem ein Laschet-Programm. Der will Klimaschutz, wirtschaftliche Stärke und soziale Sicherheit miteinander verbinden. Er setzt auf Ausgleich und sozialen Zusammenhalt. Das Programm spricht die Stammwähler unter anderem beim Thema innere Sicherheit an, soll aber auch Bürger überzeugen, denen die CDU/CSU beim Klimaschutz bisher zu zögerlich erschien.

Laschet und Söder präsentierten das Programm gemeinsam, wobei zweierlei auffiel. Weder Söder noch Laschet versuchten, die Union von der SPD abzugrenzen. Ihr Hauptgegner sind die Grünen. Und: Söder war voll des Lobes über den Mann, den er noch vor wenigen Wochen als Kanzlerkandidaten zu verhindern versucht hatte. Dass die Union in den Umfragen gegenüber den Grünen wieder vorne liege, begründete der CSU-Chef mit der „sehr guten Performance unseres Kanzlerkandidaten“. Er und der CDU-Vorsitzende arbeiteten auf einer „menschlich sehr soliden Basis“ zusammen. Mit Blick auf Auseinandersetzung zwischen Strauß und Kohl, Stoiber und Merkel oder Seehofer und Merkel kommt Söder zu dem Ergebnis: „Historisch gesehen sind wir echt gut drauf.“

Söders eigener „Bayernplan“

Gleichwohl: Zusätzlich zum „einheitlichen, gemeinsamen, geschlossenen Programm“ (Söder) wird die CSU noch einen „Bayernplan“ vorlegen. Auf so viel Eigenständigkeit legt die CSU schon Wert. Darin wird dann die Forderung nach einer Verbesserung der Mütterrente für zehn Millionen Frauen stehen, deren Kinder vor 1992 geboren wurden. Das würde den Steuerzahler vier Milliarden Euro pro Jahr kosten, was Laschet finanziell für nicht machbar hält. Söder gab bei der Erarbeitung des Wahlprogramms nach, kündigte aber an, dieser Punkt komme bei möglichen Koalitionsverhandlungen sicher wieder auf den Tisch. Bei allem Harmoniegesäusel: Söder ist eben Söder.

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