Wahlkampf - Merkels Spiel mit dem antiamerikanischen Feuer

Kolumne: Grauzone. In Donald Trump hat die Bundeskanzlerin den letzten Trumpf von Martin Schulz erblickt und ihren SPD-Konkurrenten bei der Amerikakritik gleich ausgestochen. Für den Wahlkampf mag der eiskalte Schritt erfolgsversprechend sein, auf lange Sicht aber ist er gefährlich

Trump-Kritikerin Angela Merkel: jonglieren mit antiamerikanischen Motiven / picture alliance
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Alexander Grau ist promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist. Er veröffentlichte u.a. „Hypermoral. Die neue Lust an der Empörung“. Zuletzt erschien „Vom Wald. Eine Philosophie der Freiheit“ bei Claudius.

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Antiamerikanismus geht in Deutschland immer. Denn kaum etwas eint das gesunde Volksempfinden von links bis rechts außen so sehr wie das Ressentiment gegenüber „dem Ami“. Weshalb das so ist, ist offensichtlich: Für sozialistisch oder links fühlende Menschen sind die USA der Hort von Kapitalismus, sozialer Kälte, Ausbeutung und Imperialismus. Für Konservative oder Rechte hingegen stehen die Vereinigten Staaten für Massengesellschaft, kulturelle Verflachung, für Künstlichkeit und Entwurzelung.

Es war also kein Wunder, dass die nüchterne Analytikerin Angela Merkel in der antiamerikanischen Karte den letzten möglichen Trumpf des stark angeschlagenen Martin Schulz erblickte – und ihn eiskalt ausstach, indem sie unverfroren selbst mit antiamerikanischen Motiven jonglierte.

Trump, ein Geschenk für Wahlkämpfer

Tatsächlich musste Donald Trump den Wahlkampfstrategen im Willy-Brandt-Haus wie ein Geschenk des Himmels erscheinen: Auch wenn Trumps Protektionismus und Freihandelskritik in weiten Teilen sehr sozialdemokratisch daherkommen – kaum eine Gestalt verkörpert den hässlichen Ami besser als der zu groben Parolen neigende Immobilienmilliardär.

Nichts lag also aus Sicht der nicht zu übertriebener Prinzipienreiterei neigenden Merkel näher, als den zu erwartenden Wahlkampfschachzug der Sozialdemokraten – ein einiges, soziales und ökologisches Europa gegen das böse, rücksichtslose Amerika – auszukontern. Ein unverantwortliches Spiel mit dem Feuer, doch auch darin hat die Kanzlerin ja Übung.

Als Menetekel musste Merkel Gerhard Schröders legendärer Wahlkampf von 2002 gelten. In Endlosschleife hämmerte der damalige Kanzler auf den Marktplätzen der Republik den Wählern ein, nur unter seiner Regierung gäbe es keine deutsche Beteiligung an einer Invasion im Irak – auch mit einem UN-Mandat nicht.

Dass eine solche Beteiligung, gar mit Bodentruppen, gar nicht zur Debatte stand, spielte dabei keine Rolle. Herausforderer Edmund Stoiber wurde kalt erwischt. Und Schröder rettete sich auf einer Welle anti-amerikanischer Ressentiments ins Kanzleramt. Den diplomatischen Kollateralschaden nahm er dabei lächelnd in Kauf.

Machiavellistin Merkel

Genau so etwas sollte Merkel nicht passieren. Einmal mehr hat die Machiavellistin bewiesen, wie lernfähig sie ist – und wie skrupellos sie Positionen ihres politischen Gegners geradezu antizipiert, solange es dem Machterhalt dient. Dass sie dabei zumindest damit kokettiert, den Transatlantizismus aufzugeben, den letzten programmatischen Markenkern der CDU, rührt sie dabei offensichtlich wenig.

Denn wie gesagt: Antiamerikanismus geht in Deutschland immer. Spätestens seit der Niederlage im Ersten Weltkrieg stehen die USA hierzulande für so ziemlich alles, was verachtenswert ist. Lediglich für zwei Jahrzehnte, zwischen dem Ende des Zweiten Weltkriegs und den sechziger Jahren, schien diese Deformation der Wahrnehmung durch Wirtschaftswunder, Rock’n’Roll und John F. Kennedy überwunden – nur um mit „68“ („USA, SA, SS!“) umso heftiger wieder aufzubrechen.

Einzig CDU, FDP und das sie tragende Bürgertum waren unter dem Eindruck des Ost-West-Konfliktes und dem durch ihn befeuerten Anti-Kommunismus auch nach „68“ Eckpfeiler des Transantlantizismus. Doch auch diese Zeiten sind anscheinend vorbei. Spätestens seit George W. Bush gehört es selbst in bürgerlichen Kreisen wieder zum guten Ton, antiamerikanischen Ressentiments freien Lauf zu lassen.

Kritik als Kulturkampf

Denn Kritik an einer amerikanischen Regierung ist das eine. Antiamerikanismus aber das andere. Und Kritik, die als Kulturkampf daherkommt, vor Stereotypen strotzt und die Ebene der Sachlichkeit schon lange verlassen hat, ist eben keine Kritik, sondern von Vorbehalten und Animositäten geprägte Verachtung, die sich nur sehr unzulänglich hinter Sachargumenten zu verschanzen sucht.

Das Ressentiment ist, wie Nietzsche so schön formulierte, ein Schielen der Seele. Und die deutsche Seele schielt erheblich, wenn es um Amerika geht. Deshalb auch können die Amerikaner machen, was wie wollen: Globalisierung oder Protektionismus, militärische Intervention oder Nichteinmischung, starke Führungsrolle oder Lastenverteilung auf Bündnispartner – der Ami macht’s immer falsch, denn so ist er halt, der Ami.

Wie jedes Ressentiment ist auch der deutsche Antiamerikanismus ein Blick in den Abgrund der eigenen Befindlichkeit. Die USA stehen darin als ein Symbol für die Moderne schlechthin. Doch statt ehrlich die sicher vorhandenen Ambivalenzen der Moderne zu diskutieren, arbeitet man sich hierzulande an dem Popanz „Amerika“ ab. Das ist unreif und gefährlich dazu. Denn die Vorstellung, es gäbe ein Europa, das eigenständig für seine Sicherheit sorgen könnte, ist ebenso abwegig wie der Traum von einem Westen ohne die USA. Amerika braucht Europa nicht, aber ohne Amerika wird Europa nicht lange Europa bleiben.

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