Wahlausgang Hessen - Merkels Hastings liegt in Hessen

Laut ersten Wahlergebnissen in Hessen verlieren CDU und SPD in historischem Ausmaß. Die Wählerinnen und Wähler haben damit auch die Große Koalition in Berlin abgewählt. Es ist Angela Merkels letzte Schlacht. Ein letztes Mal kann sie jetzt ihren Abschied selbst bestimmen

Herbe Verluste bei der Union in Hessen / picture alliance
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Christoph Schwennicke war bis 2020 Chefredakteur des Magazins Cicero.

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Erbarmen? Zu spät. Die Hessen sind gekommen, wie seinerzeit angedroht im Gassenhauer der Rodgau Monotones. Die 4,4 Millionen Wahlberechtigten im Herzen Deutschland haben die Große Koalition in Berlin nach Kräften abgewählt. Zusammen kommen CDU und SPD nicht einmal mehr auf die Hälfte der Wählerstimmen. Die CDU verkleinert sich gegenüber dem letzten mal um fast ein Drittel, die SPD muss ebenfalls vielen verlorenen Prozentpunkten im Vergleich zur Wahl vor vier Jahren hinterherwinken.

Zu den Ergebnissen

Diese Landtagswahl in Hessen war keine Landtagswahl, sondern eine Wiederholung der Bundestagswahl auf hessischem Grund. Die Hessen sind über die Berliner Koalition hergefallen wie seinerzeit die Normannen bei der südenglischen Küstenstadt Hastings über die britische Insel. Nach der Schlacht dort am 14. Oktober 1066 war es mit King Harold vorbei. Und William der Eroberer bestimmte fortan die Geschicke der Insel.

Eine verheerende Niederlage

Das Hastings von Angela Merkel liegt in Hessen. Ihr treuer Statthalter in diesem Landstrich, Volker Bouffier, wird zwar vermutlich abermals eine Regierung bilden, aber die Niederlage der CDU ist verheerend. Daran ändert auch ein Ministerpräsident, der sich noch einmal in die Staatskanzlei in Wiesbaden hangeln könnte, nichts.

Nach Lage der Dinge wird es eine Wiederauflage von Schwarz-Grün geben, auch wenn die Grünen ihren Höhenflug offenbar allmählich beenden, so wie der heiße trockene Sommer mit dem ersten Schnee auf den hessischen Höhen sein abruptes Ende gefunden hat. Womöglich gibt es da sogar einen Zusammenhang.

Wenn es dafür nicht reicht, dann werden sich alle Blick auf die FDP richten. Sie wird die Partei sein, die von Hessen auch in Richtung Berlin dann ein Zeichen setzen könnte: Jamaika ja, aber nur nach unseren Vorstellungen. So wie dann in der Folge einer absehbaren Erosion in Berlin: Jamaika ja, aber nur ohne Merkel?

Für die SPD gilt, besser Opposition als tot

Die SPD dürfte sich nach diesem abermaligen Magenschwinger schwer tun, in Berlin weiter dem Absinken Wahl für Wahl und Umfrage für Umfrage tatenlos zuzusehen. Etwas besser als den Tod finden wir allemal in der Opposition, werden sich maßgebliche Kräfte in der SPD denken, und damit gar nicht so falsch liegen. Mehr noch als die CDU hat die SPD in den vergangenen Jahren unter einer Kanzlerin Merkel in einer Abhängigkeit gelitten.

Der Ausstieg der SPD aus der Koalition wiederum wäre der Einstieg in den Ausstieg der CDU von Merkel. Zuletzt haben wieder und wieder bisher loyale CDU-Granden ihre Loyalität abgelegt. Allen voran Wolfgang Schäuble, der seit Tagen elegante Gemeinheiten unters Volk streut. Zuletzt noch einmal an diesem Wochenende in einem Essay über Max von Baden und die Revolution vom November 1918. Der Geschichtsfreund Schäuble sinniert am Wahltag von Hessen im Feuilleton der Welt am Sonntag als Gastautor über des damaligen Kanzlers Rolle beim Bemühen, Kaiser Wilhelm II. bei der Einsicht zu helfen, dass es vorbei ist mit der Monarchie und damit mit ihm. Max von Baden, so schreibt Schäuble, sei dabei oft zu großes Zaudern unterstellt worden.

Das aber verteidigt der Hobby-Historiker Schäuble: „Sein Zögern erhöhte den Druck“, schreibt er in einer Schlüsselpassage, „der zu den revolutionären Ereignisse des 9. November führte“. So sei Max von Badens Kanzlerschaft auch ein Lehrstück über den richtigen Moment in der Politik, den wir meist nur rückblickend zu erkennen glauben. Und auch darüber, dass „Nichtstun Folgen haben kann.“

Schäuble als Max von Baden

Max von Baden hatte am 9. November 1918 die Abdankung des Kaisers ohne dessen Wissen und Billigung verkündet. Wilhelm Zwo selbst dankte erst zehn Tage später ab und verließ Deutschland ins holländische Exil. Dort glaubte er bis an seine Lebensende daran, wieder als Monarch nach Deutschland zurückkehren zu können. Schäuble ist Badener. Diese Schilderung ist eine geschichtsbewusste Parabel auf ihn und die Kanzlerin, zumal auch Schäuble vorgehalten wird, zweimal zu lange gewartet zu haben, dem Kanzler zu eröffnen, dass es vorbei ist. Seinerzeit schon bei Kohl, und jetzt seit Jahren bei Merkel.

Merkel hat vor Hessen das erste Mal über ihre Nachfolge gesprochen. Schäuble hat mit diesem Essay und der historischen Parallele zu 1918 klar gemacht, dass für ihn der Moment des Abdankens gekommen ist. Er gibt Merkel mit diesem Text den Hinweis, es selbst zu tun. Sonst, so der Subtext, macht er es. Wie seinerzeit Max von Baden.

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