Wählen und wählen lassen – Die Kolumne zur Bundestagswahl - Zynische Obstruktion, ehrliche Panik oder Wichtigtuerei?

An den katastrophalen Umfragewerten für die Union hat Markus Söder selbst ganz erheblichen Anteil. Und wenn er jetzt davon spricht, an diesem Wochenende sei die letzte Gelegenheit, eine Schubumkehr zu schaffen, dann legt er damit natürlich gleichzeitig wieder einmal die Latte für Armin Laschet hoch.

Grafik Cicero; Autorenfoto: Antje Berghäuser
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Alexander Marguier ist Chefredakteur von Cicero.

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Wenn zwei Wochen vor einer Bundestagswahl lautstark nach „Geschlossenheit“ gerufen wird, noch dazu vom Vorsitzenden einer Regierungspartei, dann muss der Karren wirklich sehr tief im Dreck stecken. Und wenn solche Ermahnungen ausgerechnet von jemandem kommen, der dauerhaft und mit regelrechter Inbrunst exakt gegen das verstoßen hat, wofür er jetzt plädiert – dann ist das entweder zynische Obstruktion, ehrliche Panik oder Wichtigtuerei. Im Falle Markus Söders kommen alle drei Möglichkeiten in Frage.

Der im historischen Umfragetief steckenden Union läuft nach Ansicht des CSU-Chefs jedenfalls die Zeit für einen Stimmungsumschwung vor der Bundestagswahl davon. „Wenn es noch eine Chance gibt, den Trend zu brechen, dann an diesem Wochenende“, ließ Söder gegenüber der Deutschen Presse-Agentur soeben wissen. Am Wochenende trifft sich die CSU in Nürnberg bei einem Parteitag, zu dem auch der Kanzlerkandidat und Söder-Rivale Armin Laschet erwartet wird. Es komme „jetzt nicht auf Stilnoten an“, sagte Söder, sondern vielmehr darauf, dass sich „alle unterhaken“: Bei der Wahl stehe „das Schicksal von Millionen Menschen in Deutschland“ auf dem Spiel, sollte es zu einer Linkskoalition unter Führung der SPD kommen: Einbußen für den Mittelstand, für Familien und für Ehepaare; höhere Schulden und weniger Sicherheit.

Soweit die aktuellen Unwetterwarnungen aus München. Wen Söder mit den von ihm erwähnten „Stilnoten“ gemeint hat, bleibt zwar unklar – im Zweifelsfall aber nicht sich selbst. Nun kann man Armin Laschet vieles vorwerfen in diesem aus Unionssicht wahrhaft dilettantischen Wahlkampf. Und sein Grimassieren in den von der Flut heimgesuchten Katastrophengebieten war in der Tat alles andere als guter Stil. Was jedoch der bayerische Ministerpräsident im Zuge der Kanzlerkandidatenfindung abgeliefert hat, braucht da keinen Vergleich zu scheuen. Über Wochen hinweg nahm Söder jede sich bietende Gelegenheit wahr, um christdemokratische Parteigremien und insbesondere die Laschet-Supporter als Gurkentruppen zu verhohnepiepeln.

Nur zur Erinnerung: Mindestens anderthalb Jahre lang hat Markus Söder zwar mit seiner eigenen Kanzlerkandidatur kokettiert – ohne diese aber je zu beanspruchen („mein Platz ist in Bayern“). Er hatte vielmehr darauf spekuliert, die Schwesterpartei werde ihm diese ehrenvolle Aufgabe unterwürfig antragen. Und als genau das nicht passierte, reagierte der bayerische Ministerpräsident wie ein trotziges Kind, mehrfaches Nachtreten eingeschlossen.

Eines ist völlig klar: An den katastrophalen Umfragewerten für die Union hat Markus Söder selbst ganz erheblichen Anteil. Und wenn er jetzt davon spricht, an diesem Wochenende sei die letzte Gelegenheit, eine Schubumkehr zu schaffen, dann legt er damit natürlich gleichzeitig wieder einmal die Latte für Laschet hoch: Sollte der am Sonntag im Triell mit Olaf Scholz und Annalena Baerbock nicht als eindeutiger Punktsieger vom Platz gehen, ist klar, wer die Sache vermasselt hat. Söder jedenfalls nicht.

Apropos Geschlossenheit: Die für Bildungsthemen in Laschets ominöses Zukunftsteam berufene Karin Prien hat in dieser Hinsicht soeben wieder eine Meisterleistung abgeliefert. Auf die Frage des ZDF-Moderators Markus Lanz, was sie von der Bundestagskandidatur des ehemaligen Verfassungsschutzpräsidenten Hans-Georg Maaßen halte, antwortete sie wörtlich: „Das muss ich hinnehmen, auch wenn ich davon natürlich überhaupt nicht begeistert bin und mich frage, was Herr Maaßen eigentlich in der CDU sucht.“ Worauf Maaßen prompt die Abberufung der schleswig-holsteinischen Bildungsministerin aus dem Laschet-Team forderte.

Die Union scheint wirklich alles dafür zu tun, um endlich mal wieder eine Bundestagswahl mit Pauken und Trompeten zu verlieren. Da hilft es nicht einmal mehr, die Bürger mit einer möglichen Fahrt durch die rot-grün-rote Geisterbahn abzuschrecken. „Der Drops“, so sagte es mir diese Woche ein CDU-Bundestagsabgeordneter, „ist gelutscht.“

In unserem exklusiven Kolumnenticker Wählen und wählen lassen widmen sich Alexander Marguier, Ralf Hanselle, Daniel Gräber und Moritz Gathmann den spannendsten Fragen zur Bundestagswahl 2021: Regierungskonstellationen, Schattenkabinette, Wahlkampftaktiken, Post-Merkel-Gehversuche, aber auch Pannen und Umfragezwischenhochs sowie ein Hauch Medienkritik, mit einem Augenzwinkern. Zur Bundestagswahl werden wir außerdem live berichten. Passgenau erscheint am 23.09. die neue Cicero-Ausgabe.

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