Abwahl von Volker Kauder - Ein politisches Erdbeben

Neue Führung für die Fraktion von CDU/CSU: Ralph Brinkhaus löst den langjährigen Amtsinhaber Volker Kauder ab – gegen den Willen von Angela Merkel und Horst Seehofer. Mit dieser Wahl ist das Machtsystem der Kanzlerin endgültig Geschichte. Es stehen unruhige Zeiten bevor

Mit Volker Kauder als Fraktionsvorsitzenden verliert Angela Merkel einen der wichtigsten Unterstützer / picture alliance
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Alexander Marguier ist Chefredakteur von Cicero.

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Das ist nicht weniger als ein politisches Erdbeben: Mit 125 zu 112 Stimmen hat die CDU/CSU-Bundestagsfraktion Ralph Brinkhaus zu ihrem neuen Vorsitzenden gewählt. Nach 13 Jahren im Amt ist Volker Kauder damit, man kann es nicht anders sagen, vom Hof gejagt worden. Denn diese Wahl ist keine wie jede andere: Es galt ja bereits als kleine Sensation, dass überhaupt jemand gegen den 69 Jahre alten Baden-Württemberger antritt. Und nun das! Schon eine Niederlage mit einem auch nur halbwegs respektablen Ergebnis für Brinkhaus wäre ein deutliches Signal gewesen. Denn nicht nur hatten sich die Vorsitzenden beider Unionsparteien, Angela Merkel und Horst Seehofer, ausdrücklich für Kauder ausgesprochen, ebenso wie CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt. Die spektakuläre Niederlage Kauders findet auch noch unmittelbar vor entscheidenden Landtagswahlen in Bayern und Hessen statt. Und in beiden Bundesländern stehen CSU beziehungsweise CDU laut Umfragen alles andere als gut da. Trotzdem hat dieses Argument nicht für eine Disziplinierung sorgen können.

Misstrauensvotum gegen Merkel

Kauders Abwahl ist vor allem Breitseite sowohl gegen Angela Merkel wie auch gegen Horst Seehofer. Der unionsinterne Streit wegen der Migrationspolitik im Sommer, und jetzt noch das komplett verunglückte Krisenmanagement in Sachen Hans-Georg Maaßen: Da muss sich sehr, sehr viel Unmut aufgestaut haben bei den Bundestagsabgeordneten, deren Wahlverhalten eine gezielte Insubordination darstellt. Insbesondere für die Bundeskanzlerin ist dieser 25. September, der mit einer Gardinenpredigt durch den BDI-Vorsitzenden Dieter Kempf auf dem Tag der deutschen Industrie begonnen hatte, ein absolutes Desaster. Die Wahl des nordrhein-westfälischen Finanzpolitikers Brinkhaus ist nichts anderes als ein Misstrauensvotum gegen Merkel. Der 50 Jahre alte, bisherige Fraktionsvize hatte in einem Statement zwar angekündigt, auch nach der Wahl mit Angela Merkel vertrauensvoll zusammenarbeiten zu wollen. Aber das hatte er natürlich in Erwartung seiner eigenen Niederlage gesagt. Jetzt stellt sich vielmehr die Frage: Wie soll die Kanzlerin mit einem Fraktionschef zusammenarbeiten, der gegen ihr ausdrückliches Votum gewählt wurde?

Ein kaum für möglich gehaltener Aufstand

Die Unionsfraktion im Bundestag war immer eines der wesentlichen Kraftzentren beider Parteien, ein Machtfaktor für die von ihnen gestellten Regierungschefs. Insofern ist der heutige Vorgang ein Zeichen dafür, wie sehr die politischen Verschiebungen nun auch das innerparteiliche Gefüge der Union auseinander zu reißen drohen. Kauder galt als willfähriger Vollstrecker von Merkels Wünschen in die Fraktion hinein; fast niemand hat es je gewagt, dagegen aufzumucken. Jetzt ist genau das passiert, die Unionsabgeordneten proben jenen Aufstand, den ihnen kaum jemand zugetraut hätte – sie selbst eingeschlossen. Dabei war Ralph Brinkhaus keineswegs ein geborener Kandidat wie es etwa Jens Spahn gewesen wäre, dem viele Mandatsträger diesen Schritt viel eher zugetraut hätten. Brinkhaus ist der breiten Öffentlichkeit bisher kaum bekannt, seine Kampfkandidatur war mehr schlecht als recht vorbereitet. Und sein Versprechen, die Fraktion „als Partner auf Augenhöhe“, also selbstbewusster als bisher gegenüber der Regierung zu positionieren, kam eher wie eine Verlegenheitsbegründung an. Von heute an wird er sich an seinen Worten messen lassen müssen.

Abgang in Ehren für Merkel verbaut

Aber die eigentliche Frage ist natürlich: Wie geht es nun weiter mit Angela Merkel, deren Macht täglich, fast könnte man sagen stündlich, erodiert? Nach einem öffentlichen Fehlereingeständnis in Sachen Maaßen ist dies der vorläufige Höhepunkt ihres Niedergangs. Ein Abgang in Ehren und aus freien Stücken ist für die Kanzlerin nach dem heutigen Tag nicht mehr möglich. Die Ursachen dafür liegen – nicht nur, aber ganz besonders – in ihrer folgenschweren Entscheidung vom Sommer des Jahres 2015. Besser gesagt: In dem, was sie später aus der sogenannten Grenzöffnung gemacht und wie sie dabei das Parlament ein ums andere Mal übergangen hat. Dieser autoritäre Alleingang hat nun, gut drei Jahre später, zu einem Autoritätsverlust sondergleichen geführt. Die miserablen Umfrageergebnisse tragen das ihre dazu bei. Das Merkelsche Machtsystem ist an ein Ende gelangt, wie es scheint, unwiderruflich.

Der ohnehin wackeligen Großen Koalition steht nun die nächste Belastungsprobe ins Haus. Denn natürlich wird die moribunde SPD alles versuchen, um aus der Führungskrise der Union und ihrer Kanzlerin Kapital zu schlagen. Wie sollte es auch anders sein? Wir werden in den nächsten Tagen erleben, dass der immer größer werdende Anti-Groko-Flügel bei den Sozialdemokraten einen erneuten Anlauf gegen dieses Regierungsbündnis starten wird. Der Schlachtruf steht jetzt schon fest: Mit einer CDU, die ihrer eigenen Vorsitzenden nicht mehr vertraut, ist kein Staat zu machen. Womöglich sind jetzt die Fliehkräfte tatsächlich zu groß geworden, um ein gemeinsames Weiterregieren auch nur halbwegs sicherzustellen. Und wie soll es dann erst nach den Wahlen in Bayern und Hessen weitergehen, wo mit erheblichen Verlusten für CDU, CSU und SPD gleichermaßen zu rechnen ist?

Dass Deutschland vor einer Bewährungsprobe steht, war schon lange klar. Mit dem heutigen Tag ist endgültig etwas ins Rutschen geraten. Das muss nicht schlecht sein. Was jetzt zählt, ist politische Verantwortung. Die Kanzlerin wird sich genau überlegen müssen, wie sie dieser Verantwortung am besten gerecht wird. Das Vertrauen ihrer Fraktion hat sie jedenfalls verloren.

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