Verschwörungstheoretiker in der Coronakrise - Wie geht der Aluhut wieder ab, Herr Sassenberg?

In der Coronakrise fallen Verschwörungstheorien auf fruchtbaren Boden. Ihre Anhänger davon zu überzeugen, dass sie einem Mythos aufgesessen sind, gestaltet sich schwierig. Der Sozialpsychologe Kai Sassenberg erklärt, warum das nicht allein Aufgabe der Politik bleiben darf.

Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer versucht es mit Zuhören / dpa
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Autoreninfo

Antje Hildebrandt hat Publizistik und Politikwissenschaften studiert. Sie ist Reporterin und Online-Redakteurin bei Cicero.

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Kai Sassenberg ist Sozialpsychologe am Leibniz-Institut für Wissensmedien und Professor an der Uni Tübingen. Er erforscht gerade, ob es einen Zusammenhang zwischen der Anfälligkeit für Verschwörungstheorien und der Bereitschaft gibt, die Schutzmaßnahmen in der Coronakrise mitzutragen. 

Herr Sassenberg, wie bringt man Verschwörungstheoretikern schonend bei,  dass sie auf einen Mythos hereingefallen sind?
Das ist schwierig. Denn Menschen, die nicht an Verschwörungstheorien glauben, werden von Personen, die an sie sie glauben, schnell als unreflektiert dem Mainstream folgend abgestempelt. 

Heißt das, die Menschen leben schon so in ihrer Filterblase, dass die Kommunikation erschwert wird?
Nein, diese Fronten sehe ich nicht in der Eindeutigkeit. Viele machen die Erfahrung, dass plötzlich solche Mythen in der eigenen Familie oder im Bekanntenkreis kursieren. Diese Menschen kann man aber durchaus noch erreichen. Aber es ist leider so, dass Verschwörungsdenkende sehr schnell so eine Grenze ziehen. 

Was bedeutet das für den Dialog?
Es bedarf Vertrauen zwischen den Kommunikationspartnern. Man überzeugt diese Leute nicht, wenn man sie belächelt oder sagt, sie seien Aluhutträger. Man muss sie ernstnehmen. 

Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) hat das am Wochenende gerade versucht. Er ist in Jeans und Anorak in den Park gegangen und hat Teilnehmern einer Demonstration gegen die Corona-Einschränkungen seine Sicht der Dinge freundlich und unaufgeregt mitgeteilt. Von einigen wurde er dafür gelobt, von anderen beschimpft. War das eine gute Idee?  
Verschwörungstheoretiker haben kein Vertrauen in den Staat – und Politiker sind Vertreter dieses Staats. Das heißt, Politiker sind die, die es am schwersten haben, Menschen zu erreichen, die an Verschwörungstheorien glauben. 

Aber Kretschmer hat mit genau dieser Strategie den letzten Landtagswahlkampf gewonnen. Er hat sich die Hacken abgelaufen, um den Wählern zu signalisieren, die CDU höre ihnen zu und sei für sie da. 
Dabei hat vermutlich eine Rolle gespielt, dass er konsistent und öffentlich Interesse an den Meinungen dieser Wähler signalisiert hat. Bei Menschen, die an Verschwörungstheorien glauben, scheint mir das nicht sinnvoll oder gar gefährlich zu sein. Es kann auch nicht allein Aufgabe der Politiker sein, den Onkel, den Freund oder den Nachbarn aus den Fängen der Verschwörungstheoretiker zu befreien. Hier ist jeder Einzelne gefordert. Wenn man merkt, dass jemand im eigenen Umfeld auf diese Mythen einschwenkt, sollte man versuchen aufzuklären, auch wenn es mühsam ist. Das kann aber gelingen, solange man sich gegenseitig vertraut und respektiert. 

Dann darf man nahestehenden Personen auch sagen: „Du spinnst“?
So wird man gerade nicht erfolgreich sein. Niemand lässt sich überzeugen, wenn er/sie sich nicht ernstgenommen fühlt. Man kann auch nicht erwarten, dass die Gesprächspartner sofort sagen, „ich hab Unrecht, du hast Recht“. Meinungsänderungen brauchen Zeit. 

Wie fängt man das am geschicktesten an?
Es hilft, beide Seiten aufzuzeigen. „Ich verstehe ja, wie Du argumentierst. Es ist auch etwas Plausibles dran, aber …“ 

Das klingt  – mit Verlaub – nach Küchen-Psychologie. 
Die psychologische Forschung hat bereits Mitte des vergangenen Jahrhunderts gezeigt, dass eine Argumentation, die Argumente für und gegen konträre Positionen nutzt, bei der Meinungsänderung besonders effektiv ist. Zur erfolgreichen Argumentation gegen Verschwörungstheorien gibt es bislang leider wenig Forschung. Eine weitere Möglichkeit wäre, eine Strategie anzuwenden, die sich bei der Veränderung extrem verhärteter Vorurteile als erfolgreich erwiesen hat. Es geht darum, die Flexibilität der Menschen zu erhöhen. Und das erreicht man zum Beispiel, indem man noch extremere Narrative dagegenhält. 

Mal ein Beispiel. 
Man kann das schön am Beispiel Überfremdung zeigen. Fragen Sie jemanden, der an den Mythos von einem geplanten Bevölkerungsaustausch glaubt: Warum, glaubst Du, dass wir demnächst kein Weihnachten mehr feiern? Klingt absurd, und so ist es auch gedacht. Diese so genannten paradoxen Interventionen wirken aber. 

Kai Sassenberg / privat 

Die Leute sind erstmal geschockt?
Genau, und dann fangen sie an, gegen ihre eigene Position zu argumentieren. „So schlimm ist es auch wieder nicht.“ Oder: „Das habe ich nie behauptet.“ Und dann fangen sie an, ihre eigene Sicht zu reflektieren und eine Lösung zu suchen. Das führt dann zu einer Änderung der Einstellung. 

Was macht Sie da so optimistisch?  
In Israel gibt es schon Studien dazu. Man hat Personen kurze Videoclips gezeigt, die paradoxe Vorurteile gegenüber Palästinensern verbreiteten. Ein Jahr danach hatten diese Probanden moderatere Einstellungen als Personen, die die Clips nicht gesehen hatten. Paradoxe Interventionen helfen Menschen, zu differenzieren. Sie denken eher: Nicht alle Palästinenser sind Terroristen. Das könnte auch bei Verschwörungstheorien greifen, wurde aber bisher noch nicht untersucht.  

Müssten Verschwörungstheroretiker nicht erstmal lernen, kritischer mit Medien umzugehen, um Fake News als solche zu erkennen?  
Die Medienkompetenz und die Bereitschaft zur kritischen Auseinandersetzung sind schon wichtig. Derzeit bieten jedoch weder Politik noch Wissenschaft eine Perspektive, die die aktuelle, durch die Pandemie verursachte Unsicherheit reduziert. Das macht Menschen auch für alternative, einfache Erklärungen empfänglich. 

Warum?
In einer von Unsicherheit und Einschränkungen geprägten Situation sehnen sich Menschen nach einer klaren Perspektive. Die Informationen, die wir aus seriösen Quellen kriegen, sind aber verwirrend. 

Weil die Lage verwirrend ist. 
Genau. Ich weiß nicht, wann die Kinder wieder regelmäßig zur Schule gehen und wann ich wieder normal arbeiten kann. Und wenn ich von den Medien nur Fragezeichen bekomme, ist es mit der Medienkompetenz nicht alleine getan. Die Menschen wünschen sich von der Politik oder aus den Medien einen klaren Fahrplan. 

Auf diesem Boden breiten sich Verschwörungstheorien gerade schneller aus als das Virus. Beunruhigt Sie das als Psychologe?
Ja, und zwar deshalb, weil mit dem Glauben an Verschwörungstheorien ein geringeres gesellschaftliches Engagement und eine geringere Bereitschaft einhergehen, sich an die Sicherheitsmaßnahmen zu halten. Zusätzlich sind diese Theorien Futter für politische Extremisten. Ihre Anhänger wandern an die Ränder.

Wie viele Menschen sind denn dafür empfänglich?
Nach den jüngsten Zahlen des ZDF-Politbarometers halten 17 Prozent der Bürger die staatlichen Corona-Maßnahmen für übertrieben. Das sind nicht so viele, wie es die umfangreiche Berichterstattung in den Medien vermuten lässt. Die wenigen sind aber sehr laut. Und sie finden Gehör. Das liegt sicher auch daran, dass Corona gerade das zentrale Nachrichtenthema ist. 

Ist das dieser Sommerloch-Effekt? Die Verschwörungstheoretiker erfüllen dieselbe Funktion in der Saure-Gurken-Zeit wie entlaufene Kühe oder im Badeteich ausgebüxte Krokodile
Das könnte man sagen.  

In den Medien kommen prominente Verschwörungstheoretiker wie Attila Hildmann als durchgeknallte, aber harmlose Spinner rüber. Sind sie das wirklich?
Das kann man so pauschal nicht sagen. Wenn ich die Verschwörungstheoretiker von der Pegida als Beispiel nehme, würde ich diese Frage vereinen. Die stellen sich gegen die Verfassung, verunglimpfen große Zeitungen als Lügenpresse und üben einen negativen Einfluss auf den politischen Diskurs aus  – also verharmlosen sollte man die auf keinen Fall. Wie wirksam diese Verschwörungstheoretiker sind, hängt davon ab, wieviel Zulauf sie kriegen. Im Augenblick ist der ein bisschen größer, weil sie Aufmerksamkeit bekommen. 

In einem ICE hat ein Zugbegleiter die Passagiere gerade mit dem Satz an die Maskenpflicht erinnert: „Denken Sie bitte daran, dass die Bundesregierung heimlich Speichelproben sammelt, um Klone von Ihnen zu produzieren, die Sie dann ersetzen sollen. Tragen Sie also daher dauerhaft ihre Mund-Nase-Bedeckung, um zu verhindern, dass die Regierung an Ihre DNS kommt.“ Ist Humor eine wirksame Waffe im Kampf gegen Verschwörungsmythen?
Ich finde das sehr clever. Der Zugbegleiter hat im Grunde eine paradoxe Intervention angewendet. 

Aber erreicht er damit die Leute, die es betrifft?
Ja, das könnte man vermuten. Sie werden sich wahrscheinlich sofort davon distanzieren und nach Argumenten suchen, warum sie in diese Schublade nicht hineinpassen.  

Die Fragen stellte Antje Hildebrandt

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