Union - Eingeklemmt zwischen rechts und links

Bis vor kurzem wirkte die CDU blass und ausgelaugt. Doch aktuell steigen ihre Umfragewerte wieder. Der Aufwärtstrend könnte sogar ihr langjähriges Standortdilemma lösen. Viele Jahre war sie zwischen Grünen und AfD eingezwängt und verlor in beide Richtungen. Dennoch ist der Kampf noch nicht gewonnen.

Unions-Kanzlerkandidat Armin Laschet während einer Rede am 12. Juni Foto: Jonas Walzberg/dpa
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Autoreninfo

Michael Freckmann studierte Politikwissenschaft in Göttingen und York (UK). Er beschäftigt sich journalistisch und wissenschaftlich mit Parteien im Wandel sowie mit politischen Wahlen.

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Der Liberalisierungskurs der Merkel-CDU hatte dazu geführt, dass die Union immer weiter in die Mitte rückte. Damit erreichte sie viele Menschen, die vorher nie CDU gewählt hatten, ließ aber Konservative enttäuscht zurück. Dies war parteistrategisch so lange kein Problem, bis mit dem Aufkommen der AfD und dem Höhenflug der Grünen die CDU gleich aus zwei entgegengesetzten Richtungen unter Druck gesetzt wurde. Würde sie auf ihrem liberalen Kurs bleiben und eine den Grünen nahestehende Klimapolitik vertreten, könnte die CDU ehemalige Wähler auch langfristig nicht zurückbekommen. Eine Rückbesinnung auf traditionelle CDU-Inhalte oder eine Annäherung an AfD-Themen würde die Gewinne in der Mitte wieder zunichte machen. Die CDU hatte sich verkeilt. Ihr Stimmenanteil schmolz scheinbar unaufhaltsam zusammen.

Doch derzeit ändert sich die Lage. Die Aufbruchseuphorie mit Blick auf sinkende Coronazahlen scheint für viele Menschen keine Lust am Lösen weiterer, großer Herausforderungen zu beinhalten. Vielmehr wünschen sie sich lediglich eine Rückkehr zur bereits bekannten Lebensrealität. Für jene Wähler wird Politik gegen den Klimawandel zu einer bedrohlichen Veränderung der Lebensverhältnisse, zu einer erneuten Verzichtssituation nach der derzeit abflauenden Corona-Pandemie.

Im Glauben an ein Bollwerk

In den Augen vieler Unionssympathisanten stehen die Grünen für materielle Einschränkungen des eigenen Lebensstils zugunsten der Bekämpfung des Klimawandels. Mit der Ablehnung von Steuererhöhungen, neuen Schulden, Dieselverboten und Tempolimits erweckt die Union in ihrem Wahlprogramm von sich den Eindruck als Bollwerk gegen diese Art von Veränderungen. Die große Disparität zwischen den Interessenlagen in den urbanen Zentren und im ländlichen Raum, in dem Laschets Partei weitaus besser verwurzelt ist, kommt der CDU gerade in der Klimadebatte besonders entgegen.

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Um nach der Billigflugdebatte dem Vorwurf der Partei der Besserverdienenden zu begegnen, betonten die Grünen auf ihrem Parteitag ihre linke Parteiseele. Dies bot der Union die Möglichkeit, vor den Grünen als linker Partei zu warnen. Um dem Verdacht einer weiteren Linksverschiebung ihrerseits entgegenzutreten, spricht sich die CDU für die kommende Wahl gegen eine Vermögenssteuer und gegen die Anhebung des Mindestlohns aus. Sie hegt die Erwartung, dass die Kosten der Corona-Krise durch einen Wirtschaftsaufschwung bezahlt würden und fordert eine Deckelung der Unternehmenssteuer. So will die Partei wieder stärker ihren Wirtschaftsflügel betonen und die Nähe zur Wirtschaft unterstreichen.

Im sozioökonomischen Feld zu Hause

In der Klimadebatte hat die CDU dazu beigetragen, dass diese weniger als ökologischer Selbstzweck oder als moralische Frage verhandelt wurde, vielmehr in ihren wirtschafts- und sozialpolitischen Dimensionen. So zieht die Union diese Debatte auf das sozioökonomische Feld, auf dem sie seit jeher zu Hause ist, weit mehr Kompetenzen zugesprochen bekommt als die Grünen und auf dem die meisten der vergangenen Bundestagswahlen gewonnen wurden.

Die Grünen sind mittlerweile zum Hauptgegner der CDU geworden. Die Frage, ob es eine grüne Kanzlerin gibt, mobilisiert weit stärker in das bürgerliche Lager hinein als die Aussicht auf eine grüne Beteiligung als kleiner Partner einer CDU-geführten Regierung. Dies alles hilft der CDU dabei, die Grünen als Kontrastfolie zu sich selbst darzustellen und sich aus ihrem Standortdilemma zu befreien. Die Union braucht gar nicht hinter die Merkel‘schen Liberalisierungen zurückzugehen.

Eine bewahrende Kraft

Sie kann sich bei Übernahme der klimapolitischen Fernziele, wie dem 1,5 Grad-Ziel, als veränderungsoffen geben, sich aber trotzdem von den Grünen abgrenzen, ohne sich der AfD annähern zu müssen. Die CDU nimmt so wieder die Rolle eines bürgerlich-konservativen Korrektivs ein. Sie kann ein Akteur sein, der gesellschaftlichen Wandel bremst und nicht verleugnet, Interessen miteinander verschmilzt und nicht gegeneinander polarisiert, kleinschrittig handelt und nicht in großen Sprüngen voranprescht.

Diese Positionierung der CDU als bewahrende Kraft gegen veränderungsfreudige Konkurrenten, in diesem Fall die Grünen, ist in gewisser Weise auch eine Fortsetzung des Merkel-Kurses. Die „Krisenkanzlerin“ hat, abseits von Finanz- und Wirtschaftskrise, abseits von „Fukushima“ und der „Flüchtlingskrise“, immer das Stabilitätsversprechen in den Mittelpunkt ihrer Politik gestellt. Der von Markus Söder an Armin Laschet erteilte Ratschlag, er solle bloß nicht als „Helmut Kohl 2.0“ auftreten, scheint genau spiegelverkehrt richtig zu sein. Dieser Gestus ist offensichtlich noch immer stark in der Mentalität der CDU-Wählerschaft verankert.

Grüne könnten professioneller werden

Fraglich ist allerdings, wie mit großen Differenzen in der Finanz-, Sozial- und Klimapolitik eine schwarz-grüne Koalition im Sinne der Erwartungen der eigenen Wählergruppen zusammenarbeiten soll. Eine Kontrastfolie wirkt eben dann am besten, wenn man nicht ständig gemeinsam Kompromisse schließen muss. Ob diese Strategie der CDU wenigstens bis zum Wahltag reichen wird, hängt stark vom Verhalten der Grünen ab. Diese könnten von ihren bisherigen Fehlern lernen und ihre Wahlkampagne professionalisieren.

Im Laufe des Wahlkampfes könnte es ihnen verstärkt gelingen, Wähler anzusprechen, denen das CDU-Wahlprogramm dann doch zu wenig ambitioniert ist. Jene Personen, die Freiheitseinschränkungen weniger in der Klimapolitik als in den Folgen des Klimawandels sehen. Dies gilt besonders unter dem Aspekt der von der CDU sonst oft betonten Generationengerechtigkeit.

Freiraum könnte verspielt werden

Das harmonische Erscheinungsbild der Unions-Führung auf der anderen Seite könnte durch Aktivitäten des CDU-Wirtschaftsflügels, besonders aber durch ihre Parteirechten, tiefe Kratzer bekommen. Dies könnte Mitte-Wähler, die aktuell von den Grünen irritiert sind, erneut abschrecken und zu den Grünen zurückleiten. So könnte der gerade erreichte Freiraum zwischen Grünen und AfD wieder verspielt werden.

Vor allem aber lehrt der vergangene Bundestagswahlkampf: Mehrere Wochen vor der Wahl galt der Sieg für die Union als ausgemacht. Dies ermüdete die eigene Anhängerschaft, bewirkte neue Wahlkampfdynamiken und führte zu einem weit schlechteren Unions-Ergebnis, als bis dahin allgemein erwartet wurde.

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