Umstrittener Gerichtsentscheid - Berufsverbot für AfD-Politiker

Baden-Württemberg hat einen AfD-Politiker aus dem Staatsdienst entfernt. Erstmals hat ein Staatsanwalt wegen Meinungsäußerungen sein Amt auf diese Weise verloren. Im Ergebnis zwar richtig, ist die Begründung allerdings nicht überzeugend und gefährlich für jeden Beamten.

Der AfD-Abgeordnete Thomas Seitz trägt im Bundestag eine Atemschutzmaske mit der Aufschrift „Danke MRKL“ (Danke Merkel) / dpa
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Von Jochen Zenthöfer erscheint in diesen Tagen das Buch Plagiate in der Wissenschaft - Wie „VroniPlag Wiki“ Betrug in Doktorarbeiten aufdeckt, transcript Verlag, Bielefeld, 188 Seiten, ISBN: 978-3-8376-6258-0, 19.50 Euro. Zenthöfer berichtet seit acht Jahren als Sachbuchrezensent in der FAZ. über Plagiate in Doktorarbeiten – nicht nur bei Politikern.

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Zu trennen sind bei einer zu bewertenden Handlung die persönliche Einschätzung von politischer Kritik und rechtlicher Analyse. Juristen lernen früh, die drei Ebenen nicht zu vermischen; gelegentlich passiert es trotzdem. In diesem Fall geht es um einen Staatsanwalt, der als AfD-Kandidat wiederholt kontroverse Aussagen in sozialen Netzwerken kundtat.

Persönlich muss man seine Meinungen ablehnen, sie politisch sogar für ein AfD-Verbotsverfahren nutzen wollen. Der juristische Blick aber sollte ein anderer sein. Strafrechtlich waren die Äußerungen nicht relevant, alle Ermittlungsverfahren wurden eingestellt. Es folgten jedoch dienstrechtliche Konsequenzen: Das Land Baden-Württemberg beantragte, den 1967 geborenen Thomas Seitz aus dem Beamtenverhältnis zu entlassen. Dienstgericht und der Dienstgerichtshof beim Oberlandesgericht Stuttgart verfügten dies, seit wenigen Tagen ist das rechtskräftige Urteil auf der Plattform openjur.de zugänglich (DGH 2/19).

Postings zeigen den Koran im Klo

Im Blog „de legibus“ hat Oliver García dargelegt, dass hier erstmals gegen einen Staatsanwalt die Höchstmaßnahme, die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis, wegen problematischer Meinungsäußerungen ausgesprochen wurde. In diesem Präjudiz geht es um einen populistischen Politiker, der, obwohl wochenlang mit Covid-19 auf der Intensivstation liegend, die Maskenpflicht ablehnt und der sich in den vergangenen Jahren verächtlich über Flüchtlinge und den Islam geäußert hat. Die streitgegenständlichen Postings zeigen unter anderem den Koran in einer Toilette und bezeichnen den Propheten Mohammed als einen „emporgekommenen Kriegsherren, sadistischen Blutsäufer und Kinderschänder“, auch der Begriff „wahnsinniger Psychopath“ fällt. Zudem suggeriert Seitz, dass die Zeit zur Ausübung des im Grundgesetz vorgesehenen Widerstandsrechts gekommen sei, auch wenn er selbst, wie er schreibt, aktiven Widerstand ablehnt. Schließlich benutzt Seitz den Begriff „Gesinnungsjustiz“ in Bezug auf ein Urteil, nach dem man Alice Weidel „Nazi-Schlampe“ nennen darf.

Meinungsfreiheit gegen Mäßigungsgebot

All diese Äußerungen fallen in den Schutzbereich der Meinungsfreiheit, aber Seitz ist als Beamter auch dem Mäßigungsgebot unterworfen. Land und Dienstgericht argumentieren, Seitz habe seine Rolle als Staatsanwalt mit seiner politischen Tätigkeit vermischt. So posierte er auf einem Foto mit Robe, weißer Krawatte und einem Buch mit Strafgesetzen in der Hand. Auch verwies er in den sozialen Netzwerken auf seine berufliche Tätigkeit. Das verletze, meinen Land und Gerichte unisono, die Neutralitätspflicht. Inhaltlich seien seine Beiträge „in weiten Teilen unsachlich, beschimpfend, beleidigend, herabwürdigend und in völlig unangemessenem aggressivem Ton gehalten“. Sein Duktus von der „Gesinnungsjustiz“ sei in der Lage, „grundlegendes Vertrauen in die Justiz und damit in den Rechtsstaat zu erschüttern“, da Seitz selbst Teil der Justiz ist.

Eine Subsumption einzelner Äußerungen oder ihre umfassende Bewertung unterbleibt, das Dienstgericht spricht von einer „Gesamtschau“, der Dienstgerichtshof von einer „Zusammenschau“. Das Gericht nutzt wiederholende Verstärkungen, wenn es etwa verkündet, Seitz habe „nicht nur vorsätzlich und schuldhaft“, sondern auch „absichtlich und planmäßig“ gehandelt. In den einmalig dahingeworfenen Begriff der „Gesinnungsjustiz“ konstruiert das Gericht eine „ungeheuerliche These“, als würde durch ein Facebook-Posting die Theorie ausgebreitet, die den Rechtstaat kollabieren lässt. Wenn sich Seitz – für seine Verhältnisse – mäßigend äußert, verhält er sich nach Meinung des Gerichts erst recht verdächtig, nämlich „subtil“. Die Erschütterung über Seitz kulminiert in der Aussage, dass dieser doch tatsächlich an seiner politischen Gesinnung festhalte. Ihm wird „fehlende Einsicht“ attestiert. Jetzt ist es bis zu der im Sozialismus verlangten subjektiven Einsicht in die objektive Notwendigkeit nicht mehr weit.

Gericht urteilt ohne empirische Evidenz

Die Äußerungen von Seitz sind zweifellos äußerst geschmacklos und anfeindend. Aber lassen sie „eindeutig“ den Eindruck entstehen, Seitz werde bei seiner Amtsführung nicht loyal gegenüber dem Dienstherrn sein? Drängt sich für den unbefangenen Betrachter der Eindruck auf, dass die Anschauungen auch auf seine Arbeit als Staatsanwalt durchschlagen könnten, wie das Gericht meint? Seitz‘ letzte Regelbeurteilung war unauffällig, er war disziplinarrechtlich nicht in Erscheinung getreten, seine politische Arbeit hat – so das Gericht – nie die Dienstausübung beeinflusst. Die ersten Postings wurden nicht mit Warnschüssen belegt. Der Dienstherr wollte also nicht mäßigen, sondern hat gewartet, bis eine Reihe von Äußerungen zusammenkommt.

Ohne empirische Evidenz bleiben zudem weitere Schlussfolgerungen des Gerichts, etwa diese: „Auch wenn das Amt als Staatsanwalt derzeit ruhe, sei zu befürchten, dass die Ansichten und Verhaltensweisen im Falle einer eventuellen Rückkehr in den aktiven Dienst nicht etwa abgeschwächt, sondern noch weiter vertieft und verhärtet sein würden.“ Seitz ist seit 2017 Bundestagsabgeordneter, Ende September wurde er wiedergewählt. Werden im Parlament extremistische Ansichten vertieft und verhärtet? Oder ist es nicht eher so, dass der politische Diskurs Extreme abschleift, wie das bei anderen Parteien geschehen ist?

Auf seiner Webseite äußert sich Seitz inzwischen weiterhin pointiert, aber moderater. Auch ein weiterer Hinweis des Gerichts kann nicht verfangen, nämlich, dass die zum Gegenstand des dienstgerichtlichen Verfahrens gemachten Veröffentlichungen lediglich die „Spitze eines Eisbergs“ darstellten. Was nicht zum Gegenstand des Verfahrens gemacht wurde, darf nicht beurteilt werden; und was unterhalb der Spitze liegt, ist zudem wohl weniger dramatisch.

Seitz darf acht Jahre kein Anwalt sein

Das Gericht meint schließlich, Seitz bliebe Volljurist mit zwei abgeschlossenen Examina und vieljähriger beruflicher Erfahrung. „Ihm stehen dementsprechend mannigfache andere berufliche Wege offen, die es zulassen, eine seiner Vorbildung entsprechende, ihm sozial und finanziell zumutbare Anstellung bzw. eine freiberufliche Tätigkeit zu finden bzw. auszuüben.“ Das aber ist, wie García bei „de legibus“ dargestellt hat, falsch. Tatsächlich ist unmittelbare gesetzliche Folge des Urteils ein Berufsverbot auch für die Tätigkeit als Rechtsanwalt. Dies ist in Paragraph 7 Satz 1 Nr. 4 BRAO geregelt, einer Norm, die der Dienstgerichtshof übersehen hat.

Das Berufsverbot gilt für die Dauer von acht Jahren. Diese zeitliche Begrenzung ist allerdings erst durch eine vor einigen Wochen in Kraft getretene Gesetzesänderung angefügt worden. Nach der vorherigen Gesetzesfassung, die auch im Zeitpunkt des Urteils galt, war es sogar ein lebenslängliches Berufsverbot. Ersichtlich kannte niemand, der an dem Verfahren beteiligt war, diesen gesetzlichen Zusammenhang.

Thomas Seitz ist nun wieder in den Bundestag gewählt worden. Die nächsten vier Jahre wird er daher sowieso nicht als Rechtsanwalt tätig sein. Doch auch ein uns beschämender Politiker wie Seitz hat das Recht auf ein faires Verfahren.

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