Überführung von Ali B. - „Es fand ein klarer Bruch der irakischen Verfassung statt“

Ali B. hat den Mord an Susanna F. vor der Polizei gestanden. Doch dafür musste er illegal aus dem Irak zurück nach Deutschland überführt werden, sagt der Völkerrechtler Matthias Hartwig. Das kann nun zu Problemen im Prozess führen

Im Irak können eigene Staatsangehörige laut Verfassung nicht ausgeliefert werden / picture alliance
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Autoreninfo

Chiara Thies ist freie Journalistin und Vorsitzende bei next media makers.

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Matthias Hartwig ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Max-Planck-Institut für ausländisches und öffentliches Recht in Heidelberg. Er forscht zum Völkerrecht und berät im Vergleichenden Verfassungsrecht, in letzterem Bereich ist er auch rechtsberatend tätig.

Herr Hartwig, erst bestritt Innenminister Horst Seehofer, dass er von der Überführung von Ali B., dem mutmaßlichen Mörder von Susanna F., aus dem Irak nach Deutschland Bescheid wusste. Am Montag kam jedoch heraus, der Chef der Bundespolizei Dieter Romann habe ihn permanent über die Vorgänge informiert. Warum ist Romann überhaupt höchstpersönlich in den Irak geflogen, um Ali B. abzuholen?
Er verfügte wohl über persönliche Kontakte in Kurdistan, also dem nördlichen Teil vom Irak. Die hat er dann eingesetzt, um die Überstellung oder Abschiebung von Ali B. zu bewirken. Strittig ist natürlich, inwieweit das in seinen Kompetenzen lag. Aber wenn Seehofer auf dem Laufenden über diese Unternehmung war, hat er sie durch sein Stillschweigen gebilligt. 

Nun hat sich Seehofer von Dieter Romann auch die Rechtmäßigkeit der Maßnahme bestätigen lassen. Können Sie diese Rechtmäßigkeit ebenfalls bestätigen?
Nein, der ganze Vorgang ist rechtlich hoch  problematisch. Denn eine Auslieferung von eigenen Staatsangehörigen erfolgt in einem  rechtlichen Rahmen. Im Irak – so wie auch in Deutschland - können eigene Staatsangehörige nicht ausgeliefert werden. So steht es ohne Ausnahmen in Artikel 21 aus der irakischen Verfassung aus dem Jahr 2005. 

Kann man hier sogar von einer Entführung sprechen?
Rechtlich würde man nicht so weit gehen können, Deutschland selbst eine Entführung von Ali B. vorzuwerfen. In diesem Fall haben die irakischen beziehungsweise kurdischen Behörden mitgemacht. Sie haben im Rahmen ihrer polizeilichen Funktionen agiert. Die Deutschen selbst sind nicht aktiv geworden und haben keine Maßnahmen ergriffen. Sie haben lediglich die Anregung gegeben, dass Ali B. überstellt werden soll. 

Wenn Sie von der „polizeilichen Kompetenz der kurdischen Behörden“ reden, handelt es sich um die Befugnisse der autonomen Region Kurdistan. Kann die sich über das irakische Verbot der Auslieferung eigener Staatsbürger hinwegsetzen? 
Nein, auch die Organe in der autonomen Region Kurdistan sind an die Verfassung gebunden und also an einer Auslieferung gehindert. Abgesehen davon gilt: Zwar ist  eine Auslieferung trotzdem grundsätzlich möglich, auch wenn kein Auslieferungsabkommen zwischen zwei Ländern besteht. Allerdings muss sich der ersuchende Staat an die „Zentral“regierung wenden. Die Bewilligung der Auslieferung liegt nicht in der Kompetenz von regionalen Behörden. Konkret hätte Deutschland sich  an das irakische Außenministerium wenden müssen. Dieses hätte über einen Auslieferungsantrag entscheiden müssen.

Matthias Hartwig

Genau darüber beschwert sich Bagdad jetzt.
Natürlich und das zurecht. Die irakische Regierung ist hier überspielt worden. Das hängt auch wieder mit Herrn Romann zusammen. Der hatte die Kontakte nach Kurdistan, wo die Deutschen aus verschiedenen Gründen besonders aktiv sind. Wahrscheinlich hat Romann keine Kontakte ins irakische Außenministerium. 

Wenn die Auslieferung also illegal war, kann das zu Problemen im Prozess in Deutschland führen?
Das ist die Frage. Auf Lateinisch pflegte man zu sagen „Male captus, bene detentus“: Auch wer unrechtmäßig gefangen genommen wurde, kann vor ein Gericht gestellt werden. Dies war die lange Zeit vorherrschende Auffassung. Dieser Grundsatz hat auch im Fall Eichmann gegolten. Die Israelis haben Adolf Eichmann damals in Argentinien rechtswidrig entführt und dann über ihn ein international anerkanntes Urteil gesprochen. Inzwischen hat sich dieses Rechtsverständnis sowohl auf internationaler als auch nationaler Ebene gewandelt. In zwei Fällen kann es zu Verfahrensproblemen kommen. Und zwar erstens, wenn die Überführung unter Gewaltanwendung des entführenden Staates durchgeführt wurde. Oder wenn zweitens die Überführung in grob rechtswidriger Weise der Rechtsnorm des Landes, aus dem die Entführung stattfindet, geschah. 

Das heißt, die Bedingung für den ersten Fall ist nicht erfüllt, dafür aber für den Zweiten.
Genau, man kann hier die Frage stellen, ob die Bundesregierung hier nicht in bewusster Kenntnis der Rechtslage im Irak handelte. Jedenfalls hätte sie sie kennen müssen. Ich weiß natürlich nicht, wie weit Herr Romann mit den Feinheiten der irakischen Verfassung vertraut ist. Aber er hätte wissen müssen, dass eine Abschiebung/Überstellung irakischer Staatsangehöriger nicht von lokalen Behörden vorgenommen werden kann, sondern über die „Zentral“regierung in  Bagdad läuft. Das eigentlich angezeigte Auslieferungsverfahren wurde auf diese Weise umgangen. Insofern ist das Vorgehen der deutschen Seite als rechtswidrig zu bezeichnen.

Gibt es bereits Präzedenzfälle, in denen wegen dieser Fehler kein Urteil gesprochen werden konnte?
Ja, es gibt einige Fälle in Großbritannien, Neuseeland, Australien und Südafrika. Das Bundesverfassungsgericht beschäftigte sich mit der Frage in einem  Fall, in dem Jemeniten von amerikanischen V-Männern aus dem Jemen nach Deutschland gelockt wurden. Es handelte sich um Imame, denen ein Aufruf zum Terror vorgeworfen wurde. Sie wurden nach Frankfurt gelockt, dort festgenommen und in die USA ausgeliefert. Das Bundesverfassungsgericht hat damals festgestellt, dass jedenfalls ein Herauslocken etwas anderes ist als eine Festnahme, weil die Personen freiwillig – wenn auch unter Täuschung – nach Deutschland gekommen seien und daher zur Durchführung eines strafrechtlichen Verfahrens ausgeliefert werden konnten. In der Entscheidung schwingt mit, dass bei einer gewaltsamen Entführung möglicherweise anders entschieden worden wäre. 

Nun wurde Ali B. ja aber im Irak festgenommen. 
Ali B. kam nicht freiwillig nach Deutschland. Er wurde gewaltsam und wahrscheinlich gegen seinen Willen in Gewarsam genommen und aus dem Irak herausgebracht. Ich kann es nur wiederholen: Hier fand also ein klarer Bruch der irakischen Verfassung statt. Das betrifft auch die Menschenrechte. Wir drängen alle Staaten der Welt, menschenrechtliche Verpflichtungen einzuhalten und hebeln sie im Zusammenspiel mit Kurdistan jetzt selbst aus. Das wirft kein gutes Licht auf die Bundesregierung.

Das hätte man umgehen können, indem Ali B. der Prozess im Irak gemacht wird. Wäre das möglich gewesen?
Theoretisch ja. Üblicherweise kann jeder Bürger auch für Taten verurteilt werden, die er im Ausland begannen hat. Im Irak drohte Ali B. dafür natürlich die Todesstrafe. Das wäre aus deutscher Sicht ein Problem gewesen. Denn das Verbrechen hat sich ja in Deutschland abgespielt. Das heißt, der Irak hätte Informationen gebraucht und dafür Rechtshilfe von Deutschland angefordert. Diese Rechtshilfe über den Tathergang und so weiter hätten wir aber nicht liefern dürfen, wenn dort die Todesstrafe droht. Möglicherweise wäre Ali B. dann durch Mangel an Beweisen freigekommen. 

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