Umgang mit dem türkischen Religionsverband - Definieren Sie bitte Islamist!

Wie groß ist Erdogans Einfluss auf den türkischen Islamverband in Deutschland? Der Verfassungsschutz nimmt den Umgang mit dem türkischen Religionsverband Ditib unter die Lupe. Ein erstes Fazit von Verfassungsschutzchef Thomas Haldenwang stimmt unsere Gastautorin Seyran Ates besorgt.

Wohlwollendes Zeugnis vom Verfassungsschutz: Recep Taiyyip Erdogan / dpa
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Autoreninfo

Seyran Ateş arbeitet als Anwältin und Publizistin. Sie ist Gründerin der liberalen Ibn Rushd-Goethe Moschee in Berlin.

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Der Chef des Bundesamtes für Verfassungsschutz hat vor wenigen Tagen um Augenmaß im Umgang mit dem türkischen Religionsverband Ditib gebeten. Sein Optimismus und sein ausgleichendes Gemüt ehren ihn, und ich kann nur erahnen, wie schwierig seine Lage in diesem verantwortungsvollen Amt ist.

Gleichzeitig räumt er zumindest ein, dass die Verflechtung der DITIB mit Ankara klar sein dürfte. Die Allgemeinen Zeitung zitiert Haldenwang. So sei nach dem gescheiterten Putsch 2016 die Ditib genutzt worden, um die türkische Community in Deutschland auszuspionieren. Die finanzielle Abhängigkeit der Moscheen von der Türkei und der dortigen staatlichen Religionsbehörde Diyanet sei offenkundig. Ich war aus mehreren Gründen überrascht. 

Verfassungsschutz sieht Netzwerk mit Ankara

Erstens: Die Ditib bestreitet in den vergangenen Jahren mehr schlecht als recht, jegliches Naheverhältnis zur offiziellen türkischen Religionsbehörde Diyanet. Man sei eigenständig und unabhängig von Ankara, und überhaupt wolle man sich von niemandem etwas sagen lassen. Offenbar sieht der Verfassungsschutz in Deutschland diese Unabhängigkeit nicht. Danke für die Klarstellung. 

Zweitens: Der Verfassungsschutz ist sich wohl auch völlig im Klaren darüber, dass das Moscheenetzwerk 2016 zum Ausspionieren der türkischen Community diente. Damit sind wohl vor allem Oppositionelle, Kurden und Gülen-Anhänger gemeint. Auch hier ist es wichtig festzuhalten, dass die Verfassungshüter diese untragbaren Zustände registriert haben, denn auch das wurde von den Verbänden heftig in Abrede gestellt.  

Ist Erdogan ein Islamist?

Kommen wir zu den Irrtümern, denen Herr Haldenwang nach meiner Ansicht unterliegt. Bei aller Wertschätzung für die Expertise, über die er zweifelsfrei verfügt – die Frage, ob Erdogan ein Islamist ist, muss man mit einem klaren „ja“ beantworten und nicht wie er mit „nein“. Alle türkischen religiösen Reformbewegungen der vergangenen Jahre lassen eigentlich keinen Zweifel daran, welche gesellschaftlichen Vorstellungen Erdogan antreiben. Es beginnt beim Thema Verschleierung, wo er eine völlig andere Linie vertritt als dies über Jahrzehnte in der Türkei von der Mehrheit gelebt wurde, es zieht sich weiter bei seinen Vorstellungen, wie viele Kinder eine Frau bekommen und welche Rolle sie in der Gesellschaft spielen sollte. Und es spiegelt sich auch wider in seinen ganz speziellen Ansichten zur Presse- und Meinungsfreiheit.

Aber nicht nur weiche Faktoren zeigen die Ambitionen des Diktators Erdogan. Seit 2011 ist die Türkei eines der wichtigsten Zentren für die Muslimbrüder geworden. Es ist kein Zufall, dass die Mehrzahl der im Exil befindlichen Führer der größten und wichtigsten islamistischen Gruppe der Welt gerade in der Türkei ihre Zelte aufschlagen konnten – ohne konkrete rechtliche Organisationsform, wohl bemerkt. Das ist ohne politischen Willen der Führung aus Ankara unvorstellbar. Die Rolle der Türkei im Syrien-Konflikt als Schleuse für so genannte Foreign Fighters ist ebenfalls bestens dokumentiert, und auch hier darf man die Türkei nicht aus der Verantwortung lassen. 

Nimmt Erdogan Einfluss auf Moscheen in Deutschland?

Die zweite Frage ist, ob die Ditib-Moscheen  politisch und religiös beeinflusst von Erdogan werden oder nicht. Auch hier nochmal: Es ist ein offenes Geheimnis, dass der Ditib-Verband die verlängerte Werkbank für Ankara ist. Das ist mehr als ein Problem. Das ist ein Skandal.Deutschland überlässt die Deutungshoheit über den Islam und die Muslime in Deutschland zum großen Teil einem Diktator, der – sofern er Gelegenheit dazu hat - jeden einsperrt, der nicht seinem Menschenbild und seiner politischen Überzeugung entspricht.

Geopolitische Interessen der Türkei werden regelmäßig über die Freitagspredigten an die Filialen der Ditib verteilt und es spricht doch Bände, wenn Teile der türkischen Community in Deutschland zum Thema Covid-19 eher den Äußerungen und Empfehlungen der türkischen Behörden vertrauen als jenen der Deutschen. Jetzt frage ich, sind die aus Ankara direkt finanzierten Verbände die richtigen Verbündeten für die deutsche Politik und den Verfassungsschutz? Ich denke nicht, denn auch in der Vergangenheit waren die Exil-Türken für Erdogan eine wichtige Manövriermasse.

Visionen über den Islam in Europa

Nicht zu vergessen sind die noch zahlreichen unangenehmen Überschneidungen mit türkisch-nationalistischen Gruppen, wie den Grauen Wölfen oder mit islamistischen Gruppen wie der Milli Görüs –  oder mit den Muslimbrüdern. Ich erinnere an die große Konferenz in Köln im Januar 2019, als führende Köpfe von Diyanet und Muslimbruderschaft Seite an Seite ihre Visionen über den Islam in Europa skizzierten. Das Ergebnis war alles andere als beruhigend. Ob Herr Haldenwang das Papier gelesen hat, welches die Herren bei der Konferenz beschlossen haben? Ich empfehle die Lektüre auf der Seite der Ditib.

Man kommt als Pragmatiker offensichtlich nicht an der Ditib vorbei, weil sie die besten Strukturen etabliert hat, gut finanziert ist und man sich in vielen Ländern einfach schon über Jahre hinweg arrangiert hat. Aber macht Alternativlosigkeit eine unerwünschte Kooperation besser? Hier offenbart sich unser großes Problem in Deutschland. Mangels eigener Ressourcen (Schulen und Universitäten) müssen wir darauf vertrauen, dass Organisationen, von denen wir sogar zur Kenntnis nehmen, dass sie anderen Machthaber dienen, den Islam in Deutschland prägen. Und solange das so ist, müssen wir auch Zitate wie jene von Herrn Erbas, dem Chef der Diyanet, ertragen, dass die Gesellschaft unter Homosexualität verrotte und dass dadurch HIV und Corona entstünden. 

Einfluss auch im Bildungssystem 

Solange sich das deutsch/islamische Bildungsangebot vorwiegend aus nicht-akkreditierten Ausbildungsstätten wie dem Europäischen Institut für Islamwissenschaft in Frankfurt, das kürzlich schließen musste, oder Online-Angeboten wie jenem der Islamic Online University bewegt, wird es auch schwer werden, eigene Kapazitäten aufzubauen. Die Islamic Online University ist übrigens von einem Mentor des Salafisten Pierre Vogel gegründet worden, Bilal Philips.

Philips wurde 2011 mit einem Einreiseverbot belegt. Das hindert ihn jedoch nicht daran, ein Fernuni-Programm auch in Deutschland anzubieten. Für Prüfungsaufsichten kann er auf Dutzende lokale Partner zurückzugreifen. Einer dieser Partner ist laut Universität praktischerweise ein Ableger des größten deutschen Islamverbandes – der Ditib – und so schließt sich der Kreis. Höchste Zeit, ernsthaft nach alternativen Partnern zu suchen. Es sei denn, die deutsche Politik hat was im Sinn, was liberale und europäische Muslime einfach nicht verstehen. 

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