CDU-Landrat Henning über Thüringen - „Ich kann kein Gewissen in der CDU erkennen“

Dem thüringischen Landrat Werner Henning, CDU, ist seine eigene Partei fremd geworden. Er unterstützt die Forderung der Ex-Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht nach einer Koalition mit der Linken. Die CDU solle ihrem Gewissen folgen, keinem Unvereinbarkeitsbeschluss.

Bodo Ramelow und Mike Mohring: "CDU duckt sich hinter Unvereinbarkeitsbeschluss hinweg" / dpa
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Antje Hildebrandt hat Publizistik und Politikwissenschaften studiert. Sie ist Reporterin und Online-Redakteurin bei Cicero.

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Werner Henning ist seit 26 Jahren Landrat des thüringischen Landkreises Eichsfeld. Bereits als Abiturient in der DDR wurde der heute 63-Jährige Mitglied der CDU. 

Herr Henning, als einer der wenigen Politiker in der CDU haben Sie sich für eine Koalition mit der Linken ausgesprochen. Was sagen Sie dazu, dass Christine Lieberknecht das Angebot nun ausgeschlagen hat, Thüringen übergangsweise zu regieren?
Also, Koalition ist für mich ein rein technischer Begriff für einen Vertrag, in dem man gewisse Konditionen festhält. Das ist keine Liebesheirat, sondern eine besondere Vertragsform. Dass Frau Lieberknecht das Angebot unter diesen Umständen abgelehnt hat, kann ich nachvollziehen. 

Warum?
Weil sie sich nicht zur Manövriermasse in einem Poker zwischen der CDU-Landtagsfraktion und der Linken-Landtagsfraktion machen lassen will. Dafür ist sie zu anspruchsvoll in ihrer eigenen Ethik. Sie ist schließlich auch nach ihrem Ausscheiden als Ministerpräsidentin 2014 von der CDU nicht gut behandelt worden. 

Lieberknecht hatte abgelehnt, weil Thüringens CDU die Neuwahl monatelang verschieben wollte, da ihre Umfragewerte nach dem Debakel um die Ministerpräsidentenwahl auf einen historischen Tiefstand von 12 Prozent abgestürzt sind. Können Sie die Haltung Ihrer Partei verstehen? 
Ich kann nachvollziehen, dass man Zeit gewinnen will, weil die Umfragewerte im Augenblick in der Tat sehr schlecht sind. Trotzdem kann ich der CDU nur raten, sich jetzt ausgesprochen korrekt zu verhalten. 

Was meinen Sie damit?
Sie muss ihre Fehler vom 5. Februar eingestehen und demütig um Entschuldigung bitten. Nur dann kann sie hoffen, dass der Wähler Nachsicht üben mag. Aber wenn die CDU meint, in dieser Form weiterhin Forderungen stellen zu können, dann wird Thüringens CDU die Bundespartei weiter ruinieren. Also, die CDU, der ich angehöre, hat immer noch etwas zu tun mit einer christlich geprägten Ehrbarkeit. Diese Ehrbarkeit kann ich im Moment nicht erkennen. 

FDP-Fraktionschef Christian Lindner hat sich bei den Wählern inzwischen entschuldigt, Mike Mohring dagegen nicht. 
Warum eigentlich nicht? Ich habe auch von der Landes-CDU noch keine Entschuldigung gehört. 

Was schließen Sie daraus?
Ich glaube, dass die Landespartei den Ernst der Lage nicht begriffen hat. 

Mike Mohring wird als Fraktionschef im Mai zurücktreten. Wer hat denn jetzt das Sagen in der Landes-CDU?
Ich weiß es nicht. Ich bin kein Vertreter der Landespartei, nur ein einfaches Mitglied. Ich komme aus dem christlich-konservativen Spektrum einer mehrheitlich katholisch geprägten Landschaft und habe bislang aus dieser Haltung in der CDU eine gesellschaftliche Basis gefunden. Im Moment bin ich aber ausgesprochen irritiert. 

Sie klingen, als würden Sie Ihre eigene Partei nicht wiedererkennen?
Ich bin nicht die CDU, ich bin Werner Henning, ein Mitglied der CDU. Ich habe immer eine Erwartungshaltung auch an die Partei selbst gehabt. Auch die Partei hat mir gegenüber Inhalte zu erfüllen. Christliche Werte im Sinne von Ehrbarkeit, Erzogenheit und von „Was du nicht willst, das man dir antut, das tu auch keinem anderen zu“. Diese Haltungen scheinen aber im Moment in Thüringens CDU antiquiert zu sein. Mir ist die Partei sehr fremd geworden.

Wie sich inzwischen herausgestellt hat, war die Wahl von Herrn Kemmerich das Ergebnis einer konzertierten Aktion von CDU, FDP und AfD. Heiligt der Zweck die Mittel?
Nein, überhaupt nicht. Ich glaube ja auch nicht, dass es eine Panne war. Es deuten so viele Beweise darauf hin, dass es klare Absprachen gab. Eine Panne wäre auch noch schlimmer gewesen.

Werner Henning

Warum?
Es wäre der Nachweis einer überhaupt nicht nachvollziehbaren Naivität gewesen. Da ich an eine solche nicht glaube, gehe ich davon aus, dass es genau so gekommen ist, wie es kommen sollte. Und das finde ich schlimm. 

Nachfolger von Mike Mohring soll der ehemalige Ostbeauftragte Christian Hirte werden. Ist er der Richtige, um die Partei wieder nach vorne zu bringen?
Ich kenne Herrn Hirte nicht besonders gut. Er ist mir nach der Landtagswahl nur einmal unangenehm aufgefallen mit seiner Aufforderung an Herrn Mohring, selbst für das Amt des Ministerpräsidenten zu kandidieren. Das wäre aber nur mit Zustimmung der AfD möglich gewesen. Für mich ist die AfD in Thüringen aber primär eine Höcke-AfD ist. Also, ich reduziere die Partei auf das, was ich hier wahrnehme unter der Führung von Björn Höcke. Und einer solchen AfD hat Herr Hirte indirekt zugesprochen. Ich habe seinerzeit schon in einer Pressemitteilung auf ihn geantwortet. 

Was haben Sie ihm gesagt?
Auch Herr Hirte möge nicht den Tag der Schande erleben, um ein bisschen mit dem Gedanken an das „Denkmal der Schande“ zu spielen. Am Ende des Tages erlebt jeder sein Armageddon, eine biblische Endschlacht zwischen Gut und Böse. Das ging mir damals durch den Kopf.  

Ihre Gegner würden einwenden, dass die Äußerung von Herrn Hirte unter die Meinungsfreiheit fällt. War es die richtige Entscheidung der Kanzlerin, Christian Hirte als Ost-Beauftragten zurückzurufen?
Das kann ich nicht beurteilen. Herr Hirte gehörte dem Unternehmen „Regierung“ an, dem die Kanzlerin vorsteht. Es ist ihre Entscheidung. Wie ich Frau Merkel kenne, hat sie diese auch aus einer internationalen Perspektive getroffen. Man wird in den USA kaum erklären können, was in Thüringen passiert ist. Das muss für eine Kanzlerin der Bundesrepublik unannehmbar sein.Von daher habe ich Verständnis für ihre Reaktion. 

Christian Hirte hat sich schon mehrfach gegen eine Koalition mit der Linken ausgesprochen. Glauben Sie ernsthaft, er würde sich dafür über den Unvereinbarkeitsbeschluss mit der CDU hinwegsetzen? 
Ich weiß es nicht. Aber diese Unvereinbarkeitsbeschlüsse werden doch immer so ausgelegt, wie es am besten passt. Ich glaube, die Frage, ob man eine Koalition mit der Linken eingeht, ist eine Gewissensfrage.  

Das heißt, wenn man es mit seinem Gewissen nicht mehr vereinbaren kann, sollte man sich darüber hinwegsetzen?
Genau. Das Gewissen steht viel höher als so ein Parteitagsbeschluss. Und darüber bin ich enttäuscht. Ich kann kein Gewissen in der CDU erkennen. Alles ist pure Ware. Alles ist pures Alibi. 

Was hindert denn Ihre Parteifreunde daran, sich über den Beschluss hinwegzusetzen?  
Sie sind selbst von diesem Unvereinbarkeitsbeschluss überzeugt. Sie benutzen ihn, um sich dahinter wegzuducken. 

Wovor ducken sie sich denn weg? Vor der Frage, ob die CDU als Blockflötenpartei die SED-Diktatur nicht selbst gestützt hat?
Nein, diese Frage muss ich scharf verneinen. 30 Jahre nach der Wende noch von einer Blockflötenpartei zu sprechen, ist unerträglich. Auch ich bin Mitglied der CDU am Ende der DDR gewesen. Ich würde mir eine solche Apostrophierung nicht zu eigen machen. Nein, das ist es nicht. 

Was ist es dann?
Sie ducken sich weg, weil sie das Ergebnis der Landtagswahl nicht begriffen haben. Weil sie nach wie vor glauben, sie seien Herr im Ring. Sie sind es aber nicht mehr. Die CDU hat die Wahl verloren. Der Wahlgewinner heißt Bodo Ramelow. Es hat nichts damit zu tun, ob man Bodo Ramelow liebt oder nicht. Es geht darum, das Wahlergebnis zu respektieren. Und der CDU mangelt es an Respekt für den Ausgang der demokratischen Wahl. 

Fehlt ihr nicht eher der Bezug zur Realität?
Richtig, genau das ist der Punkt. 

Die Kritiker der Linken argumentieren damit, die Linke verwalte das Erbe der SED-Diktatur. Was entgegnen Sie denen?
Man kann die Welt nicht nur in rot und schwarz einteilen. Das war früher schon problematisch, aber heute umso mehr. Gut und Böse ist nicht nur nach Farben einteilbar. Die Welt verändert sich permanent, die Geschichte geht weiter. Man muss für Veränderungen offen sein. Und man muss respektieren, dass wir heute 30 Jahre nach dem Zusammenbruch der DDR unter völlig anderen gesellschaftlichen Voraussetzungen leben. Es ist anachronistisch, zu glauben, dass man die Welt heute mit den gleichen Stereotypen abbilden könnte, die noch aus dem Marxismus-Leninismus der DDR stammen. 

Was raten Sie Ihrer Partei jetzt? Wie kommt Thüringen am schnellsten aus dem Schlamassel wieder heraus?
Ganz einfach: Sie soll die Wahl von Herrn Ramelow zum Ministerpräsidenten geschehen lassen. Herr Ramelow hat sich um diesen Job beworben. Er soll ihn auch bekommen. Er möge etwas Gescheites auf den Weg bringen. Die CDU möge sich einfach da einreihen, wo sie der Wähler hinpostiert hat. 

Frau Lieberknecht hat die Landes-CDU jetzt aufgefordert, eine „verlässliche parlamentarische Vereinbarung mit der Linken“ zu schließen. Glauben Sie, ihre Stimme wird von der Partei gehört?
Ich hoffe es. Ich habe mich gefreut, als ich das heute morgen gelesen habe. Frau Lieberknecht hat genau das ausgesprochen, was ich auch denke.  

Die Fragen stellte Antje Hildebrandt. 

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